»Hören Sie jetzt mal zu«, Cecil lehnte sich vor. Miles tat es ihm unwillkürlich gleich. »Wenn Sie es fertigbringen, einfach sechs Monate lang auf einem isolieren Posten hier unten sich nichts zuschulden kommen zu lassen — frei heraus gesagt, wenn Sie beweisen, daß Sie mit Camp Permafrost fertig werden, dann nehme ich an, daß Sie mit allem fertigwerden, was die Streitkräfte Ihnen auferlegen könnten. Und dann werde ich Ihren Antrag auf Versetzung zur Prinz Serg befürworten. Aber wenn Sie es vermasseln, dann gibt es nichts, was ich oder irgend jemand anderer für Sie tun kann. Untergehen oder schwimmen — Sie haben die Wahl, Fähnrich.«
Und ich mag Sie auch, Sir . »Aber … Infanterie. Meine physischen Grenzen … werden meinen Dienst nicht behindern, wenn man sie in Betracht zieht, aber ich kann nicht so tun, als wären sie nicht da. Oder ich könnte genauso gut von einer Mauer herunterspringen, mich sofort dabei umbringen und so allen Zeit sparen.« Verdammt, warum hat man mich drei Jahre lang einen Platz in den teuersten Unterrichtsräumen von Barrayar einnehmen lassen, wenn man die Absicht hatte, mich direkt umzubringen? »Ich hatte immer angenommen, daß sie in Betracht gezogen würden.«
»Meteorologie-Offizier ist eine technische Spezialaufgabe, Fähnrich«, beruhigte ihn der Major. »Niemand wird versuchen, Ihnen ein komplettes Marschgepäck aufzuhalsen und Sie so plattzumachen. Ich bezweifle, daß es in den Streitkräften einen Offizier gibt, der gerne dem Admiral den Grund für Ihren Tod erklären möchte.« Seine Stimme wurde etwas kühler. »Das ist Ihre Rettung, Mutant.«
Cecil war ohne Vorurteil: er testete nur. Testete immer. Miles zog den Kopf ein. »Wie ich vielleicht die Rettung für die Mutanten bin, die nach mir kommen.«
»Sie haben sich das so ausgerechnet, nicht wahr?« Cecils Blick wurde plötzlich forschend, leicht zustimmend.
»Schon vor Jahren, Sir.«
»Hm.« Cecil lächelte leicht, stieß sich vom Schreibtisch ab, kam auf Miles zu und streckte die Hand aus. »Dann viel Glück, Lord Vorkosigan.«
Miles schüttelte die Hand. »Danke, Sir.« Er blätterte den Stapel Reiseausweise durch und sortierte sie.
»Welches ist Ihre erste Station?«, fragte Cecil.
Wieder testete er. Das mußte ein verdammter Reflex bei ihm sein.
Miles antwortete unerwarteterweise: »Das Archiv der Akademie.«
»Aha!«
»Um mir das Meteorologie-Handbuch der Streitkräfte auf Diskette zu kopieren. Und ergänzendes Material.«
»Sehr gut. Übrigens, Ihr Vorgänger auf dem Posten wird noch ein paar Wochen bleiben, um Ihre Einführung abzuschließen.«
»Ich bin außerordentlich froh, das zu hören, Sir«, sagte Miles aufrichtig.
»Wir versuchen nicht, es unmöglich zu machen, Fähnrich.«
Lediglich sehr schwierig . »Ich bin auch froh, das zu wissen, Sir.«
Zum Abschied salutierte Miles fast wie ein Untergebener.
Die letzte Strecke zur Insel Kyril reiste Miles in einem großen automatischen Luftfrachtshuttle mit einem gelangweilten Reservepiloten und achtzig Tonnen Nachschub. Den größten Teil dieser einsamen Reise verbrachte er mit hektischem Pauken über das Wetter. Da der Flugplan wegen stundenlanger Verzögerungen an den beiden letzten Ladeaufenthalten bald durcheinandergeriet, fand sich Miles zu dem Zeitpunkt, als das Shuttle endlich rumpelnd auf Basis Lazkowski landete, beruhigenderweise in seinen Studien weiter fortgeschritten, als er es erwartet hatte.
Die Türen des Frachtraums öffneten sich und ließen das wässerige Licht einer Sonne herein, die sich am Horizont herumdrückte. Die Hochsommerbrise war etwa fünf Grad über dem Gefrierpunkt. Die ersten Soldaten, die Miles sah, waren eine Mannschaft von Männern in schwarzen Overalls, die unter Anleitung eines müde aussehenden Korporals mit Verladegeräten auf die Fähre zukamen. Niemand schien speziell dazu abkommandiert zu sein, einen neuen Wetteroffizier abzuholen.
