„Das Mädchen ist schon ziemlich vernünftig, und Ihr Sohn ist bestimmt kein Kind mehr; er ist so groß wie Sie.“
„Wir erreichen unsere endgültige Größe schon nach einem Jahr“, antwortete der Drommianer.
„Mein Sohn ist vier — das entspricht einem menschlichen Alter von etwa sieben Jahren. Ich habe die Menschen immer für ziemlich fortgeschritten gehalten, aber wenn ein Trottel wie Sie mit einer solchen Verantwortung betraut wird, sind mir die primitivsten Wilden lieber. Wenn meinem Sohn etwas zustößt…“
Er machte eine Pause, denn Flanagan war von dem Bildschirm verschwunden, ohne das Ende der Strafpredigt abzuwarten. Aber der Drommianer war noch nicht fertig; er wandte sich jetzt an Raeker, der ihn erschrocken anstarrte.
„Ich dachte, Ihre Rasse sei zivilisiert. Wenn diese unglaubliche Dummheit das erwartete Ergebnis hat, wird die Erde dafür büßen müssen. Wir werden dafür sorgen, daß keines Ihrer Schiffe je wieder auf einem Planeten landet, der mit uns in freundschaftlicher Verbindung steht. Überall wird man die Menschen wegen ihrer abgrundtiefen Dummheit verachten und sie…“
Er wurde unterbrochen, aber nicht durch gesprochene Worte. Aus dem Lautsprecher drang ein dumpfer Knall, und verschiedene Gegenstände, die auf dem Bildschirm sichtbar waren, prallten plötzlich gegen das nächste Schott. Sie fielen zurück, flogen aber alle in die gleiche Richtung — auf die Luftschleuse der Pinasse zu, wie Raeker erschrocken feststellte.
Ein Buch segelte vorüber und stieß mit einem Metallinstrument zusammen, das langsamer flog.
Aber dieser Aufprall war nicht mehr zu hören. Aus dem Lautsprecher drang kein Geräusch mehr; in der Pinasse herrschte lautlose Stille — die Stille des eisigen Vakuums.
Nick Chopper stand in der Tür der Hütte und dachte nach. Hinter ihm lagen die sieben anderen Überlebenden und verbanden sich gegenseitig ihre Wunden. Nick selbst war nicht ohne Schrammen davongekommen, aber er konnte noch immer gehen — und notfalls kämpfen, überlegte er wütend. Bis auf Jim und Nancy waren die übrigen für einige Tage außer Gefecht gesetzt.
Er sah ein, daß Fagin recht gehabt hatte, als er Swifts Forderungen erfüllt hatte; so hatte Nick immerhin für seine verwundeten Freunde sorgen dürfen. Aber wenn Nick an den Überfall zurückdachte, hätte er den Kampf am liebsten sofort wieder aufgenommen.
Aber er grübelte nicht nur darüber nach, sondern überlegte tatsächlich ernsthaft. Zum erstenmal in all diesen Jahren bezweifelte er, daß Fagin die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie der Lehrer den Höhlenbewohnern entfliehen würde, nachdem er nicht einmal in den Kampf hatte eingreifen können. Eine nächtliche Flucht war sinnlos; die Wilden würden ihn morgens verfolgen und einholen.
Dann fiel ihm ein, daß die Höhlenbewohner Fagin eigentlich nichts anhaben konnten. Das harte weiße Zeug, aus dem der Lehrer bestand, bot vielleicht einen ausreichenden Schutz gegen Messer und Speere.
Wahrscheinlich verstellte Fagin sich nur, weil er Nick und den anderen nicht schaden wollte; aber wenn er allein bei den Höhlenbewohnern war, würde er bestimmt anders reagieren.
Nick hätte sich gern mit Fagin darüber unterhalten, wenn Swift nicht gewesen wäre. Natürlich konnte der Wilde sie nicht gut belauschen, weil er kein Englisch verstand, aber er würde wissen, was Nick vorhatte, und ihn daran hindern. Wenn man Swift fernhalten konnte — aber wenn das möglich war, gab es ohnehin keine anderen Schwierigkeiten mehr. Das Hauptproblem bestand eben darin, daß man mit Swift nicht umgehen konnte.
Unterdessen war es Nacht geworden; der Regen hatte bereits eingesetzt. Nick sah, daß die Angreifer bei den Feuern Schutz gesucht hatten, beobachtete aber auch, daß sie sich nicht weiter um die Feuer kümmerten. Er hob den Kopf und sah zu den riesigen Regentropfen auf, die aus dem nachtschwarzen Himmel herabsanken, und verfolgte einen, bis er dreihundert Meter über ihm verdunstete.
