Die Dunkelheit wich von meinen Augen — das Krachen und Poltern einstürzenden Betons wich der Stille — und ich merkte, wie ich erneut in das graue Licht der Zeitreise fiel.
Ein Rucken ging durch das Zeit-Fahrzeug. Ich griff nach dem Schalensitz, wurde aber zu Boden geschleudert und knallte dabei mit Kopf und Schultern gegen eine der Holzbänke. Im Vergleich hierzu waren die Schmerzen, die ich durch den Biß des Morlocks in der Hand verspürte, minimal.
Weißes Licht durchflutete die Kabine und brach wie eine lautlose Explosion über uns herein. Ich hörte den Morlock aufschreien. Meine Sicht war verschwommen und durch das Blut behindert, das an Wangen und Augenbrauen klebte. Durch die Heckklappe und die diversen Sehschlitze drang ein uniformes, blasses Glühen in die vibrierende Kabine; zunächst flackerte es, doch dann verfärbte es sich zu einem ausgebleichten grauen Glühen. Ich fragte mich, ob sich wieder irgendwo eine Katastrophe ereignet hatte: vielleicht wurde diese Entwicklungsabteilung gerade von Flammen verzehrt…
Aber dann erkannte ich, daß die Qualität des Lichts dafür zu stetig, zu neutral war. Ich begriff, daß wir bereits weit von diesem Kriegszeiten-Entwicklungslaboratorium entfernt waren.
Das Glühen war natürlich Tageslicht, dessen Übergänge durch den schnellen Tag- und Nachtwechsel konturenlos und verwaschen waren und vom menschlichen Auge nicht mehr wahrgenommen werden konnten. Wir bewegten uns durch die Zeit; dieses Fahrzeug — obwohl primitiv und schlecht ausgewuchtet — funktionierte korrekt. Ich konnte nicht sagen, ob wir in die Zukunft oder in die Vergangenheit stürzten, aber auf jeden Fall hatte uns das Fahrzeug bereits in einen Zeitabschnitt jenseits der Existenz der Londoner Kuppel befördert.
Ich schob die Hände unter mich und versuchte aufzustehen, aber da war Blut — entweder mein eigenes oder das des Morlocks — auf den Handflächen, und sie glitten unter mir weg. Ich taumelte wieder auf den harten Boden und schlug erneut mit dem Kopf gegen die Bank.
Ich fiel in eine tiefe, bleierne Müdigkeit. Die Belastungen, die ich während der Beschießungen erlitten hatte und die durch die jüngsten Geschehnisse verdrängt worden waren, brachen sich jetzt um so heftiger Bahn. Ich ließ den Kopf auf die Metallstreben des Bodens sinken und schloß die Augen. »Wozu ist das alles überhaupt noch gut?« fragte ich, ohne dabei eine bestimmte Person zu meinen. Moses war tot… verloren, mit Professor Gödel, unter Tonnen von Gestein in diesem zerstörten Labor begraben. Ich hatte keine Ahnung, ob der Morlock tot oder lebendig war; es war mir auch egal. Sollte das Zeit-Fahrzeug mich doch in die Zukunft oder in die Vergangenheit tragen; sollte es einfach weiterfliegen, bis es irgendwann an den Wänden der Unendlichkeit und Ewigkeit in Stücke gerissen wurde! Sollte der Sache ein Ende gemacht werden — ich konnte nichts mehr tun. »Es ist die Kerze nicht wert«, murmelte ich. »Nicht die Kerze wert…«
Ich glaubte, weiche Hände auf den meinen zu spüren, Haar, das über mein Gesicht streifte; aber ich protestierte und — mit letzter Kraft — schob ich die Hände weg.
Ich fiel in einen tiefen, traumlosen, bleiernen Schlaf.
Ich wurde durch heftige Knüffe aufgeweckt und auf dem Kabinenboden durchgeschüttelt. Etwas Weiches lag unter meinem Kopf, aber das glitt weg, und ich schlug mit dem Kopf gegen die harte Kante einer Bank. Diese neuerliche Schmerzwelle ließ mich wieder zu Bewußtsein kommen, und mit einigen Schwierigkeiten setzte ich mich auf.
Mein Kopf schmerzte ziemlich heftig, und mein Körper fühlte sich an, als ob er einen brutalen Boxkampf hinter sich hätte. Aber paradoxerweise schien sich meine Stimmung etwas gebessert zu haben. Moses' Tod beherrschte noch immer meine Gedanken — ein schreckliches Ereignis, und ich wußte, daß ich mich zu gegebener Zeit mit ihm auseinandersetzen mußte — aber nach diesen Momenten der gesegneten Bewußtlosigkeit konnte ich Abstand davon nehmen, wie sich jemand vom grellen Licht der Sonne abwenden und an andere Dinge denken konnte.
