Ich wickelte das Taschentuch auf, meine Hand blutete noch immer. Zwecklos, etwas zu unternehmen, bevor die Wunde nicht verkrustet war. Also lehnte ich mich zurück und wartete. Meine Augen ruhten einen Augenblick auf dem Sternstein, den wir als Briefbeschwerer verwendeten. Ich holte ihn her und drehte ihn vor meinen Augen, das seltsame Funkeln, das von ihm ausging, entzückte mich ungemein. Dann streckte ich den Arm in voller Länge auf dem Polster aus, weil meine Hand schwer war und ich meinte, meinem Bizeps würde eine kleine Entlastung auch ganz guttun. Auf diese Weise spielte ich noch eine ganze Weile mit dem Stein. Ich fühlte mich ein wenig schuldig, weil ich ihn mit Blut beschmiert hatte, doch dann gefiel mir die Tatsache doch noch ganz gut, weil das Blut das seltsame Farbenspiel veränderte. Leb wohl, gute Erde.
Ein paar Stunden später erwachte ich wieder, durstig und mit verkrampften Muskeln, die von meiner seltsamen Haltung herrührten. Ich stand auf und ging in die Küche, wo ich mir ein Glas Wasser holte. Auf dem Rückweg durch meine Wohnung schaltete ich sämtliche Lichter aus. Im Schlafzimmer entkleidete ich mich langsam und setzte mich auf den Bettrand. Ich ließ meine Kleider liegen, wo sie hinfielen, kuschelte mich in die Kissen, in denen ich den Rest der Nacht auf angenehmere Weise verbrachte.
Damals hatte ich den Sternstein zuletzt gesehen. Ja.
„Ich erinnere mich“, sagte ich. „Das muß man dem Doktor schon lassen. Er hat die Erinnerungen wieder zurückgeholt. Sie waren von Suff und Müdigkeit verschleiert, aber nun sind sie wieder klar und deutlich.“
„Nicht nur von Suff und Müdigkeit“, widersprach Ragma.
„Wovon dann?“
„Ich sagte, wir haben den Stein gefunden.“
„Ja, das haben Sie gesagt. Aber die Erinnerung daran wurde nicht wieder geweckt. Ich erinnere mich nur, wann ich ihn das letzte Mal sah, nicht, was daraus geworden ist.“
Paul räusperte sich. Ragma sah ihn an.
„Fahren Sie fort“, sagte er.
„Als ich mit dem Ding arbeitete“, begann Paul, „waren meine Ergebnisse allesamt in keiner Weise zufriedenstellend gewesen. Ich konnte natürlich nicht einfach ein Stück von diesem unschätzbar wertvollen Artefakt wegklopfen, um es zu analysieren. Abgesehen von rein ästhetischen Gründen hätte man das leicht entdecken können. Ich hatte ja keine Ahnung, wie detailliert eine außerirdische Untersuchung der Oberfläche verlaufen würde. Jede von mir vorgenommene Veränderung hätte Ärger bedeuten können. Glücklicherweise war er lichtdurchlässig. Daher konzentrierte ich mich auf die optischen Effekte. Ich fertigte eine gründliche topologische Lichtvermessung der Oberfläche an. Daraus konnte ich mir, zusammen mit seinem Gewicht, ein ungefähres Bild von der Beschaffenheit machen. Obwohl ich mich damals um kaum mehr als die Vervielfältigung kümmern konnte, kam er mir vor wie eine Masse auf seltsame Art und Weise kristallisierter Proteine …“
„Verdammt“, sagte ich. „Aber …“
Ich starrte Ragma an.
„Organisch, durchaus richtig“, sagte der. „Paul hat da nichts Neues entdeckt, diese Tatsache war schon einige Zeit bekannt. Was allerdings niemand vermutet hatte, war, daß das Ding noch immer lebte. Es schlief ganz einfach nur.“
„Lebend? Kristallisiert? Das hört sich nach einem übergroßen Virus an.“
„Zugegeben. Aber ein Virus verfügt nicht über Intelligenz, dieses Ding dagegen – auf gewisse Weise – schon.“
„Ich verstehe, worauf sie hinauswollen“, sagte ich. „Aber was soll ich nun Ihrer Meinung nach tun? Mich aufregen? Oder einfach zwei Aspirin nehmen und zu Bett gehen?“
„Weder noch. Ich muß jetzt für Doktor M’mrm’mlrr sprechen, da er beschäftigt ist und wir Ihnen die Situation mit raschen Worten erläutern müssen. Beim ersten Versuch, in Ihre Erinnerungen einzudringen, wurde er in einen Schockzustand versetzt, und zwar von einem Bewußtsein, das mit dem Ihren koexistierte und auf dessen Gegenwart er sich natürlich nicht hatte vorbereiten können. In Ausübung seines Berufes hat er mittlerweile die Gehirne aller bekannten Lebensformen der Galaxis kennengelernt, aber etwas Derartiges war ihm bisher noch nie aufgefallen. Er bezeichnete es als etwas Unnatürliches.“
„Unnatürlich? In welcher Beziehung?“
„In rein technischer Weise. Er hält es für eine künstliche Intelligenz, ein synthetisches Bewußtsein. Solche Dinge wurden von vielen Völkern konstruiert, verglichen mit diesem sind sie aber alle relativ simpel.“
„Was für eine Funktion hat meines?“
„Das wissen wir noch nicht. Als M’mrm’mlrr zum zweiten Mal in Ihren Geist eindrang, war er auf den Eindringling vorbereitet.
