»Zwei Sternenflugzeuge!« erwiderte Oshima. »Am besten stoßen wir die beiden Schlepper gänzlich ab!
Als Kapitän eines Kampfschiffes würde ich eine solche Entscheidung nur begrüßen. Die Frachter sind schlecht zu lenken im Überlichtbereich. Und einstweilen gehen sie sinnlos zugrunde!«
Ich ging in den Park. Es regnete in Strömen. Nach der irdischen Zeitrechnung begann hier der Spätherbst. Alle übrigen Räume haben kein Wetter.
Keinen Wechsel der Jahreszeiten, keine Schwankungen der Temperatur, des Luftdrucks, der Feuchtigkeit, ein wetterloses Milieu, das die Lebenstätigkeit am besten stimuliert. Für meine Lebenstätigkeit allerdings war es wichtig, daß ich mich von Zeit zu Zeit Regen und Schnee aussetzte, steifem Wind entgegenstemmte und die betäubenden Düfte des Frühlings atmete. Im Park war für meinesgleichen ein irdischer Wechsel von Wettern und Jahreszeiten eingerichtet.
Ich erinnere mich nicht, daß irgendwann einmal Demiurgen und Galakten darin spazierengegangen wären. Einmal lotste ich Orlan hierher. Ein Schneesturm tobte. Orlan fröstelte und fragte erstaunt: »Und den Menschen gefällt dieser Unfug?« Grazi brauche ich gar nicht zu erwähnen. Er sträubt sich mit Händen und Füßen gegen Gänge in den Park, so daß er sekundenlang gar nicht göttlich wirkt. Ich denke manchmal, daß die Natur der Galakten, die jegliche Künstlichkeit hassen, widersprüchlich ist. Eifrig wachen sie über ihre Unsterblichkeit und schaffen Treibhausbedingungen, damit sie nicht verletzt werde. Hat ihre Unsterblichkeit nicht etwas an sich, das an Künstlichkeit gemahnt, hohe, prächtige, erstaunliche, aber eben doch Künstlichkeit? Von allen Lebewesen haben sie allein sich unsterblich gemacht.
Eine Parkallee führt zum Konservierungsraum. Ich trat an Lussins Sarkophag und blickte den toten Freund zärtlich an. Lussin, sagte ich in Gedanken zu ihm, du würdest es uns nicht verzeihen, wenn wir einfach fliehen wollten. Könntest du sprechen, würdest du sagen: Haben wir uns auf die weite Reise begeben, um zu fliehen? Wir müssen den Unglücklichen helfen, die Hilfe erflehen! Was wären wir sonst für Menschen, weshalb hätten wir sonst solche Weiten überwunden, weshalb wäre ich sonst gestorben? Richtig, Lussin, richtig. Sieh, ich streite nicht, und ich rede auch nicht mehr von Rache, denn schon das Wort Rache war dir verhaßt, ich tue es nicht, obwohl ich nicht zu denen gehöre, die lächeln, wenn man ihnen auf den Fuß tritt. Ach, Lussin, warum kannst du dich nicht erheben! Du würdest Freude haben an dem Bild, das bald auf allen Sternenbildschirmen zu sehen sein wird: Ein riesiger Planet schmilzt dahin, und rings um ihn erweitert sich der saubere Raum, die durchsichtige Weite, kein kleines Stückchen, nein, Lussin, eine Kuppel leuchtend klaren Himmels!
Und dann setzte ich mich Oan gegenüber in den Sessel, sprach mit ihm, aber anders als mit Lussin. Du Mörder und Spion, sagte ich zu Oan, ich verstehe: Du hattest einen Auftrag, und du hast ihn ausgeführt, deine Herren können dir dankbar sein für die Informationen. Aber du flößtest deine Gedanken doch ungehindert unseren Gehirnen ein, hättest du nicht wenigstens andeuten können, daß Sprengannihilation nicht taugt, wohl aber schwelende Annihilation?
Warum hast du geschwiegen? Wolltest du die Vernichtung der Sternenflugzeuge, den Tod unserer Freunde? Wer bist du, ein Phantom, das ein reales Wesen kopiert? Ein Gespenst mit imponierendem, von hohem technischem Zivilisationsniveau zeugendem Stofflichkeitsgrad? Du hast dich rasch davongemacht, Oan, damit wir das Gespräch mit dir nicht zu Ende brachten! Schade, du hättest denen, die dich gesandt hatten, ausrichten können, daß die Menschen und ihre Sternenfreunde aus der verfluchten Ansammlung der Untergehenden Welten fortgehen, daß wir nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand wollen, daß es keinerlei Explosionen geben wird. Aber wir müssen den Leidenden helfen, müssen es einfach, das ist unsere Natur, und ihr habt euch damit abzufinden.
