Dann: „Ich habe keine Zigaretten mehr“, sagte ich, als wir uns der Rezeption näherten, natürlich erst, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß kein Zigarettenautomat in der Nähe war.
„Schlechte Angewohnheit“, sagte er.
Das Mädchen am Empfang war wesentlich mitfühlender; sie sagte mir sofort, wo ich das Gewünschte finden konnte. Ich bedankte mich, ließ mir die Zimmernummer geben und sagte zu Nadler, ich sei in ein paar Minuten wieder zurück.
Natürlich wandte ich mich unverzüglich dem nächsten Telefon zu, rief Merimee an und sagte ihm, wo ich war.
„Gut. Betrachten Sie alles als erledigt“, sagte er mir. „Übrigens, ich glaube unsere Klienten sind ebenfalls in der Stadt. Einer meiner Angestellten glaubt, sie gesehen zu haben.“
„Ganz schön schnell, die Burschen.“
„Unglücklicherweise. Trotzdem … keine Sorge. Schlafen Sie gut. Adieu.“
„Gu’ nacht.“
Ich ging zu den Fahrstühlen, fuhr hoch in die richtige Etage und suchte mein Zimmer. Da ich keinen Schlüssel hatte, klopfte ich.
Eine Weile passierte überhaupt nichts. Dann, gerade, als ich ein zweites Mal klopfen wollte, antwortete Nadlers Stimme: „Wer ist da?“
„Ich, Cassidy“, antwortete ich.
„Kommen Sie rein. Es ist offen.“
Da ich seine Stimme erkannt hatte und auch schon rechtschaffen müde war, trat ich ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen ein. Ein Fehler, der jedem hätte passieren können.
„Ted! Was zum Teufel ist …“ Da hatte mich auch schon ein Tentakel am Bein geschnappt, ein weiterer wand sich um meine Schulter. „… los?“ fragte ich.
Ich wurde in die Luft gehoben.
Natürlich wehrte ich mich. Wer hätte das nicht getan? Aber das Ding zerrte mich trotzdem gut zwei Meter in die Höhe und brachte mich über seinem alles andere als attraktiven Selbst in eine waagerechte Position. Danach bemühte es sich, mich auf den Kopf zu stellen, so daß mein Gesichtsfeld von seiner graugrünen Masse dominiert wurde, seinem schleimigen Ursprung und seinen Auswüchsen. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, als wolle es mir etwas antun, noch bevor es seine Freßklappen geöffnet und mir deren feuchtes, rötliches und unheilschwanger geiferndes Inneres gezeigt hatte.
Ich stieß einen Schrei aus und zerrte an den Tentakeln. Plötzlich spürte ich so etwas wie ein siedendheißes, rotes Aufwallen hinter meinen Augenlidern, das in meinem Gehirn auf und ab wogte. Nacktes Entsetzen packte mich, ich zuckte konvulsivisch in meinen lebenden Fesseln.
Dann hörte ich ein lautes, grelles Pfeifen, das pulsierende Gefühl verschwand aus meinem Schädel, die Tentakel sackten in sich zusammen, ich stürzte auf den Teppich, wobei ich nur knapp dem Rand des Schleimsees entging. Ein paar Spritzer bekam ich natürlich trotzdem ab, während die schlaffen Tentakel um mich herabbaumelten. Ich stöhnte und rieb mir die Schultern.
„Er ist verletzt!“ hörte ich eine Stimme rufen, die ich als die von Ragma identifizierte.
Ich drehte den Kopf, um mich der Sympathie zu versichern, die mir da auf kleinen pelzigen und großen beschuhten Füßen entgegengeeilt kam. Langsam verschwand auch meine Angst wieder.
Aber Ragma, in seinem Hundekostüm, sowie Nadler und Paul Byler rannten an mir vorbei zu der militanten Pflanze, auf die sie sofort hektisch einsprachen. Ich krabbelte in eine Ecke, wo ich wieder auf die Beine kam, allerdings noch ziemlich angeschlagen. Ich stieß alle Obszönitäten hervor, die mir einfielen, wurde aber ignoriert. Schließlich wischte ich mir achselzuckend den Schleim von der Jacke, schleppte mich in einen Stuhl und zündete mir eine Zigarette an. Ich betrachtete die Show.
Sie hoben die schlaffen Tentakel an, die sie manipulierten und massierten. Ragma verschwand im Nebenzimmer, von wo er einen Scheinwerfer mitbrachte, den er an eine Steckdose anschloß und auf das Ding richtete. Danach holte er einen Zerstäuber und besprühte die schlaffen Tentakel. Er rührte den Schleim um und schüttete ein paar Chemikalien hinein.
