„Was unsere offenherzige Freundin Ihnen hätte mitteilen sollen, ist, daß wir uns bei Cresk-Sar nach etwaigen Konsequenzen für Sie erkundigt haben“, ergriff der Hudlarer das Wort. „Er wollte uns allerdings keine eindeutige Antwort geben und hat uns nur erklärt, daß Sie nicht so sehr daran schuld seien, irgendwelche Regeln des Hospitals verletzt zu haben, sondern vielmehr Regeln, die es gar nicht gibt und an die niederzuschreiben niemand auch nur im Traum gedacht hätte. Wie er sagt, sei die Entscheidung, was mit Ihnen letztendlich geschehen soll, nach oben weitergeleitet worden, und Sie könnten sehr bald mit einem Besuch von O'Mara rechnen.
Als wir ihn gefragt haben, ob wir Ihnen Vorlesungsmaterial mitbringen dürften, hat Cresk-Sar leider nein gesagt“, beendete er seine Ausführungen entschuldigend.
Es machte keinen Unterschied, wie einem die Nachricht beigebracht worden war, dachte Cha Thrat, nachdem die beiden gegangen waren, schlecht blieb sie so oder so. Doch der plötzliche, kratzende Klang des Kommunikators an ihrem Bett hielt sie davon ab, zu lange über ihre Probleme nachzudenken.
Es war Patient AUGL-Eins-Sechzehn, der mit Oberschwester Hredlichlis Hilfe vom Eingang zur AUGL-Station aus in einen der Kommunikatoren des dortigen Personalraums schrie. Er begann damit, sich dafür zu entschuldigen, daß er Cha Thrat nicht besuchen könne, da seine Physiologie und die Umweltbedingungen dies nicht zuließen, und erzählte ihr dann, wie sehr er ihre Besuche vermisse — dem terrestrischen Zauberer O'Mara fehle einfach ihre verständnisvolle Art und vor allem der notwendige Charme — und er hoffe, sie werde möglichst bald wieder gesund, ohne körperlichen oder seelischen Schaden davonzutragen.
„Es ist alles in bester Ordnung“, log sie ihn an. Es war nicht gut, einen Patienten mit den Problemen einer Ärztin zu belasten, auch wenn diese Ärztin nur den Rang einer Schwesternschülerin bekleidete und vorübergehend selbst Patientin war. „Wie geht es Ihnen?“
„Sehr gut, danke“, antwortete der Chalder in einem Ton, der begeistert klang, obwohl seine Worte Cha Thrat durch zwei Kommunikatoren, einen Translator und eine beachtliche Menge Wasser erreichten. „O'Mara sagt, daß ich schon sehr bald entlassen werden soll und zu meine Familie zurückkehren kann und schon mal anfangen soll, mich mit der Raumbehörde auf Chalderescol II wegen meiner alten Arbeitsstelle in Verbindung zu setzen. Für einen Chalder bin ich nämlich immer noch relativ jung, und ich fühle mich wirklich ausgezeichnet.“
„Das freut mich sehr für Sie, Eins-Sechzehn“, entgegnete Cha Thrat, wobei sie absichtlich seinen Namen vermied, weil vielleicht andere zuhörten, die ihn nicht beim Namen nennen durften. Zudem war sie überrascht, welch überwältigende Gefühle sie für dieses Wesen empfand.
„Ich habe die Schwestern über Sie sprechen hören“, fuhr der Chalder fort, „und es scheint, daß Sie in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. Ich hoffe, es wendet sich für Sie alles zum Guten, doch falls das nicht der Fall sein sollte und Sie das Hospital verlassen müssen. Na ja, Sie sind hier draußen so weit von Sommaradva entfernt; wenn Sie auf Ihrem Flug nach Hause Lust haben sollten, mal einen anderen Planeten zu sehen, würde meine Familie sich freuen, Sie so lange bei sich zu beherbergen, wie Sie möchten. Wir auf Chalderescol II sind in technologischer Hinsicht fast auf dem neuesten Stand, und die synthetische Herstellung Ihrer Nahrung und die Fertigung eines Lebenserhaltungssystems für Sie wäre überhaupt kein Problem.
Chalderescol II ist ein wunderschöner Planet“, fügte er hinzu, „viel, viel schöner als diese AUGL-Station.“
Als der Chalder schließlich die Verbindung abbrach, lehnte sich Cha Thrat müde, aber nicht niedergeschlagen oder unglücklich in die Kissen zurück und dachte an die Wasserwelt von Chalderescol II. Vor ihrer Arbeit auf der AUGL-Station hatte sie das Video aus der Krankenhausbibliothek über diesen Planeten sorgfältig studiert, um sich mit den Patienten über deren Heimat unterhalten zu können. Folglich war ihr diese Welt nicht mehr ganz unbekannt. Die Vorstellung, dort zu leben, war aufregend, und sie wußte, daß sie als Außerplanetarierin, die Muromeshomon mit seinem Namen ansprechen durfte, von seiner Familie und seinen Freunden herzlich empfangen werden würde, egal, wie lang oder kurz ihr Aufenthalt dort wäre. Doch waren solche Gedanken auch unangenehm, weil sie von der Grundvoraussetzung ausgingen, daß sie das Hospital verlassen müßte.