Ach, zu früh, zu früh bist du umgekommen, wieviel würde ich dir sagen, wenn du mich hörtest! Oft habe ich mich empört, war zornig, geriet in Wut, aber Haß, echten, brennenden, empfinde ich zum erstenmal gegen dich! Ich hasse dich, ich hasse dich!
So redete ich, aufgebracht, ich erinnere mich nicht, ob in Gedanken oder laut. Oan hing vor mir, die zwölf Beine von sich gestreckt, den Wanst vorgewölbt, das dreiäugige Gesicht erhoben. Die beiden unteren Augen waren geschlossen, das obere, unlängst noch böse stechende, war trüb, wie von weißem Star überzogen, und auf dem Kopf sträubten sich die Haare, die seltsamen Haare, fingerdick, halb Schlangen, halb Arme… Und in ihnen hatte sich ein purpurroter Funke verfangen, bevor er verglommen war…
Mary sagte an diesem Abend: »Das Geschwader ist über den Plan, schwelend zu annihilieren, informiert.
Ich will mich mit dir beraten, denn ich muß ja wohl ebenfalls meine Meinung äußern. Wo bist du gewesen, Eli?«
»Ich bin im Park spazierengegangen.«
»Und selbstverständlich hast du im Konservierungsraum gesessen?«
»Warum – selbstverständlich?«
»Manchmal habe ich Angst um dich, Eli. Du hast etwas Wildes an dir. Bist dem Totenkult verhaftet.« »Dem Totenkult? Das ist mir neu.«
»Hast du vergessen, daß du auf der Erde stundenlang im Pantheon saßest! Mich schlepptest du auch hin. Und im Saal der großen Vorfahren vergaßest du mich und blicktest die Statuen wie betend an.«
Ich lachte herzlich. »Ich ahnte nicht, daß das wie Beten aussah, sonst hätte ich mich anders verhalten.
Du hast recht. Ich habe große Ehrfurcht vor den Vorfahren. Leute, denen die Verwandtschaft gleichgültig ist, mag ich nicht. Und ich habe mich immer für Geschichte begeistert.«
Sie lächelte ironisch. »Für Geschichte begeistert?
In Romeros Augen bist du ein Ignorant in Geschichte, und ich gebe ihm recht. Selbst ich bin über unsere Vorfahren besser informiert als du. Nein, du hast dich, wenn du es wissen willst, ganz der Zukunft verschrieben. Körperlich bist du hier, aber in Gedanken weilst du irgendwo bei bevorstehenden Fahrten, Kämpfen, Verhandlungen, an noch nicht entdeckten Orten, auf noch nicht gebauten Schiffen. Manchmal fehlst du mir sehr, Eli! Denn ich bin stets hier und jetzt, du aber bist dort und dann. Und wenn dir plötzlich bewußt wird, daß es so nicht geht, rennst du zur Beisetzungsstätte, als bereutest du oder wolltest beichten.«
»Was willst du eigentlich von mir, Mary?«
»Ich will wissen, was dich zu den Toten zieht.«
Ich antwortete möglichst heiter: »Du hast selbst alles erklärt. Wegen der Reue und der Beichte gehe ich hin. Allerdings schweigen meine Beichtväter immer.
Wahrscheinlich akzeptieren sie meine Reue nicht.«
Das Geschwader verließ den Sternhaufen der Untergehenden Welten. Eine Zeitlang genossen wir den malerischen Blick auf den raumverglimmenden Planeten. Absichtlich sage ich »malerisch« und nicht »effektvoll«. Denn Effekte gab es nicht, weder eine blendende Flamme noch stiebende Protuberanzen, noch Gaswirbel. Der Planet leuchtete matt, und das war alles. Aber als wir ihn ein letztes Mal umkreisten, sahen wir eine Aureole rings um ihn. Das war ein Wölkchen neugeschaffenen Raumes, ein sich langsam ausweitendes Stückchen sauberen Himmels. Wir hatten getan, was wir konnten.
Der Planet verschwand bald hinter dem Heck unseres Sternenflugzeugs, selbst mit dem Vervielfacher war er nicht mehr zu finden. Doch vor meinem geistigen Auge sah ich ihn immer nochmatt leuchtend, in einer sich erweiternden, zarten Aureole kosmischer Reinheit.
Und dann wiederholten sich die bekannten Landschaften. Wir lösten uns aus der staubigen Ansammlung und gelangten in sauberen Raum, von Sternen übersät. Und vor uns dehnte sich, zum erstenmal nicht durch Nebel abgeschirmt, ein gigantischer Sternenbrand, der drohende Galaxiskern…
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