Dann lief er in derselben Richtung wie bisher weiter – damit jeder, der etwa seiner Spur mit einem anderen Hund folgen wollte, irregeführt wurde. Hundert Meter von dem hohlen Baumstamm entfernt setzte er sich und wartete, während der Parasit überlegte.
Jetzt hatte er nichts mehr zu befürchten, falls die Männer wirklich in die Höhle zurückkehrten, um dort zu graben. Aber sollte er Buck noch eine Weile als Wirt behalten? Er dachte darüber nach und entschied dagegen. Buck hatte seinen Zweck erfüllt, aber wenn er weiterhin in ihm blieb, hatte er nur Bucks Sinne zur Verfügung; in diesem Fall konnte er keine anderen möglichen Wirte mehr untersuchen und sich auf sie vorbereiten.
Buck trottete weiter und beschrieb dabei allmählich einen Bogen, bis er wieder in Richtung auf die Straße lief.
Am Straßenrand wartete er, bis ein Auto vorbeifuhr. Dann – im letzten Augenblick, bevor der Fahrer auch nur den Fuß auf das Bremspedal setzen konnte – sprang er mit einem Satz vor die Räder.
Wenige Sekunden später (Buck war auf der Stelle tot) befand der Parasit sich wieder in seinem eigenen Körper und dachte über alles nach, was er diesmal getan hatte. Dabei kam er zu dem Schluß, daß er keinen Fehler gemacht hatte.
Das stimmte auch – bis auf einen, der nicht vorherzusehen gewesen war. Er hätte Buck auf ein anderes Auto warten lassen sollen. Der Fahrer des Wagens, unter dessen Rädern Buck verendet war, hieß Ralph S. Staunton – Dr. phil., Dr. rer. nat. und Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology.
Doc Staunton wirkte nicht sehr eindrucksvoll. Er war klein, kaum einssiebzig und wog nicht mehr als sechzig Kilo. An seinen kurzgeschnittenen grauen Haaren war zu erkennen, daß er bereits über fünfundvierzig sein mußte, aber sein drahtiger, durchtrainierter Körper und sein beweglicher Geist ließen ihn wesentlich jünger erscheinen. Auffällig waren vor allem seine Augen, weil sie so unglaublich jung erschienen, wenn er lachte – was er oft und gern tat.
Im Augenblick befand er sich im Urlaub und war dementsprechend bequem und nachlässig gekleidet. Außerdem war er ziemlich unrasiert. In diesem Zustand hätte wohl niemand vermutet, daß Staunton einer der besten Wissenschaftler und brillantesten Köpfe Amerikas sein könnte.
Doc Staunton fluchte leise vor sich hin, als er den Wagen zum Stehen brachte. Er hatte keine Schuld an dem Unfall; er hatte ihn nicht verhindern können, aber trotzdem bedauerte er das arme Tier aufrichtig. Was war nur mit dem Hund los gewesen? Wieso war er geradewegs vor das Auto gelaufen? Selbst wenn er sich nicht umgesehen hatte, ob auf der Straße Verkehr herrschte, hätte er diesen Wagen doch zumindest hören müssen – nachdem das Motorengeräusch die über der Landschaft liegende Stille deutlich genug durchbrach. Doc Staunton fuhr einen uralten Kombiwagen, den er sich vor zwei Wochen in Green Bay gekauft hatte. Der Kaufpreis war so lächerlich gering gewesen, daß er das Auto am Ende seines Urlaubs als Schrott verkaufen konnte, ohne allzuviel Geld einzubüßen. Jedenfalls kam er auf diese Weise wesentlich billiger weg, als wenn er sich für diese sechs Wochen einen Wagen gemietet hätte.
Er schaltete die Zündung aus, öffnete die Autotür und ging die wenigen Schritte zu dem überfahrenen Hund zurück. Dabei hoffte er, daß das Tier nicht noch lebte, denn es mußte auf jeden Fall schwere Verletzungen erlitten haben, als es von beiden Rädern auf der rechten Seite des Wagens überrollt worden war. Der Hund lag bewegungslos im Straßenstaub und gab keinerlei Lebenszeichen von sich, als Staunton sich über ihn beugte.