„Was könnte schiefgelaufen sein?“ fragte Nadler.
„Keine Ahnung“, entgegnete Ragma. „Hier! Ich glaube, er kommt wieder zu sich.“
Die Tentakel bewegten sich wie geschockte Schlangen. Die Blätter öffneten und schlossen sich in rascher Folge, das ganze Ding erbebte. Schließlich richtete es sich wieder auf, spreizte alle Extremitäten, zog sie wieder ein, streckte sie noch einmal ab und entspannte sich dann wieder.
„Schon besser“, kommentierte Ragma.
„Interessiert sich jemand dafür, wie es mir geht?“ fragte ich.
„Sie!“ fuhr er mich an. „Was haben Sie eigentlich dem armen Doktor M’mrm’mlrr angetan?“
„Wiederholen Sie bitte. Mein Gehör scheint etwas angeschlagen zu sein.“
„Was haben Sie dem armen Doktor M’mrm’mlrr angetan?“
„Danke. Dann habe ich doch richtig gehört. Verdammt, wenn ich das nur wüßte. Wer ist denn eigentlich dieser Doktor Mur-mur?“
„M’mrm’mlrr“, korrigierte er. „Doktor M’mrm’mlrr ist der telepathische Analytiker, den ich herbringen ließ, um Sie zu untersuchen. Wir bekamen eine gute Verbindung und konnten ihn daher früher als erwartet herbeischaffen. Und Sie gefährden ihn, kaum daß Sie ihn das erste Mal gesehen haben.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dieses Ding“, wandte ich mich ungläubig an ihn, „ist ein Telepath?“
„Nicht jeder ist ein Angehöriger des Pflanzenreiches, wie Sie es definieren“, antwortete er. „Der Doktor ist ein Angehöriger einer Lebensform, die sich von der Ihren total unterscheidet. Was ist schlimm daran? Haben Sie eine Abneigung gegenüber Pflanzen?“
„Nein, aber ich habe eine Abneigung dagegen, gefesselt, angegriffen und in die Luft geschleudert zu werden.“
„Der Doktor praktiziert eine Technik, die als Angriffstherapie bezeichnet wird.“
„Dann sollte er sich aber vorher die Erlaubnis holen, da nicht jeder Patient ein Pazifist sein dürfte. Ich weiß nicht, was ich getan habe, aber ich bin froh, daß ich es getan habe.“
Ragma wandte sich ab, legte den Kopfschief, als würde er ein altes Trichtergrammophon studieren, dann wandte er sich wieder an mich. „Es geht ihm besser. Er möchte eine Weile meditieren. Wir sollen den Raum verlassen und das Licht anlassen. Es wird nicht zu lange dauern.“
Die Tentakel zitterten, dann wurden sie alle in den Lichtkegel der Lampe gerückt. Doktor M’mrm’mlrr wurde still.
„Warum versucht er seine Patienten anzugreifen?“ fragte ich. „Damit kann er seiner Praxis bestimmt keinen guten Ruf verschaffen.“
Seufzend wandte Ragma sich wieder an mich.
„Er tut das nicht, um seine Patienten einzuschüchtern“, erklärte er mir. „Er tut es, um ihnen zu helfen. Ich nehme an, es überfordert Sie, sich das jahrhundertelange Philosophieren seines Volkes über diesen Punkt vorzustellen.“
„Ja“, gab ich zu.
„In der Theorie kann jede Primäremotion als mnemomolekularer Schlüssel verwendet werden. Der gefühlvolle Einsatz erfordert dabei aber einen Telepathen wie ihn, da sein Volk über außerordentliche Erfahrung auf dem telepathischen Sektor verfügt. Nun hat sich herausgestellt, daß Furcht in der Regel der signifikanteste Schlüssel zu den Ängsten und Problemen seiner Patienten ist. Daher kann er, indem er einen Fluchtimpuls weckt, diese selbst aber unmöglich macht und so den Patienten frustriert, die gewünschten Emotionen erzeugen und den Patienten für seine Therapie ausreichend stimulieren. Auf diese Weise kann er das emotionale Umfeld in einer einzigen Therapiestunde sondieren.“
„Verspeist er seine Fehler?“ fragte ich mißtrauisch.
„Er hat keine Kontrolle über sein animalisches Erbe“, entgegnete Ragma. „Verstehen Sie?“ Dann: „Entschuldigung, ich vergaß – Sie verstehen das natürlich.“
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