Wenn Sie alle mal einen Moment lang darüber nachdenken“, schloß der Captain, der sich ganz so anhörte, als sei er mit sich selbst sehr unglücklich, „dann werden Sie einsehen, daß wir es keinesfalls riskieren dürfen, diese Lebensform auf die Rhabwar gelangen oder gar ins Orbit Hospital.“
Eine Weile herrschte absolute Stille, in der sich das Team die Worte des Captains durch den Kopf gehen ließ, und Cha Thrat dachte über diese seltsame Geschichte nach, die ihr zugestoßen war und immer noch zustieß.
Bei dem Versuch, Khone zu helfen, hatte sie damals am eigenen Leib einen Zusammenschluß erfahren und zugleich den Schreck, die Verwirrung und die Aufregung darüber, daß eine ihr völlig fremde Persönlichkeit in ihre Gedanken eingedrungen war, die aber nie die Kontrolle übernommen hatte. Der Eindruck war dadurch noch eigenartiger und erschreckender geworden, daß das Gehirn der Gogleskanerin auch Erfahrungen eines früheren Zusammenschlusses mit einem Verstand enthalten hatte, dessen Erinnerungen noch verwirrender waren, nämlich dem des Terrestriers Conway. Doch das gegenwärtige Gefühl war völlig anders. Die Annäherung und das Eindringen des Wesens waren sanft, beruhigend und sogar angenehm gewesen und hatten bei Cha Thrat den Eindruck eines durch lebenslange Erfahrung perfektionierten Vorgangs hervorgerufen. Aber wie sie selbst schien nun auch der Eindringling von dem Inhalt ihres teils sommaradvanischen, teils gogleskanischen und teils terrestrischen Verstands höchst verwirrt zu sein und hatte deswegen Mühe, ihren Körper zu steuern. Sie war sich über seine Absichten noch immer nicht im klaren, hatte aber kaum Zweifel, daß sie noch sie selbst war und mit jeder Sekunde mehr und mehr über den Alien erfuhr.
Murchison brach als erste das Schweigen. „Wir haben doch Schutzanzüge und Schneidbrenner“, sagte sie. „Warum entgiften wir den Raum nicht selbst, indem wir alle Scheiben, auch die auf dem Nacken der Technikerin, verbrennen und Cha Thrat zur Behandlung hierherholen, solange noch etwas von ihrem Verstand übrig ist? Die Hospitalärzte können später die Entgiftung abschließen, wenn wir.“
„Nein!“ unterbrach sie der Captain in bestimmtem Ton. „Wenn einer von Ihnen auf das fremde Schiff geht, darf er nicht mehr zurück!“
Cha Thrat wollte sich nicht einmischen, weil mit dem Sprechen eine leichte geistige Anstrengung verbunden gewesen wäre, die zu einer Blockierung des Bereichs ihres Gehirns geführt hätte, der nach ihrem Wunsch aufnahmefähig bleiben sollte. Statt dessen machte sie mit den unteren Armen die Geste, die zur Geduld aufforderte, aber dann fiel ihr ein, daß diese für Nicht-Sommaradvaner keine Bedeutung hatte, und bediente sich des terrestrischen Zeichens, indem sie eine nach vorn gerichtete Handfläche hochhielt.
„Ich bin völlig durcheinander“, meldete sich Prilicla plötzlich. „Freundin Cha Thrat hat keine Schmerzen oder geistig-seelische Beschwerden. Sie verspürt irgendeinen ganz dringenden Wunsch, aber die emotionale Ausstrahlung ist typisch für jemanden, der sich angestrengt bemüht, gelassen zu bleiben und die übrigen Gefühle unter Kontrolle zu halten.“
„Aber sie hat sich nicht unter Kontrolle“, fiel ihm Murchison ins Wort. „Sehen Sie sich doch an, wie sie mit den Armen herumgefuchtelt hat. Sie vergessen, daß die Empfindungen und Emotionen nicht mehr Cha Thrats eigene sind.“
„Freundin Murchison, wer von uns beiden ist hier eigentlich das Wesen, das für Emotionen empfänglich ist?“ rügte Prilicla sie, wie es sanfter nicht möglich war. „Freundin Cha Thrat, versuchen Sie zu sprechen. Was sollen wir für Sie tun?“
Eigentlich wollte Cha Thrat ihnen sagen, daß sie alle endlich den Mund halten und sie in Ruhe lassen sollten, doch brauchte sie dringend die Hilfe des Teams, aber diese Bitte hätte nur noch mehr Fragen, Unterbrechungen und geistige Verwirrung hervorgerufen. Ihr Gehirn war ein brodelndes Gemisch aus Gedanken, Eindrücken, Erfahrungen und Erinnerungen, die nicht nur ihre eigene Vergangenheit auf Sommaradva betrafen, sondern auch die der Heilerin Khone und des Diagnostikers Conway. Darin stolperte der Neuankömmling wie ein ungebetener Gast in einem großen, üppig möblierten, aber nur unzulänglich beleuchteten Haus herum, untersuchte einige Gegenstände und schreckte vor anderen wiederum zurück. Wie Cha Thrat wußte, war jetzt nicht die Zeit, ihn einfach gewähren zu lassen.
