Conway entschloß sich einzugreifen, bevor sich aus diesem lebendig geführten fachlichen Meinungsaustausch ein handfester Streit entwickeln konnte. Deshalb sagte er beschwichtigend: „Aber welche vorläufigen Schlüsse können wir dann aus dem von Ihnen untersuchten Teil des Wracks ziehen, Captain? Welchen Überblick, und sei er noch so allgemein, haben Sie sich über die Gesamtsituation verschafft?“
„Also gut“, entgegnete Fletcher und steckte den von ihm während der Untersuchung des Wracks aufgenommenen Videochip in das Wiedergabegerät des Freizeitdecks. Dann beschrieb er seine Beobachtungen, die er während seiner Nachforschungen am Wrack gemacht hatte, und welche Schlußfolgerungen er nun daraus zog. So stellte er sich das Wrack nicht als Teil eines Raumschiffs vor, sondern vielmehr als einen einfachen, unter Druck gesetzten Container. Bei diesem Container handelte sich um einen gut zwanzig Meter langen Zylinder mit einem Durchmesser von etwa drei Metern, der an beiden Enden vollkommen flach war, sah man von den jeweils acht hervorstehenden Verbindungsstücken ab, die der beidseitigen Kopplung mit anderen Containern derselben Bauart dienten. Die Verbindungsstücke waren so konstruiert, daß sie aufsprangen, noch bevor der Container durch äußere Gewalteinwirkung oder einen Schlag auf benachbarte Bauteile beschädigt oder verformt werden konnte. Wenn die restlichen Container oder Segmente einer Raumstation die gleichen Abmessungen wie das untersuchte Wrackteil hatten und alle dieselbe Längskrümmung aufwiesen, dann würden ungefähr achtzig dieser Teile ein Rad mit knapp unter fünfhundert Metern Durchmesser bilden.
Fletcher legte einer kurze Pause ein, aber Major Nelson preßte die Lippen noch immer fest zusammen, und auch die übrigen Anwesenden, die wußten, daß man von ihnen eine Reaktion erwartete, schwiegen beharrlich.
Also fuhr Fletcher mit seinem Bericht fort. Das entdeckte Segment hatte einen Doppelrumpf von dem nur der innere unter Druck stand. Bis auf die mit der Winterschlafausrüstung in Verbindung stehenden Geräte verfügte es über keine Steuerungs-, Sensoren- oder Energiesysteme. Nach Einschätzung des Captains ließ das technologische Niveau eher auf einen fortgeschrittenen interplanetarischen als auf einen interstellaren Entwicklungsstand schließen, so daß die Raumstation an ihrem ursprünglichen Platz gar nichts zu suchen gehabt hatte. Aber das rätselhafteste Merkmal an diesem Behälter war für Fletcher immer noch die zum Ein- und Aussteigen angewandte Methode.
Wie alle Anwesenden bereits gesehen hatten, befanden sich im Rumpf keine Öffnungen, die für den Überlebenden zum Ein- oder Aussteigen groß genug waren, was bedeutete, daß er dazu die flachen, runden Platten an den beiden Enden des Zylinders benutzen mußte. Nach Fletchers Ansicht stieg das Wesen an der einen Seite ein und an der anderen wieder aus, weil es sich wegen seiner enormen Körpergröße in dem engen Zylinder nicht umdrehen konnte. Doch an beiden Enden befand sich nichts, das Ähnlichkeit mit einer Tür gehabt hätte, nur die beiden großen, runden Platten, die in die breiten Zylinderrahmen eingepaßt waren, an denen sich auf jeder Seite auch die jeweils acht Kupplungen befanden.