»Tut mir leid, alter Knabe«, sagte Doc, als wolle er sich entschuldigen. »Jetzt werde ich wohl deinen Herrn benachrichtigen müssen.«
Er wollte den Hund schon an den Beinen hochheben, um ihn in den Straßengraben zu legen, aber dann richtete er sich wieder auf und dachte nach. Das Tier mußte auf jeden Fall begraben werden – entweder von ihm oder von seinem vorläufig noch unbekannten Eigentümer –, aber wenn er es jetzt hier liegen ließ, würden vermutlich die Krähen über den Kadaver herfallen. Andererseits hatte er eine alte Plane im Wagen, in die er das Tier einwickeln konnte, um es nach Bartlesville mitzunehmen. Ja, das war die beste Lösung, deshalb machte er sich sofort an die Arbeit und verstaute den toten Hund im Gepäckraum hinter den Rücksitzen des Wagens.
Als er wenig später in verschiedenen Läden einkaufte, beschrieb er den Hund, der ihm vor die Räder gelaufen war, und fand schließlich jemand, der ihm sagen konnte, daß dies Gus Hoffmanns Hund gewesen sein mußte. Von demselben Mann erfuhr Staunton auch, daß Hoffmann heute nachmittag in Bartlesville sein würde, weil dort über den Selbstmord seines einzigen Sohnes verhandelt werden sollte.
Doc Staunton hatte noch nie Gelegenheit gehabt, an einer solchen Verhandlung teilzunehmen, deshalb ging er in das Leichenschauhaus hinüber, wo sie gerade erst begonnen hatte. Die zur Verfügung stehenden Stühle waren bereits besetzt, aber einige Männer standen an der rückwärtigen Wand des kleinen Saales, zu denen er sich gesellte.
Charlotte Garner machte ihre Aussage, und Doc war vom ersten Augenblick an geradezu fasziniert. Zunächst nur von der Art und Weise, in der sie ihre Beziehungen zu Tommy Hoffmann freimütig und offen schilderte, dann aber von ihrem Bericht über die Ereignisse, nachdem sie aufgewacht war und nur noch Tommys Kleidungsstücke, aber nicht Tommy selbst neben sich liegen gesehen hatte. Der Coroner wollte sie bereits entlassen, aber sie bat noch einmal um das Wort und erwähnte nun den Vorfall mit der Feldmaus. Vielleicht war die Maus tollwütig gewesen und hatte Tommy angesteckt ...?
Der Coroner ließ sie ausreden, aber bevor er den nächsten Zeugen aufrief, wandte er sich an die Jury und erläuterte die Symptome der Tollwut, wobei er besonders auf die verhältnismäßig lange Inkubationszeit hinwies. Falls die Maus den Jungen wirklich gebissen haben sollte – wofür keinerlei Anzeichen vorhanden waren –, konnte dies unmöglich solche Folgen gehabt haben.
Gus Hoffmann betrat den Zeugenstand als nächster, dann war Jed Garner an der Reihe. Ihre Aussagen stimmten in allen Einzelheiten überein, weil sie die ganze Zeit über beieinander gewesen waren.
Doc Staunton hörte aufmerksam zu, besonders als der Hund namens Buck erwähnt wurde – Buck, der vergangene Nacht die Spur des Jungen aufgenommen hatte, Buck, der die beiden Männer heute morgen zu der Höhle geführt hatte. Zuletzt sagte der Sheriff aus und berichtete über die Ereignisse von dem Zeitpunkt an, wo er von Garner verständigt worden war.
Die Jury zog sich in ein Nebenzimmer zurück, betrat aber den Saal schon nach wenigen Minuten wieder. »Selbstmord im Zustand geistiger Umnachtung«, verkündete der Sprecher als Ergebnis der kurzen Beratung. Die Zuhörer verließen den Raum.
Doc bahnte sich seinen Weg durch die Menschen auf den Mann zu, von dem er annahm, daß er der Besitzer des überfahrenen Hundes sei, aber Gus Hoffmann war bereits verschwunden und hatte Garner und dessen Tochter mitgenommen.
Deshalb wandte Staunton sich an den Sheriff, nannte ihm seinen Namen und berichtete von dem Unfall.
»Vielleicht ist es sogar besser so, Sheriff«, meinte er, »daß ich mit Ihnen, statt mit Mr. Hoffmann darüber spreche. Ich kann mir vorstellen, daß ihn der Verlust seines einzigen Sohnes schwer getroffen hat, deshalb wäre es wahrscheinlich besser, wenn er nicht gleich erfährt, daß sein Hund ebenfalls tot ist. Ich bin der Meinung, man sollte ihn bei dem Glauben lassen, daß der Hund fortgelaufen ist, damit er sich allmählich daran gewöhnt, daß er ihn nicht mehr wiedersehen wird. Was halten Sie von meinem Vorschlag?«
Der Sheriff kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. »Hm ...« Er zögerte.
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