Statt dessen fragte sie sich lieber, wie der normalerweise schüchterne und liebenswürdige Chalder die scharfzüngige Hredlichli dazu gebracht hatte, den Kommunikator des Personalraums benutzen zu dürfen. Hatte er sie womöglich durch die Drohung, die Station ein zweites Mal zu verwüsten, zur Hilfe gezwungen? Oder war sein Anruf, was wahrscheinlicher war, von O'Mara befürwortet oder sogar vorgeschlagen worden?
Das war ebenfalls ein unangenehmer Gedanke, der sie aber nicht wachzuhalten vermochte. Die anhaltende Beschwörung des terrestrischen Zauberers beziehungsweise die Arznei, die er ihr verschrieben hatte, oder beides zusammen hatte noch nichts von seiner tückischen Wirkung verloren.
Im Laufe der folgenden Tage erhielt Cha Thrat Besuche von verschiedenen Klassenkameraden und, wenn es die physiologischen Umstände zuließen, auch von kleinen Gruppen. Cresk-Sar kam gleich mehrere Male, wollte aber wie alle anderen Besucher keinesfalls über medizinische Themen sprechen. Dann trafen eines Tages der Psychologe O'Mara und der Diagnostiker Conway gemeinsam ein, die sich wiederum über nichts anderes unterhalten wollten.
„Guten Morgen, Cha Thrat, wie geht es Ihnen?“ fragte der Diagnostiker, wie sie es im voraus gewußt hatte.
„Sehr gut, danke“, antwortete sie, wie Conway es im voraus gewußt hatte. Danach wurde sie der wohl gründlichsten körperlichen Untersuchung unterzogen, die sie je erlebt hatte.
„Ihnen ist inzwischen wahrscheinlich klar, daß diese Untersuchung nicht unbedingt notwendig war“, sagte Conway, als er Cha Thrat wieder mit dem Betttuch zudeckte. „Aber für mich war das die erste Gelegenheit, mir die physiologische Klassifikation DCNF einmal ganz genau von oben bis unten anzusehen — und nicht nur eine der Gliedmaßen. Vielen Dank, das war sehr interessant und äußerst lehrreich.
Aber da Sie nun wieder vollkommen gesund sind“, fuhr er mit einem raschen Seitenblick auf O'Mara fort, „und nur noch ein bißchen Heilgymnastik brauchen werden, bevor Sie wieder diensttauglich sind, was sollen wir da mit Ihnen machen?“
Cha Thrat hatte den Verdacht, daß die Frage rhetorisch gemeint war, aber sie wollte sie dennoch unbedingt beantworten. „Es. es hat Irrtümer und Mißverständnisse gegeben“, stammelte sie ängstlich. „Das wird bestimmt nicht wieder vorkommen. Ich würde gerne am Hospital bleiben und meine Ausbildung fortsetzen.“
„Ausgeschlossen!“ widersprach Conway in scharfem Ton. Mit ruhigerer Stimme fuhr er fort: „Sie sind eine ausgezeichnete Chirurgin, Cha Thrat — eventuell sogar eine ganz bedeutende Kapazität auf Ihrem Gebiet. Sie zu verlieren wäre eine geradezu schändliche Vergeudung von Talent. Aber bei Ihren eigenartigen Vorstellungen, wie man sich dem Berufsethos entsprechend verhält, kommt es gar nicht in Frage, Sie weiterhin im medizinischen Stab zu beschäftigen. Im Hospital gibt es keine einzige Station, die Sie noch zur praktischen Ausbildung aufnehmen würde. Selbst Segroth hat das nur getan, weil O'Mara und ich sie darum gebeten hatten.
Ich halte meine Vorlesungen ja gerne so interessant und aufregend wie möglich ab“, fügte Conway hinzu, „aber alles hat, verdammt noch mal, seine Grenzen!“
Bevor einer der beiden die schicksalhaften Worte aussprechen konnte, die Cha Thrats Laufbahn am Hospital beenden würden, fragte sie schnell: „Und was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die garantiert, daß ich mich in Zukunft vernünftig verhalte? In einer meiner ersten Unterrichtsstunden sind diese Schulungsbänder behandelt worden, durch die man Alienphysiologie und — medizin lernt und die Dinge aus dem Blickwinkel einer anderen Spezies betrachtet. Wenn ich das Band einer Spezies im Kopf speichern könnte, die in Ihren Augen eine akzeptablere Vorstellung vom Berufsethos hat als wir Sommaradvaner, würde ich bestimmt nicht mehr in Schwierigkeiten geraten.“
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