Es war, als ob ein riesiges, weiches Kissen gegen die Seite des Schiffs schlüge. Zuerst neigte sich der Decksboden unter ihren Füßen, dann richtete er sich wieder auf. Diesmal klang es fast so, als würden Verrückte mit Vorschlaghämmern gleichzeitig auf drei verschiedene Schiffsabschnitte eindreschen, bis das Krachen ein paar Sekunden später wieder vorbei war. Doch zu dem Lärm des gegen den Rumpf prasselnden Sands gesellte sich jetzt das disharmonische Stöhnen und Pfeifen des Winds, der sich gewaltsam seinen Weg ins Wrack bahnte.
„Unser Schutzwall ist offensichtlich porös geworden“, stellte Fletcher beunruhigt fest. „Aber erzählen Sie weiter, Doktor.“
„Das Schiff machte hier also eine Notlandung“, wiederholte Conway, „weil die Besatzung keine Zeit hatte, nach einem besseren Platz zu suchen. Alles in allem klappte die Landung auch gut, und es war reines Pech, daß das Schiff umgekippt ist und dabei die Hydraulikbehälter gerissen sind. Wäre das nicht passiert, hätten die Besatzungsmitglieder wahrscheinlich ihre Krankheit aus welchem Grund auch immer überwunden und wären mit der Zeit wieder gestartet. Vielleicht hätte aber auch der erste Sandsturm das Schiff so oder so umgeworfen. Wie dem auch sei, die Besatzung befand sich nach der Bruchlandung plötzlich in einem Wrack, das sich blitzschnell mit giftigen Dämpfen füllte. Trotz ihres angeschlagenen Gesundheitszustands mußten die Aliens schleunigst ins Freie, und da die Fluchtwege zum Heck direkt an der Verseuchungsquelle vorbeiführten und obendrein teilweise durch Trümmer vom Absturz versperrt waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Schiff über das Kommandodeck und dieOberseite des Rumpfs zu verlassen und sich dann auf den Boden rutschen zu lassen.
Und dabei haben sie sich diese schweren Verletzungen zugezogen“, fügte Conway hinzu.
Er hielt kurz inne und half Murchison beim Umstellen des Luftgemischs, mit dem der Patient versorgt werden sollte. Vom Heck her war jetzt ein klirrendes Geräusch zu vernehmen, das ununterbrochen und monoton durchs ganze Schiff hallte — irgendeines der Wrackteile wollte sich einfach nicht losreißen.
„Es gibt wahrscheinlich zwei Gründe, warum sich die Besatzungsmitglieder nicht weiter vom Schiff entfernt haben“, fuhr Conway mit lauterer Stimme fort. „Erstens hatten sie durch die Auswirkungen der Krankheit nicht mehr die Kraft dazu, und zweitens gab es meiner Vermutung nach auch gewichtige psychologische Gründe, in der Nähe des Schiffs zu bleiben. Die von uns festgestellte körperliche Verfassung, die hohe Körpertemperatur und die Anzeichen einer Unterernährung, die wir zuerst irrtümlicherweise erzwungenem Hungern zugeschrieben haben, waren samt und sonders Symptome der Krankheit. Möglicherweise ist sogar die tiefe Bewußtlosigkeit ein Krankheitssymptom oder vielleicht sogar irgendeine Form von Winterschlaf, in den die Aliens bei Verletzungen oder sonstigen Leiden fallen, wenn sie wissen, daß Hilfe erst später eintreffen kann. Dieser bewußtlose Zustand setzt die Stoffwechselgeschwindigkeit herab und dämmt die Blutungen ein.“
Fletcher machte gerade den Schneidbrenner einsatzbereit und blickte verblüfft drein. „An eine Krankheit und an die durch die Flucht hervorgerufenen Verletzungen kann ich ja noch glauben“, sagte er. „Aber was ist mit den fehlenden Gliedmaßen und den.“
„Hier Dodds, Sir“, unterbrach ihn der Astronavigator von der Rhabwar aus. „Leider wirkt sich das mitternächtliche Nachlassen des Winds nicht auf Ihren derzeitigen Aufenthaltsort aus. Es gibt nämlich örtliche Wetterstörungen. Außerdem haben drei große Dornbüsche das Heck erreicht und dringen mit Teilen ihrer äußeren Triebe in das Vorratsdeck ein. Dort hat sich ein großes Stück der Rumpfverkleidung losgerissen. Wenn die Büsche erst einmal an diesen geballten Lebensmittelvorrat gelangt sind, verlieren sie wahrscheinlich das Interesse an anderen Nahrungsquellen.“
Dodds Optimismus klang gezwungen.
