„Das alles ist doch kaum zu glauben“, protestierte Conway. „Sie unterstellen damit, daß das Monitorkorps bei der Bewältigung der Aufgaben mehr vollbringt als die Normalen oder als wir, die geistige Elite!“ Wütend schüttelte er den Kopf. „Außerdem haben wir uns da einen tollen Zeitpunkt für eine philosophische Diskussion ausgesucht.“
„Sie haben damit angefangen“, bemerkte der Monitor, erhielt aber keine Antwort.
Als jemand von hinten Conway auf die Schulter klopfte, mußten Stunden vergangen sein. Er richtete sich auf und sah eine DBLF-Schwester hinter sich stehen, die ihm eine Spritze entgegenhielt.
„Ein kleiner Muntermacher gefällig, Doktor?“ fragte sie.
Plötzlich wurde Conway bewußt, wie wacklig seine Beine geworden waren und wie schwer es ihm fiel, sich mit den Augen auf einen Punkt zu konzentrieren. Vor allem aber mußte die Schwester sein nachlassendes Arbeitstempo bemerkt haben. Er nickte und krempelte den Ärmel hoch, wobei ihm seine bleiernen Finger wie aufgequollene Würste vorkamen.
„Aua!“ schrie er plötzlich wütend auf. „Benutzen Sie da etwa einen Bohrer als Spritze?“
„O weh, das tut mir leid“, entschuldigte sich die Schwester, „aber vor Ihnen hab ich zwei Ärzte meiner eigenen Spezies versorgt, und wie Sie wissen, ist unsere Oberhaut dicker und engfaseriger als Ihre. Deshalb ist die Nadel wohl stumpf geworden.“
Conways Erschöpfung war binnen Sekunden wie verflogen. Abgesehen von einem leichten Kribbeln in Händen und Füßen und einigen hellen hektischen Flecken im Gesicht, die nur andere wahrnehmen konnten, fühlte er sich so wach und körperlich frisch, als wäre er gerade unter der Dusche hervorgekommen, nachdem er zehn Stunden Schlaf gehabt hatte. Bevor er seinen derzeitigen Patienten zu Ende behandelte, blickte er sich kurz im Raum um und stellte fest, daß zumindest hier die Anzahl der noch zu behandelnden Patienten auf weniger als eine Handvoll zusammengeschrumpft war und sich die der Monitore um mehr als die Hälfte verringert hatte. Als auch die letzten Verletzten versorgt waren, wurden die Monitore zu Patienten.
Überall um sich herum hatte Conway feststellen können, daß die Monitore, die keinen oder nur wenig Schlaf auf dem Hintransport gehabt hatten, sich mit Aufputschspritzen und dank eines schier unerschöpflichen Durchhaltevermögens dazu gezwungen hatten, den überarbeiteten medizinischen Kräften des Hospitals zu helfen. Einer nach dem anderen war dabei buchstäblich auf der Stelle zusammengebrochen und abtransportiert worden. Vor Erschöpfung hatten Herz und Lunge versagt, und sie lagen nun in mit computergesteuerten Herz-Lungen-Maschinen ausgerüsteten Spezialabteilungen, wo sie Herzmassagen erhielten und künstlich beatmet wurden. Durch eine Vene am Bein erhielten sie dort außerdem die dringend erforderlichen Nähr— und Aufbaustoffe. Conway war zu Ohren gekommen, daß nur einer von ihnen gestorben war.
Williamson und Conway nutzten die momentane Ruhe und schauten durch das Sichtfenster nach draußen. Das wartende Schiffsknäuel schien sich noch immer nicht entwirrt zu haben, obwohl es sich mittlerweile um Neuankömmlinge handeln mußte, da viele Schiffe bereits abgefertigt worden waren. Conway konnte sich nicht vorstellen, wo man all diese Leute unterbringen wollte — selbst die belegbaren Korridore des Hospitals waren allmählich überfüllt. Trotzdem wurden ununterbrochen Patienten sämtlicher Spezies von einer Station auf die andere verlegt, um noch mehr Platz zu schaffen. Aber das war jetzt nicht sein Problem, und das Strickmuster der Schiffe war ein merkwürdig beruhigender Anblick.
„Dringender Notfall!“ schallte es plötzlich aus dem Wandlautsprecher. „Einzelschiff mit nur einem Insassen, Spezies bis jetzt unbekannt, bittet um sofortige Behandlung. Insasse hat sein Schiff nur teilweise unter Kontrolle, ist schwer verletzt, die Verständigung ist undeutlich. Sämtliche Einlaßschleusen sofort in Alarmbereitschaft.!“
O nein, doch nicht ausgerechnet jetzt! dachte Conway bestürzt. Schon bei der Vorahnung, welch schreckliche Gefahr für das Hospital drohte, wurde ihm entsetzlich flau im Magen.