Miles schlüpfte in seinen Parka und näherte sich ihnen. Ein paar der schwarzgekleideten Männer, die ihm zusahen, wie er von der Rampe herunterhüpfte, machten untereinander Bemerkungen in barrayaranischem Griechisch, einem Minderheitendialekt irdischen Ursprungs, der in der Epoche der Isolation gründlich verwildert war. Da Miles von seiner Reise müde war und der Ausdruck auf ihren Gesichtern, den er nur allzu gut kannte, ihn warnte, entschied er sich prompt, alles zu ignorieren, was sie miteinander redeten. Er gab einfach vor, ihre Sprache nicht zu verstehen. Plause hatte ihm sowieso oft genug gesagt, er habe im Griechischen einen abscheulichen Akzent.
»Schaut mal! Ist das ein Kind?«
»Ich habe ja gewußt, daß sie uns junge Offiziere schicken, aber das ist ein neuer Rekord.«
»He, das ist kein Kind. Das ist eine Art Zwerg. Bei dem hat die Hebamme wohl daneben gegriffen. Schaut euch den mal an, das ist ein Mutant!«
Miles bemühte sich, seinen Blick nicht den Urhebern dieser Bemerkungen zuzuwenden. Die waren sich zunehmend sicher, daß er sie nicht verstand, und gingen vom Flüsterton zu normaler Lautstärke über.
»Und was macht der dann in einer Uniform, na?«
»Vielleicht ist er unser neues Maskottchen.«
Die alten genetischen Ängste waren so tief eingewurzelt und selbst jetzt noch so beherrschend, daß einer zu Tode geprügelt werden konnte von Leuten, die nicht einmal genau wußten, warum sie ihn haßten, sondern einfach von der Erregung eines Gruppenfeedbacks mitgerissen wurden.
Miles wußte sehr gut, daß der Rang seines Vaters ihn immer geschützt hatte, aber sozial weniger gut gestellten Behinderten konnten schlimme Dinge passieren. Da hatte es vor gerade zwei Jahren einen gräßlichen Vorfall im Altstadtbezirk von Vorbarr Sultana gegeben, wo man einen verarmten Krüppel aufgefunden hatte, der von einer Bande Betrunkener mit einer zerbrochenen Weinflasche kastriert worden war.
Man hielt es schon für einen Fortschritt, daß es einen Skandal darum gab und daß das Ganze nicht einfach hingenommen wurde. Vor kurzem hatte eine Kindstötung im eigenen Distrikt der Vorkosigans das Problem noch drastischer aufgezeigt. Ja, ein höherer Rang, ob sozial oder militärisch, hatte seine Vorteile. Miles war entschlossen, alles zu erreichen, was er konnte, bevor er fertig war.
Er zupfte seinen Parka zurecht, so daß seine Offiziersabzeichen am Kragen deutlich sichtbar wurden. »Hallo, Korporal. Ich habe Befehl, mich bei einem Leutnant Ahn zu melden, dem Meteorologie-Offizier der Basis. Wo kann ich ihn finden?«
Miles wartete einen Herzschlag lang auf den korrekten Gruß des Korporals. Es dauerte eine Weile, der Korporal glotzte immer noch auf ihn herab. Schließlich dämmerte es ihm, daß Miles vielleicht wirklich ein Offizier war.
Verspätet salutierte er. »Entschuldigen Sie … äh … was haben Sie gesagt, Sir?«
Miles erwiderte den Gruß höflich und wiederholte seine Worte in ruhigem Ton.
»Aha, Leutnant Ahn, richtig. Gewöhnlich versteckt er sich — das heißt, gewöhnlich ist er in seinem Büro. Im zentralen Verwaltungsgebäude.«
Der Korporal schwang seinen Arm herum, um auf einen zweistöckigen Plattenbau zu zeigen, der aus einer Reihe halbvergrabener Lagerhäuser am Ende des Rollfeldes etwa einen Kilometer entfernt herausragte. »Sie können es nicht verfehlen, es ist das höchste Gebäude auf der Basis.« Außerdem, bemerkte Miles, gut gekennzeichnet durch die Ansammlung verschiedenster Antennen, die auf dem Dach aufragten. Sehr gut.
Sollte er nun sein Gepäck diesen Trotteln übergeben und darum beten, daß es ihm dann zu seinem endgültigen Ziel folgte, wo immer das auch sein mochte? Oder ihre Arbeit unterbrechen und einen Ladewagen für den Transport abkommandieren? Einen Augenblick lang stellte er sich vor, wie er auf dem Vorderteil dieses Dings stand wie die Galionsfigur eines Segelschiffs und zusammen mit einer halben Tonne ›Unterwäsche, Warm, Lang, 2 Dutzend pro Kiste, Ausführung Nr. 6.774.932‹ zur Begegnung mit seiner Bestimmung geschoben wurde. Da entschied er sich, seinen Sack zu schultern und zu Fuß zu gehen.
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