Fowler Schocken strahlte, und ich setzte wieder Ausdruck Nummer Eins auf. Neben Harvey saß Tildy Mathis, Personalchefin, von Schocken persönlich ausgesucht. Aber bei Direktionssitzungen erteilte er Frauen nicht das Wort, und neben Tildy saß ich.
Ich sortierte im Geiste gerade meine Eröffnungsworte, als mich Fowler Schocken mit einem Lächeln befreite. Er sagte: »Ich werde nicht jede Abteilung um Berichterstattung bitten. Wir haben keine Zeit. Aber ich habe Ihre Antwort, meine Herren. Eine Antwort, die mir gefällt. Bisher haben Sie jeder Herausforderung getrotzt. Und jetzt – biete ich Ihnen eine neue Herausforderung.«
Er drückte auf einen Knopf an seinem Schaltbrett und schwenkte seinen Drehstuhl herum. Das Licht ging aus; der projizierte Picasso hinter Schockens Sessel verschwand und die gefleckte Oberfläche des Bildschirms wurde sichtbar. Ein neues Bild begann sich zu formen.
Ich hatte an jenem Tage bereits etwas Ähnliches gesehen, und zwar in den Nachrichten, auf dem Bildschirm über meinem Rasierspiegel.
Es war die Venusrakete, ein dreihundert Meter langes Monstrum, das aufgedunsene Kind der schlanken V-2S und der untersetzten Mondraketen der Vergangenheit. Auf einem Gerüst aus Stahl und Aluminium wimmelte es von winzigen Gestalten, die mit winzigen, blauweißen Schweißflammen hantierten. Es war offensichtlich ein altes Bild; es zeigte die Rakete in einem früheren Konstruktionsstadium, das Wochen oder Monate zurücklag, nicht aufgerichtet und startklar, wie ich sie gesehen hatte.
Eine Stimme vom Bildschirm sagte triumphierend und ungenau: »Dieses Schiff wird eine Brücke zu den Sternen schlagen!« Ich erkannte die Orgelstimme eines Kommentators aus der Abteilung »Aurale Wirkung«, der Text stammte ohne Zweifel aus Tildys Büro. Diese geniale Schlampigkeit, die Venus mit einem Stern zu verwechseln, konnte nur aus Tildys Abteilung kommen.
»Dieses Schiff wird von einem modernen Kolumbus durch den Weltraum gesteuert«, sagte die Stimme. »Sechseinhalb Millionen Tonnen eingefangener Blitz und Stahl – eine Arche für achtzehnhundert Männer und Frauen und alles was sie brauchen, um sich eine neue Welt zur Heimat zu machen. Wer wird mitfliegen? Welche glücklichen Pioniere werden dem reichen, frischen Boden einer anderen Welt ein Imperium entreißen? Ich werde sie Ihnen vorstellen – ein Mann und seine Frau, zwei unerschrockene…«
Die Stimme sprach weiter. Ein neues Bild wurde eingeblendet, eine geräumige, gutbürgerliche Wohnkabine am frühen Morgen.
Der Mann schob gerade das Bett beiseite und ließ die Trennwände zur Kinderecke herunter; die Frau holte Frühstück und stellte den Tisch auf. Am Frühstückstisch (für jede Person selbstverständlich ein Becher dampfendes Coffiest) redeten sie beschwörend aufeinander ein, sprachen davon, wie klug und tapfer es doch sei, sich um einen Platz in der Venusrakete zu bewerben. Und die abschließende Frage der Jüngsten (Mammi, wenn ich groß bin, kann ich meine kleinen Jungen und Mädchen dann auch an einen so hübschen Ort wie die Venus bringen?) leitete über zu einem Bildschnitt und einer Reihe höchst fantasievoller Aufnahmen von der Venus, wie sie einmal aussähe, wenn das Kind erwachsen sein würde – grüne Täler, kristallene Seen, ein herrliches Gebirgspanorama.
Der Kommentator verschwieg die jahrzehntelange Wasserkultur und das Leben in hermetisch geschlossenen Kabinen, das die Pioniere in Kauf nehmen müßten, während sie in der Atmosphäre, in der man nicht atmen konnte, und an der wasserlosen Chemie der Venus arbeiteten, zwar nicht ausdrücklich, aber er ging auch nicht näher darauf ein.
Instinktiv hatte ich den Zeitnehmer auf meiner Uhr eingestellt, als der Film begann. Als er zu Ende war, schaute ich nach: neun Minuten! Dreimal so lang wie jeder normale Werbefilm. Eine volle Minute länger als uns normalerweise genehmigt wurde.