Williamsons Knöchel glänzten weiß, als er den Rahmen des Aussichtsfensters mit den Fingern umklammerte. „Dahinten!“ rief er entsetzt, wobei er in den Weltraum deutete.
Mit haarsträubender Geschwindigkeit und in einem völlig unberechenbaren Kurs näherte sich ein Eindringling dem wartenden Schiffsknäuel. Bevor Conway Luft holen konnte, kam etwas Schwarzes mit den gedrungenen und konturlosen Umrissen eines Torpedos immer näher heran und durchdrang schließlich die wogende Schiffsmasse. In einem wirren Gedränge stoben die Schiffe auseinander, wobei sie nur um Haaresbreite Kollisionen vermeiden konnten. Jetzt war nur noch ein Schiff in der Flugbahn des Torpedos — ein Monitortransporter, dem bereits grünes Licht gegeben worden war und der nun auf eine Einlaßschleuse zuschwebte.
Das Schiff war groß und schwerfällig und nicht gerade für flugakrobatische Kunststücke gebaut — für ein Ausweichmanöver würde also nie und nimmer die Zeit reichen. Ein Zusammenstoß war unausweichlich, und der Transporter war voll von Verwundeten.
Aber nein! Im letztmöglichen Moment machte das heransausende Torpedo einen Schwenk. Conway und Williamson sahen, daß es knapp am Transporter vorbeischoß und wie sich die gedrungene Torpedoform im Nu perspektivisch zu einem Kreis verwandelte, der mit furchterregender Geschwindigkeit größer wurde. Das kleine Schiff schoß jetzt direkt auf sie zu! Conway wollte die Augen schließen, aber der Anblick dieser auf ihn zurasenden, klobigen Metallmasse löste bei ihm eine seltsame Faszination aus. Weder Williamson noch er selbst unternahmen den Versuch, sich einen Raumanzug zu greifen — das Unvermeidliche würde sowieso in wenigen Sekundenbruchteilen passieren.
Das Torpedo war bereits fast direkt über ihnen, als es plötzlich nach unten ausbrach, wobei der verletzte Pilot verzweifelt versuchte, diesem noch größeren Hindernis, das das Hospital jetzt für ihn darstellte, auszuweichen. Aber zu spät. Das Schiff prallte auf.
Als das Torpedo die Doppelwand durchschlug, brachten zwei gewaltige Erschütterungen den Boden unter ihnen zum Erbeben. Dann folgten allmählich schwächer werdende Stöße, als es sich bis zum Kern des Hospitals bohrte. Kurz entstand ein ohrenbetäubender Lärm — die Schmerzensschreie der Menschen und Aliens wurden von pfeifenden, krächzenden und röchelnden Lauten der Kreaturen begleitet, die jämmerlich zugrunde gingen, die ertranken, vom Druckabfall verstümmelt oder praktisch vergast wurden. So ergoß sich in Abschnitte, die reines Chlor enthielten, todbringendes Wasser. In eine Abteilung, deren Bewohner nie etwas anderes als Vakuum und transplutonische Kälte gekannt hatten, strömte durch ein klaffendes Loch gewöhnliche Luft — die Wesen vertrockneten bei lebendigem Leib und lösten sich bei dem ersten Kontakt mit dieser für sie artfremden Substanz auf schreckliche Weise praktisch in nichts auf. Wasser, Luft und etliche verschiedene atmosphärische Gemische wurden miteinander vermengt und bildeten eine schlammige, braune und stark ätzende Mixtur, die sich dampfend und brodelnd ins All ergoß. Aber lange bevor all das geschah, waren die luftdichten Schotts rund um die Schneise, die das Schiff geschlagen hatte, bereits hermetisch abgeriegelt worden.
Einen Augenblick lang herrschte lähmendes Entsetzen, doch dann reagierte das Hospital. Aus den Lautsprechern über ihnen wurden trotz hektischen Untertons besonnene und sachliche Anweisungen gegeben. Ingenieure und Mechaniker sämtlicher Spezies sollten sich sofort für weitere Instruktionen bereithalten. Die Schwerkraftgitter auf den LSVO— und MSVK-Stationen funktionierten nicht mehr — das gesamte medizinische Personal wurde angewiesen, die Patienten in Schutzhüllen einzuwickeln und in den DBLF-Operationssaal zwei zu bringen, der auf ein zwanzigstel Ge eingestellt worden war, damit niemand vom eigenen Gewicht erdrückt werden konnte. Im AUGL-Tank war ein nicht ausfindig zu machendes Leck. Immer wieder wurden alle DBDGs vor einer Chlorverseuchung im Bereich der Kantine gewarnt. Und schließlich wurde Dr. Lister äußerst höflich gebeten, sich zu melden.
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