Diese trübe, perlige Mischung aus Tag und Nacht durchdrang noch immer das Fahrzeuginnere. Es war ziemlich kalt; ich spürte, wie ich zitterte, und mein Atem kondensierte vor dem Gesicht. Nebogipfel saß, den Rücken mir zugewandt, im Schalensitz des Piloten. Seine weißen Finger fuhren über die Instrumente dieses rudimentären Instrumentenbretts, und er verfolgte den Verlauf der Drähte, die von der Lenksäule herabbaumelten.
Ich stand auf. Das mit dem Echo des Detonationslärms von 1938 kombinierte Schütteln des Fahrzeugs ließ mich schwanken; um mir einen festen Halt zu verschaffen, mußte ich mich an die Gitterrohre der Kabine klammern, und merkte dabei, daß das Metall eiskalt unter meinen bloßen Händen war. Ich sah, daß es sich bei dem weichen Gegenstand, auf den ich meinen Kopf gebettet hatte, um die Jacke des Morlocks handelte. Ich faltete sie zusammen und legte sie auf die Bank. Auf dem Boden erblickte ich den schweren Schraubenschlüssel, mit dem Moses die Plattnerit-Behälter geöffnet hatte. Ich hob ihn mit spitzen Fingern auf; er war blutverschmiert.
Ich trug noch immer die schweren Epauletten; angewidert von diesen Elementen einer Rüstung riß ich sie mir von der Kleidung und warf sie weg.
Durch den Lärm drehte sich Nebogipfel zu mir um, und ich sah, daß seine blaue Brille in zwei Hälften zersprungen und ein großes Auge eine Wunde aus Blut und aufgerissenem Fleisch war. »Bereite dich vor«, empfahl er mir mit belegter Stimme.
»Worauf? Ich…«
Und die Kabine wurde in Dunkelheit gehüllt.
Ich stolperte zurück und wäre fast wieder hingefallen. Eine bittere Kälte zog noch die letzte Wärme aus der Kabine und aus meinem Blut; und mein Kopf begann erneut zu schmerzen. Ich schlang die Arme um den Körper. »Was ist mit dem Tageslicht passiert?«
Die Stimme des Morlock drang fast rauh durch diese völlige Dunkelheit. »Es wird nur ein paar Sekunden dauern. Wir müssen da durch…«
Und, so schnell wie sie gekommen war, wich die Finsternis auch wieder, und das graue Licht drang von neuem in die Kabine. Es war nicht mehr ganz so extrem kalt, aber trotzdem bibberte ich noch erbärmlich. Ich kniete mich neben Nebogipfels Sitz auf den Boden. »Was ist da los? Was war das?«
»Eis«, erwiderte er. »Wir reisen durch ein Zeitalter der Periodischen Vergletscherung; Eisschichten und Gletscher breiten sich nach Süden aus und bedecken das Land — und uns dazu — und schmelzen dann wieder. Ich glaube, daß wir manchmal mindestens hundert Fuß Eis über uns haben.«
Ich schaute durch die Sehschlitze in der Frontpanzerung des Wagens und erspähte dabei ein Themsetal, das sich in eine öde Tundra verwandelt hatte, die nur noch von grobem Gras, hartnäckigen Heidesträuchern und vereinzelten Bäumen bestanden war; diese letzteren zuckten so schnell durch ihre Jahreszyklen, daß ich nicht folgen konnte, aber sie sahen nach den robusteren Spezies aus: Eiche, Weide, Pappel, Ulme und Weißdorn. Von London keine Spur: Ich konnte nicht einmal die Schemen der vergänglichen Gebäude ausmachen, und auch von Menschen war in dieser ganzen grauen Landschaft nichts zu sehen, nicht einmal von Tieren. Selbst die Konturen der Landschaft, die Hügel und Täler kamen mir unbekannt vor, während sie von den Gletschern ständig neu modelliert wurden.
Und nun — ich sah es in einer kurzen Flut weißer Helligkeit auf uns zukommen, bevor es uns verschlang — erschien wieder das Große Eis. Ich fluchte in der Dunkelheit und grub die Hände in die Ellbogen; meine Finger und Zehen wurden taub, und ich begann mich vor Frostbeulen zu fürchten. Als die Gletscher wieder zurückwichen, hinterließen sie eine Landschaft, die, so weit ich sehen konnte, im wesentlichen das gleiche Arrangement widerstandsfähiger Pflanzen aufwies, jedoch vom Eis umgestaltet worden war und mit übermannsgroßen Felsen übersät. Vor meinen Augen schienen die Felsen durch die Landschaft zu wandern und dabei langsam bergauf zu schlittern und zu rollen; hierbei handelte es sich sicher um einen merkwürdigen Effekt der Erosion des Landes.
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