Erst als das Licht wieder eingeschaltet war, die Zigaretten brannten und Fowler Schocken wieder zu sprechen anhub, wurde mir allmählich klar, wie das hatte passieren können. Er begann in der umständlichen, langatmigen Weise, die zu unserer Branche gehört. Er lenkte unsere Aufmerksamkeit auf die Geschichte der Werbung – von der einfachen Aufgabe, fertige Waren zu verkaufen, bis zum gegenwärtigen Problem, neue Industrien zu schaffen und die Lebensweise der Welt neu zu gestalten, um den Bedürfnissen des Handels zu entsprechen. Mehr als einmal erwähnte er, was wir, die Fowler Schocken AG, geschaffen hatten. Und dann sagte er:
»Es gibt ein altes amerikanisches Sprichwort: ›Die Welt ist unsere Auster.‹ Wir haben es wahr gemacht. Doch wir haben die Auster gegessen.« Langsam drückte er seine Zigarette aus. »Wir haben sie gegessen«, wiederholte er. »Wir haben die Welt wirklich und wahrhaftig erobert. Wie Alexander weinen wir nach neuen Welten, die es zu erobern gibt. Und dort«, er deutete auf den Bildschirm hinter sich, »dort haben Sie gerade die erste dieser Welten gesehen.«
Während wir noch damit beschäftigt waren, das, was Fowler Schocken gerade verkündet hatte, zu verdauen, sprang Runstead auf.
»Meine Herren«, sagte er leidenschaftlich, »dies ist wahrlich das Werk eines Genies. Nicht einfach Indien. Nicht einfach eine Ware. Ein ganzer Planet wird verkauft. Ich gratuliere Ihnen, Fowler Schocken – der Clive, der Bolivar, der John Jacob Astor einer neuen Welt!«
Matt war , wie ich bereits sagte, der erste, aber wir alle erhoben uns und sagten nacheinander dasselbe. Ich auch.
Als wir alle durch waren, drückte Fowler Schocken auf einen anderen Knopf und zeigte uns eine Karte. Er erklärte sie sorgfältig, Stück für Stück; er zeigte uns Tabellen, Grafiken und Diagramme der gesamten neuen Abteilung der Fowler Schocken AG, die eingerichtet werden sollte, um die Entwicklung und Ausbeutung des Planeten Venus zu leiten. Er sprach über die langwierigen Vorarbeiten, die Lobby und das Freundschaftswerben beim Kongreß; auf diese Weise hatten wir das Exklusivrecht zur Nutzung des Planeten erlangt – und allmählich wurde mir klar, warum er ohne weiteres einen Werbefilm von neun Minuten Länge senden könnte.
Aber schließlich schaltete er den Projektor ab und sagte: »Das war’s. Das ist unser neuer Werbefeldzug. Und er beginnt sofort. Ich habe nur noch eines zu sagen, dann gehen wir alle an die Arbeit.«
Fowler Schocken ist ein guter Schauspieler. Er suchte umständlich nach einem Stück Papier, um einen Satz abzulesen, den der unfähigste unserer Texter aus dem Handgelenk geschüttelt hätte. »Präsident der Venus-Sektion«, las er vor, »ist Mitchell Courtenay.«
Und das war die allergrößte Überraschung, denn Mitchell Courtenay bin ich.
Ich blieb noch drei oder vier Minuten bei Fowler, während die übrigen Direktoren wieder in ihre Büros zurückkehrten; die Fahrt im Lift nach unten in mein Büro im sechsundachtzigsten Stock dauerte nur wenige Sekunden. Hester räumte bereits meinen Schreibtisch aus, als ich ankam.
»Herzlichen Glückwunsch, Mr. Courtenay«, sagte sie. »Sie ziehen jetzt in den neunundachtzigsten. Ist das nicht herrlich? Und ich habe auch ein eigenes Büro!«
Ich bedankte mich und zog mir den Telefonapparat heran. Als erstes mußte ich meine Mannschaft um mich scharen und die Zügel der Produktion in andere Hände legen; Tom Gillespie war Rangältester. Zuvor aber rief ich schnell bei Kathy an. Ich erhielt noch immer keine Antwort und ließ meine Mitarbeiter kommen.
Es tat ihnen wirklich leid, daß ich ging, aber ebenso sehr freuten sie sich darüber, daß jeder auf einen besseren Posten rückte.
Und dann war Mittagszeit; ich verschob die Probleme des Venusprojektes auf den Nachmittag.
Ich telefonierte, aß schnell in der Kantine, fuhr mit dem Fahrstuhl zur Haltestelle hinunter und dann sechzehn Blöcke weiter nach Süden. Als ich ausstieg, war ich zum erstenmal an diesem Tag an der frischen Luft und holte meine Anti-Ruß-Stöpsel heraus, allerdings ohne sie zu benutzen. Es nieselte etwas und die Luft war sauberer als sonst. Ich mußte mir einen Weg durchs Gewühl bahnen und verschwand dann in einem Haus.
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