Nick beobachtete weiter und stellte fest, daß eines der Feuer erlosch, ohne daß die Wilden sich darum gekümmert hätten. Keiner machte eine Bewegung, das Feuer wurde nicht wieder entzündet. Sekunden später hatte Nick seinen Plan gefaßt.
Er trat aus der Tür und ging zu der Hütte hinüber, in der das Holz gelagert wurde. Dort lud er sich so viel auf, wie er schleppen konnte, und kehrte damit in seine Hütte zurück. Die Wilden kümmerten sich nicht weiter um ihn; seit der Waffenstillstand geschlossen worden war, hatten sie kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Nick zündete ein Feuer im Inneren der Hütte an. Dann holte er noch mehr Holz, aber diesmal nahm er eine Fackel mit, die er in den Holzstoß steckte, als wolle er bei der Arbeit Licht haben.
Schließlich war seine Hütte voll Holz, so daß er keines mehr zu holen brauchte.
Aber er ließ die Fackel zurück.
Das Holz auf Tenebra brennt langsam und allmählich wie Zunder; deshalb dauerte es verhältnismäßig lange, bis ein Lichtschein anzeigte, daß der gesamte Holzstoß Feuer gefangen hatte. Aber die Angreifer reagierten selbst dann nicht. Sie lagerten in der Nähe des Roboters, der wie üblich in der Mitte des Dorfes stand.
Unterdessen war bereits die Hälfte der Feuer erloschen, und Nick hatte den Eindruck, daß die Wilden allmählich unruhig zu werden begannen. Als wieder ein Feuer ausging, wurden besorgte Stimmen laut, und Nick lachte leise vor sich hin. Er konnte sich vorstellen, daß Swift in Schwierigkeiten geriet, wenn seine Männer sahen, daß sie dem Regen schutzlos ausgesetzt waren. Wenn die Leute sich nicht beruhigen ließen, mußte der Häuptling etwas unternehmen; Nick wußte, daß Swift nichts anderes übrigblieb, als ihn um Hilfe zu bitten. Das würde ein schwerer Schlag für den selbstbewußten Wilden sein.
Aber Nick hatte den Anführer der Höhlenbewohner unterschätzt. Swift erteilte einige Befehle, woraufhin seine Männer zu einem Feuer rannten, das noch immer brannte. Sie rissen lange Äste aus den Flammen, trugen sie zu den erloschenen Feuern hinüber und setzten sie ohne die geringste Schwierigkeit wieder in Brand.
Offenbar schliefen die Höhlenbewohner doch nicht die ganze Nacht durch, denn irgend jemand mußte Nick beobachtet haben. Wenn sie auch begriffen hatten, daß die Feuer gelegentlich Holz brauchten … Sie hatten es begriffen, denn jetzt warfen sie Holz auf die Feuer. Aber zuviel Holz; Nick stellte zufrieden fest, daß die kleinen Stöße neben jedem Feuer nicht ausreichen würden. Bisher schien noch niemand bemerkt zu haben, daß der Vorratsstapel ebenfalls brannte; Swift würde scharf überlegen müssen, wenn die Reserven verbraucht waren.
Er bewies, daß er dazu fähig war. Glücklicherweise war Nick wach geblieben, denn Swifts Männer machten keine weiteren Umstände. Sie kamen einfach.
Zu Nicks Überraschung waren sie alle unbewaffnet, aber trotzdem kamen sie ohne zu zögern näher, als erwarteten sie, daß er zur Seite treten würde. Als er keine Anstalten dazu machte, blieben sie dicht vor ihm stehen. Ihr Anführer schien etwas sagen zu wollen, aber Nick kam ihm zuvor.
„Was wollt ihr? Meine Freunde sind verwundet und können euch nicht helfen. In unserer Hütte ist kein Platz mehr. Geht zu den anderen, wenn ihr einen Unterschlupf sucht.“
„Swift schickt uns nach Holz.“ Der Wilde sprach ruhig, aber in seiner Stimme lag eine versteckte Drohung, die Nick keineswegs entging.
„Der Vorrat in der Hütte reicht kaum noch für mein eigenes Feuer aus. Ihr müßt Holz von den anderen Haufen holen.“
„Sie sind aufgebraucht.“
„Das ist nicht meine Schuld. Ihr wißt, daß Holz im Feuer verbrennt; ihr hättet sparsamer damit umgehen müssen.“
„Du hast uns nichts davon gesagt. Swift läßt dir ausrichten, daß du uns etwas von deinem Holz abgeben mußt. Außerdem sollst du uns sagen, wieviel wir nachlegen dürfen.“
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