„Soweit ich sehen kann, gibt es für die beiden Abschlußplatten keinen Betätigungsmechanismus“, fuhr Fletcher fort, wobei seine Stimme leicht entschuldigend klang. „Leider gibt es sehr viele Möglichkeiten, eine Tür zu öffnen, und es muß in diesem Container irgendwo zwei Öffnungen geben, von denen die eine rein- und die andere rausführt, aber ich kann keine entdecken. Ich hab sogar an Sprengbolzen gedacht, die den Container hermetisch abschließen, bis er sein Ziel erreicht hat oder durch Bergungstrupps an einen Ort gebracht wurde, der für seinen Insassen geeignete Umweltbedingungen bietet — also entweder auf einen Planeten oder in den Laderaum des Bergungsschiffs. Erst dann sprengt der Insasse die Verschlüsse der Luke auf und kriecht ins Freie. Dummerweise kann ich aber keine Verschlüsse entdecken, und wegen des rings um die Luken verlaufenden Zylinderrahmens, wenn es sich denn um Luken handelt, kann man sie auch nicht als Ganzes heraussprengen. Auch nach innen kann man sie nicht öffnen, weil der Durchmesser der unter Druck stehenden Innenhaut wiederum viel geringer als der der Abschlußplatten ist.“
Fletcher schüttelte ratlos den Kopf und beendete seine Folgerungen mit den Worten: „Es tut mir leid, Doktor. Im Moment sehe ich keine Möglichkeit, wie Sie an Ihren Patienten herankommen können, ohne gleich das ganze Schiff auseinanderzuschweißen. Ich muß unbedingt noch ein weiteres Teil dieses Puzzles untersuchen, eins, das kaputt ist, um zu sehen, wie die anderen, unbeschädigten Teile zusammengesetzt sind.“
Einen Moment lang herrschte Schweigen, und Prilicla zitterte voller Mitgefühl mit der Ratlosigkeit des Captains. Dann meldete sich Murchison zu Wort.
„Ich würde ebenfalls gern ein kaputtes Teil untersuchen“, sagte sie ruhig. „Genauer gesagt, eins mit einem Toten, damit ich sehen kann, wie unser Überlebender zusammengesetzt ist.“
Conway wandte sich an Dodds. „Gibt es viele Teile, die so aussehen, als ob sie auseinandergebrochen sein könnten?“
„Ein paar“, antwortete der Astronavigator. „Bei den meisten Echobildern liefern die Sensoren ähnliche Meßwerte wie bei dem ersten Teil. Das heißt, ein Flugobjekt von gleicher Masse mit Innendruck und einer schwachen Energiequelle. Aber sämtliche Segmente, auch die wenigen beschädigten, befinden sich nur noch gerade in der Reichweite der Sensoren. Mit normalem Raketenantrieb ist das eine ganz schöne Entfernung, und wenn wir durch den Hyperraum springen, würden wir wahrscheinlich übers Ziel hinausschießen.“
„Um wie viele Segmente handelt es sich denn insgesamt?“ fragte Nelson.
„Bisher dreiundzwanzig feste Objekte und ein paar anscheinend aus losen Trümmern bestehende Haufen. Außerdem gibt es noch ein recht großes Gebilde, radioaktiv und ohne Innendruck, das meiner Vermutung nach zu einer Energiezentrale gehört hat.“
Von der Decke fragte Prilicla: „Wenn ich vielleicht einen Vorschlag machen dürfte? Wie wäre es, wenn Major Nelson die Freundlichkeit besitzen würde, den Vermessungseinsatz der Tyrell zu unterbrechen, damit.“
Nelson lachte plötzlich, und auch die übrigen anwesenden Offiziere des Monitorkorps lächelten. Mit emotionsgeladener Stimme antwortete Nelson: „Es gibt in der ganzen Galaxis keine Besatzung eines Aufklärungsschiffs im Vermessungseinsatz, die nicht sofort lieber irgend etwas anderes tun würde — ganz egal, was! Sie brauchen mich nur zu fragen und mir eine halbwegs einleuchtende Entschuldigung für meine Vorgesetzten zu nennen, und schon ist Ihr Vorschlag angenommen, Doktor.“
„Vielen Dank, mein Freund“, entgegnete der vor Erheiterung langsam zitternde Empath. „Mein Vorschlag ist, daß die Rhabwar und die Tyrell getrennt nach weiteren Überlebenden suchen und sie dann hierherbringen — und zwar mit Hilfe der Traktorstrahlen, wenn die Entfernung kurz genug für den Raketenantrieb ist, oder mittels der ausgedehnten Hyperraumhülle, falls ein Sprung durch den Hyperraum unumgänglich erscheint. Dank meiner empathischen Fähigkeiten kann ich lebende Insassen in den Segmenten aufspüren, und wegen der großen Körpermasse dieser Wesen sollten mich Doktor Krach-Yul und Schwester Naydrad auf der Tyrell begleiten, um mir bei der Behandlung zu helfen, falls eine solche überhaupt möglich ist. Pathologin Murchison und Sie, Freund Conway, sind genausogut in der Lage, lebende Verunglückte mit konventionelleren Methoden aufzuspüren, falls Ihnen die Angaben der Schiffssensoren keinen genauen Aufschluß geben sollten.
Auf diese Weise halbieren wir die für die Suche nach weiteren Überlebenden benötigte Zeit, obwohl es auch so noch recht lange dauern wird“, beendete Prilicla seinen Vorschlag in entschuldigendem Ton.
Читать дальше