Das Geschöpf ist selbst telepathisch begabt. Es konnte damals auf unserem Schiff unsere Sprache für Sie übersetzen, daher haben Sie uns verstanden. Man sagte mir, das könnte zu zusätzlichen Komplikationen führen, was dann auch der Fall war. Er drang ungestört in Ihren Verstand ein und erfuhr auch soviel über den Fremdling, daß wir eine ungefähre Vorstellung haben, wie wir ihn behandeln müssen. Danach machte er sich daran, Ihre Erinnerungen in bezug auf den Stein zu erforschen. Das half uns sehr, wir konnten uns mit diesem Wissen ein eigenes Bild machen. Augenblicklich ist er damit beschäftigt, das Geschöpf in einer mentalen Stasis zu halten, bis alles bereit ist.“
„Alles bereit? Was soll das heißen?“
„Das werden wir in Kürze erfahren. Alles hängt mit der Natur des Dinges zusammen. Ausgehend von M’mrm’mlrrs Informationen hat Paul ein paar Vorschläge ausgearbeitet, wie wir vorgehen können.“
Paul nutzte die entstehende Gesprächspause, um nachzuhaken. „Ja. Stellen Sie es sich folgendermaßen vor: Sie haben eine synthetische Lebensform, die mittels isometrischer Inversionen ein- und ausgeschaltet werden kann. Der eingeschaltete Zustand, charakterisiert durch die Lebensfunktionen, ist ein Produkt der Linksdrehung. Das ist, wie Sie wissen, die normale Eigenschaft der Aminosäuren hier auf der Erde. Man nennt sie L-Aminosäuren. Wandelt man sie in ihre Stereoisomere-D-Aminosäuren – um, dann wird unser Freund ausgeschaltet. Als ich den Sternstein untersuchte, da wiesen die optischen Effekte auf die dextrale Situation „Aus“ hin. So weit, so gut. Etwas in dieser Richtung hatte ich natürlich nicht vermutet, aber mittlerweile wissen wir einiges mehr. Wie wir wissen, hatten Sie in der Nacht, als Sie den Sternstein mit Blut besudelt haben, getrunken. Wir wissen, daß Alkohol ein symmetrisches Molekül hat. Wenn er mit dem Objekt in einem Stadium reagieren konnte, dann konnte er das auch im anderen. Das ist entweder eine Nachlässigkeit im Design oder aber ein bewußt eingefügte Eigenschaft. Das wissen wir nicht. Wie M’mrm’mlrr erfuhr, konnte das Wesen mit Ihnen am besten in Gegenwart dieses Moleküls kommunizieren, es scheint also eine Art Konversationsstimulans zu sein. Wie auch immer, Sie gefielen ihm, und Sie konnten es auch teilweise aktivieren, und so drang es durch Ihre Wunde in Ihren Organismus ein. Danach lag es sehr lange schlafend in Ihrem Inneren, da Sie kein ausgesprochener Trinker sind. Nur hin und wieder wurde es durch leichten Alkoholgenuß etwas stimuliert und versuchte mit Ihnen in Kontakt zu treten. Das Medikament, das Ragma Ihnen nach Ihrem Australienaufenthalt gab, enthielt Spuren von Äthylalkohol, die es kurze Zeit aktivierten. In der Nacht, als Sie mit Hal tranken, erfolgte der Durchbruch. Es konnte Sie dazu bringen, sich mittels der Rhenniusmaschine umkehren zu lassen. Danach waren Sie natürlich invers, aber das Wesen war aktiviert. Das genau geschah. Gegenwärtig funktioniert es also ganz normal in Ihnen, aber Ragma zufolge ist es mit Ihrer Gesundheit nicht zum Besten bestellt. Wir müssen das Ding aus Ihrem Organismus entfernen und Sie wieder umkehren.“
„Können Sie das?“
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