Jetzt ergriff Murchison das Wort. „Ob wirklich eine Krankheit für die Schwierigkeiten der Aliens verantwortlich ist, können wir nicht mit absoluter Sicherheit sagen, Captain. Laut Analyse des Mageninhalts der Leiche vom Schlafdeck gibt es Anzeichen für eine schwere Magen-Darm-Krankheit, die durch eine Bakterie vom Heimatplaneten der Aliens ausgelöst wurde, und bei dem Symptom, das zum Verdacht auf Unterernährung führte, handelte es sich bei allen Fällen in Wirklichkeit nur um das Erbrechen des gesamten Mageninhalts. Der Verunglückte auf dem Schlafdeck wurde vor Beendigung des Vorgangs durch einen Schlag bewußtlos und erstickte kurz darauf, so daß er nicht mehr den gesamten Mageninhalt durch das unwillkürlich gesteuerte Erbrechen ausstoßen konnte. Möglicherweise war aber auch der Schiffsproviant durch Krankheitserreger verseucht und damit für die aufgetretenen Probleme verantwortlich.“
Conway fragte sich, ob wohl auch eine fortbewegungsfähige, allesfressende Pflanze an einer Lebensmittelvergiftung erkranken könnte. Selbst wenn dies der Fall war, so zweifelte er doch sehr daran, daß diese Vergiftung rechtzeitig genug eintreten würde, um sie vor den Dornbüschen zu schützen.
„Ich danke Ihnen für diese Informationen, Murchison“, sagte Fletcher und hakte sofort nach: „Aber was ist nun mit den fehlenden Gliedern?“
„Es fehlen überhaupt keine Glieder, Captain“, antwortete die Pathologin. „Die Besatzungsmitglieder vermissen allenfalls nur ein einziges Organ — nämlich ihren Kopf. Wegen der vielen anderen Wunden sind wir nicht gleich auf die Wahrheit gestoßen, aber es gibt weder fehlende Gliedmaßen noch irgendeinen Verbrecher.“
Fletcher starrte Conway an, da er zu höflich war, seine Zweifel an den Ausführungen der Pathologin in Worte zu fassen, und der Chefarzt übernahm die weiteren Erläuterungen. Während er erzählte, mußte er gleichzeitig arbeiten, weil er sich zusammen mit Murchison vor die langwierige und schwierige Aufgabe gestellt sah, den großen Alien von der Kuppel zur Bahre zu schaffen.
Man konnte sich nur schwer die Kette von Umwelteinflüssen vorstellen, die zur Entwicklung solch einer im Grunde genommen hilflosen Spezies zur dominanten Lebensform geführt hatte, deren Zivilisationsstand sie im Laufe der Zeit sogar zu Raumreisen befähigte, erklärte Conway. Aber diese plumpen, nur allzu deutlich gehunfähigen Wesen ohne Gliedmaßen hatten all das geschafft. Wie er und Murchison inzwischen wußten, war der große Alien ein in Symbiose lebender Wirt, der mehrere spezialisierte Symbionten entwickelt hatte, die ihm als Greiforgane und Fühler für die nähere und fernere Umgebung dienten. Die Stümpfe des Aliens und die bei den Verunglückten irrtümlich für Amputationswunden gehaltenen Stellen waren die Verknüpfungspunkte, über die der Wirt im Fall einer unumgänglichen körperlichen Tätigkeit oder bei Nahrungsbedarf mit den Symbionten in Verbindung trat.
Wahrscheinlich bestanden zwischen dem als Wir fungierenden Captain und seiner Besatzung sowohl starke geistige als auch körperliche Verbindungen, aber ständiger Kontakt mit allen Besatzungsmitgliedern war anscheinend dennoch nicht nötig, denn inner- und außerhalb des Wracks hatten sich dreimal so viele Aliens wie organische Verbindungsstellen am Wirt befunden. Es war auch wahrscheinlich, daß der Wirt nie schlief und seinen Symbionten ununterbrochen nichtkörperliche Unterstützung zukommen ließ. Diese Annahme wurde durch die von Prilicla auf der Rhabwar wahrgenommene emotionale Ausstrahlung bestätigt, die von Gefühlen der Verwirrung und des Verlusts geprägt war denn die telepathischen oder empathischen Fähigkeiten des Wirt-Captains reichten natürlich nicht bis zur Umlaufbahn der Rhabwar hinauf.
„Die kleinste, als DCLG klassifizierte Lebensform verfügt genauso wie die etwas größeren DCMHs über eine unabhängige Intelligenz und führt diefeineren komplizierteren Handgriffe aus“, übernahm nun Murchison die weitere Erläuterung des Sachverhalts — und das nicht nur für den Captain, der kurz in den Gang verschwunden war, um dort nachzusehen, wie weit die Dornbüsche bereits vorgedrungen waren, sondern auch um ihre eigenen Gedanken zu ordnen. „Die Funktion des großen DCOJ hingegen besteht allein im Essen und in der Versorgung des Wirts mit vorverdauter Nahrung. Jedoch spricht alles dafür, daß alle drei Lebensformen über ihre eigenen Systeme zur Nahrungsaufnahme, Verdauung und Fortpflanzung verfügen. Eine der Spezies muß außerdem beim Austausch von Sperma oder Eizellen zwischen den unbeweglichen Wirten mithelfen.“
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