Der Wiedereintritt des Schaumbades in die irdische Zeit geschah eine Stunde und fünfundvierzig Minuten später. Trotz der Zeitdifferenz von zehn Stunden und fünfundvierzig Minuten war das Wasser noch genauso heiß, wie es beim Überwechseln in die chronomische Einheit gewesen war, und der Schaum war noch genauso blasig. Ein paar Blasen quollen sogar über den Rand des Badezubers und blieben auf der Bühne kleben. Beim Anblick dieser heißen Blasenpracht führte der Professor einen kleinen Tanz auf. Liza, die auch ihren Teil zu diesem Festakt beitragen wollte, zog ihren Kittel aus und tauchte genießerisch in das heiße Wasser ein. Der Anblick von seifenglänzenden Brüsten und Schenkeln, die von Gardenienschaum garniert waren (selbstverständlich mit wissenschaftlichem Hintergrund), ermutigten Professor Krawschensky so sehr, daß er es für angebracht hielt, seine Hose ebenfalls auszuziehen. Der Morgen hatte anstrengende Arbeit gebracht, und er hatte eine Erholungspause wohl verdient. Er und Liza beschäftigten sich rund vierzig Sekunden miteinander. Sie hielten das beide für einen geeigneten Klimax. Liza erwartete zwar nicht viel davon und wurde in dieser Hinsicht auch nicht enttäuscht. Igor erwartete viel und erhielt mehr, als er gedacht hatte. Tatsächlich glaubte er sogar einen Augenblick lang, ihm würde der Kopf bei zu hohem Blutdruck zerspringen.
Es war der Anfang einer neuen Ära in ihren Laborbeziehungen. (Und zugleich das Ende, da Erfolg, Seife und Liza Simmons sich nie mehr zu so einer anregenden Konstellation vereinigten.)
Währenddessen wartete David Silberstein vergeblich auf einen Anruf der Polizei. Doch als sich auch nach dem Mittagessen noch kein Beamter wegen des Vorfalls auf dem Fluß am Abend zuvor bei ihm beschwerte, beschloß er, von sich aus die Initiative zu ergreifen. Silberstein wollte sich nicht den Anschein geben, als weiche er irgendwelchen Konsequenzen aus.
Auch wenn die Verbindungen des Gründers allmächtig waren, konnte es bestimmt nicht schaden, wenn man richtige, wohlmeinende Schritte unternahm. Er rief fünfmal bei der Polizei an, und fünfmal sagte ihm die Vermittlung, die Polizei sei besetzt. Als er endlich mit ihr verbunden wurde, teilte ihm ein Beamter mit abgehetzter Stimme mit, der Chef sei leider nicht erreichbar. Als David sich nicht damit abfinden wollte, sagte der Beamte kurz angebunden: »Ist Ihnen nicht bewußt, Sir, daß wir seit dem Ausbruch der Epidemie ununterbrochen im Einsatz sind?«
David: »Nein … nein, das wußte ich gar nicht.« Doch die Leitung war bereits tot.
David legte auf. So bald schon. Eine Epidemie. So früh also schon … Er saß da und starrte aus dem Fenster. Man hätte ihm das schon früher melden müssen. Irgend jemand mußte doch am Radio oder am Fernseher etwas davon erfahren haben. Es sei denn, daß die Regionalverwaltung die Sache herunterspielte, um eine Panik zu vermeiden, und abwartete. Konsum und Vollbeschäftigung war oberstes Gebot, und wenn in einem der traditionellen Urlaubsgebiete die Gesundheitskontrolle versagte, konnte das böse finanzielle Folgen haben. Vielleicht hatte man die Zeitungen gar nicht von der Epidemie unterrichtet. David saß am Schreibtisch und biß sich auf die Fingernägel. Egal, wie sehr man mit einem Ereignis gerechnet hatte, egal, wie oft man sich die Konsequenzen ausgemalt hatte, es war doch ein Schock, wenn es eintrat. Außerdem hätte ihm jemand Bescheid geben sollen … Er drehte das Radio an, doch BBC brachte nur sein übliches leichtes Musikprogramm für alle. Er drehte das Radio leise und rief Sergeant Cole an. Er solle seine Leute alarmieren, sagte David, weil man mit Schwierigkeiten rechnen müsse. Die Fernsehspione an der Mündung des Pill seien vierundzwanzig Stunden in Betrieb zu halten. Er kam in Schwung, zeigte, daß der Job des Projektleiters genau seine Kragenweite war. Er rief das Hospital an und ließ eine Massenimpfung vorbereiten. Er rief das Lagerhaus an und befahl, ihm eine genaue Aufstellung aller Lebensmittelvorräte zu übermitteln. Dann ließ er zum Chefingenieur durchstellen und beauftragte ihn, alle halbe Stunde an der Mündung des Pill Wasserproben zu entnehmen und zu analysieren. Auch die Leute vom Wasserwerk wurden alarmiert, denn das Dorf verfügte über eine eigene, große Wasseraufbereitungsanlage, falls die öffentliche Versorgung nicht mehr richtig funktionierte. Jetzt war der Augenblick da, wo er zeigen konnte, wie fähig er war. Er genoß ihn.