Am besten wäre es vielleicht, wenn sie einige der Fragen des Teams beantwortete und gerade soviel sagte, daß man den Mund hielt und das tat, was sie wollte.
„Ich befinde mich nicht in Gefahr und habe auch keine körperlichen oder seelischen Beschwerden“, antwortete Cha Thrat vorsichtig. „Wenn ich will, kann ich jederzeit die volle Gewalt über meinen Verstand und Körper zurückerlangen, aber ich habe mich entschlossen, das nicht zu tun, weil ich es nicht riskieren will, die geistige Verbindung durch zu langes Sprechen abzubrechen. Ich möchte, daß Chefarzt Prilicla und Pathologin Murchison so schnell wie möglich zu mir kommen. Die FGHJs sind im Moment nicht wichtig, genausowenig wie das Betäubungsmittel oder die Suche nach dem anderen Überlebenden, denn der.“
„Nein!“ schrie Fletcher dazwischen, und seine Stimme klang, als ob ihm jeden Moment übel werden würde. „Diese Dinger sind mit allen Wassern gewaschen. Merken Sie denn nicht, wie hinterhältig die versuchen, Cha Thrat dazu zu bringen, uns erst in Sicherheit zu wiegen, um uns dann zu sich hinüberzulocken? Wenn Sie beide erst mal in deren Gewalt sind, wird es bestimmt noch bessere Gründe geben, daß der Rest von uns zu Ihnen kommt oder Sie darauf bestehen, zurückzukehren, um die gesamte Besatzung der Rhabwar in den gleichen Zustand zu versetzen wie die FGHJs. Nein, es wird keine weiteren Opfer geben.“
Cha Thrat versuchte, diese Einwände zu überhören, da sie in ihrem Kopf zu Gedankengängen führten, die den Neuankömmling beunruhigten und von einer echten Verständigung mit ihr abhielten. Ganz vorsichtig hob sie die hintere Mittelgliedmaße und beugte sie so, daß der große Finger auf die Scheibe deutete, die ihr am Nacken klebte.
„Das hier ist der Überlebende“, behauptete sie, „der einzige Überlebende.“
Auf einmal empfand der Fremde in ihrem Kopf eine ungeheure Befriedigung und Beruhigung, als wäre er überglücklich, endlich seine Notlage erfolgreich verständlich gemacht zu haben. Wie Cha Thrat feststellte, konnte sie jetzt auch sprechen, ohne dabei die Angst zu spüren, daß er sich von ihr lösen, eingehen und vielleicht sterben könnte.
„Er ist schwer krank“, fuhr Cha Thrat fort, „konnte aber, als ich den Raum betreten habe, für einen kurzen Augenblick das Bewußtsein und die Bewegungsfähigkeit wiedererlangen. In diesem Moment entschloß er sich zu einem letzten verzweifelten Versuch, für seine Freunde und die ihrer Verantwortung unterstehenden Wirtswesen Hilfe zu beschaffen. Die ersten, ungeschickten Bemühungen, Kontakt herzustellen, waren der Grund für die unkoordinierten Bewegungen meiner Gliedmaßen. Daß er der einzige Überlebende ist, hat der Alien erst in den vergangenen Minuten bemerkt.“
Niemand, nicht einmal der Captain, sagte jetzt ein Wort. „Deshalb brauche ich Prilicla zur Überwachung der emotionalen Ausstrahlung des Aliens aus nächster Nähe“, fuhr Cha Thrat fort, „und Murchison zur Untersuchung der toten Freunde des Aliens, weil ich hoffe, daß sie die Todesursache feststellt und eine Behandlungsmethode findet, bevor der Alien nicht mehr zu heilen ist.“
„Nein“, widersprach der Captain erneut mit Vehemenz. „Die Geschichte klingt zwar gut und insbesondere für einen Haufen ET-Ärzte faszinierend, aber das könnte dennoch ein Trick sein, um weitere Besatzungsmitglieder der Rhabwar unter geistige Kontrolle zu bekommen. Tut mir leid, Cha Thrat, aber das können wir nicht riskieren.“
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