Schließlich schaltete er die Dorfsprechanlage ein, an die jedes Haus angeschlossen war, und ließ das Band mit seinem Rufzeichen abspielen. Er mochte Schubert nicht und schon gar nicht dessen Forellenquintett; doch der Gründer (ein Mann mit leichtem Geschmack) hatte darauf bestanden. In jedem Büro, jedem Laden, in jeder Werkstätte, in jeder Wohnung (außer in Roses Varcos Wohnhöhle, bei dem eine solche Anlage nur eine verschwendete Ausgabe gewesen wäre) ertönte das banale Leitmotiv. David Silberstein räusperte sich. Seine Worte würden Geschichte machen, und er wußte es auch.
»Ich halte den Zeitpunkt für gekommen, wo wir die Zugbrücke hochziehen müssen. Wie Sie wahrscheinlich alle wissen, hat die Umweltverschmutzung in den letzten Wochen stetig zugenommen. Heute habe ich die Mitteilung bekommen, daß irgendeine Epidemie in St. Kinnow ausgebrochen sein soll. Um was für eine Art von Epidemie es sich dabei handelt, habe ich noch nicht feststellen können. Sie wissen wahrscheinlich auch, daß die Beziehungen zwischen den Bewohnern der Stadt und uns sich in letzter Zeit verschlechtert haben. Wir können also nicht mehr mit dem Wohlwollen unserer Nachbarn rechnen. Wie Sie ebenfalls wissen, hatten wir für diesen Fall schon vor vielen Monaten vorgesorgt. Deshalb werden wir in Ruhe abwarten können.
Von jetzt ab ist jeder persönliche Kontakt mit der Außenwelt verboten. Wir schicken auch keine Post hinaus und empfangen keine Post mehr. Wer von Ihnen Verwandte in der Außenwelt hat, bekommt bestimmte Termine zugeteilt, an denen er mit seinen Verwandten telephonieren kann, da wir unsere Vermittlung nicht überlasten dürfen. Auch werden die Gehälter in Zukunft nicht mehr in bar ausgezahlt, sondern Sie erhalten Kreditscheine.
Die Sanitätsabteilung bereitet bereits eine Massenimpfung vor, und wir teilen Ihnen noch mit, wann die Impfung stattfinden wird. Doch jeder von Ihnen, der sich in den letzten achtundvierzig Stunden aus irgendwelchen Gründen außerhalb der Dorfgrenze aufgehalten hat, muß sich sofort im Krankenhaus melden. Wenn unser Arzt eine Quarantäne für notwendig hält, werden diese Leute vorübergehend im Krankenhaus zur Beobachtung isoliert. Das ist eine Maßnahme, die im Interesse der Gesundheit unserer Gemeinde unerläßlich ist.
Im übrigen gibt es keinen Anlaß, sich Sorgen zu machen. Die Verwaltung ist selbstverständlich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir haben unsere eigene Wasser- und Elektrizitätsversorgung, und unsere Lebensmittelvorräte reichen mindestens für ein halbes Jahr. Die Luftverschmutzung wird ständig überwacht, und das Seewasser wird ebenfalls ständig kontrolliert, damit schädliche Stoffe rechtzeitig ausgefiltert werden können. Auch Atemmasken gegen Luftverschmutzung liegen bereit, obwohl ich es für unwahrscheinlich halte, daß wir diese Gesichtsmasken in absehbarer Zukunft tragen müssen. Allerdings müssen wir damit rechnen, daß Unruhestifter und böswillige Leute aus der Umgebung unser Dorf angreifen werden. Doch unsere Verteidigungsanlagen sind so organisiert, daß sie jeden Angriff abschlagen können. Wenn es zu Schlägereien oder Schießereien kommen sollte, bitte ich Sie alle, in Ihren Häusern zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Unsere Sicherheitstruppe ist hervorragend ausgebildet und weiß genau, wie man solchen Elementen begegnen muß.
Alle Maßnahmen, die jetzt von mir angeordnet wurden, werden noch heute schriftlich bestätigt und vor dem Rathaus ausgehängt. Heute abend um neun Uhr findet ein Gottesdienst statt, in dem wir um Gottes Fürsorge für unser Volk und unseren Staat bitten. Das wäre alles.«
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