Menschliche Angelegenheiten waren schwieriger …
Als wir endlich wieder am Tappan-See waren, hatte Essie Gelegenheit gehabt, sich auszuruhen, und ich die Zeit und die Übung zu erkennen, was ich sah. Beide waren wir über das Trauma meines Todes etwas hinweggekommen. Ich behaupte nicht, dass wir es ganz überwunden hatten, aber wir konnten zumindest miteinander reden.
Zuerst unterhielten wir uns nur, weil ich Hemmungen hatte, mich meiner lieben Frau als Hologramm zu präsentieren. Dann sagte Essie befehlend: »Also Robin! Es ist nicht mehr auszuhalten, nur mit dir zu reden. Komm her, wo ich dich sehen kann!«
»Ja, tu das!«, befahl mir die andere Essie, die mit mir gespeichert war, und Albert stimmte mit ein:
»Entspann dich einfach und lass es geschehen, Robin! Die Unterprogramme sind alle an der richtigen Stelle.« Trotz alledem erforderte es meinen ganzen Mut, mich zu zeigen. Als ich es endlich fertig brachte, betrachtete mich meine liebe Frau von Kopf bis Fuß und stellte dann fest:
»Ach, Robin. Du siehst ja furchtbar aus!«
Das klingt vielleicht etwas lieblos; aber ich wusste, wie Essie es meinte. Sie wollte nicht kritisieren. Sie hatte Mitleid und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Später mache ich es besser, Liebling«, versprach ich ihr und wünschte, dass ich sie berühren könnte.
»Das wird er bestimmt, Mrs. Broadhead«, versicherte Albert ernsthaft, wodurch ich erst merkte, dass er neben mir saß. »Im Augenblick helfe ich ihm noch, und es ist schwierig, zwei Bilder gleichzeitig zu projizieren. Ich fürchte, beide kommen nicht gut heraus.«
»Dann verschwinde du doch!«, schlug sie vor. Aber er schüttelte den Kopf.
»Robin muss unbedingt üben – und Sie möchten vielleicht einige Zusätze bei der Programmierung vornehmen, glaube ich. Zum Beispiel: Umgebung. Ich kann Robin keinen Hintergrund geben, wenn ich ihn nicht mit ihm teile. Es sind außerdem Verbesserungen nötig bei der vollen Animation, bei der Reaktion in Echtzeit, bei der Konsistenz zwischen den einzelnen Aufnahmen …«
»Ja, ja!«, stöhnte Essie und machte sich in ihrem Arbeitszimmer ans Werk.
Das taten wir anderen auch. Es gab viel zu tun, vor allem für mich.
Ich habe mir über viele Dinge in meiner Zeit Sorgen gemacht, und meistens über die falschen. Den Großteil meines physischen Lebens überschattete die Sorge wegen des Sterbens meine Gedanken – so wie auch in Ihrem Leben. Ich hatte Angst vor der Auslöschung. Mir wurde aber keine Auslöschung zuteil. Ich bekam einen völlig neuen Problemkreis.
Ein toter Mensch hat keine Rechte mehr, müssen Sie wissen. Er kann kein Land besitzen. Er kann keinen Besitz verkaufen. Er kann nicht wählen – weder bei einer Wahl für ein Regierungsamt, noch bei der Abstimmung in der Aktionärsversammlung, selbst wenn er den Hauptanteil der Aktien besitzt. Besitzt er aber nur einen kleinen Anteil – auch wenn dieser sehr einflussreich ist, wie meiner zum Beispiel beim Transportsystem, das neue Siedler auf Peggys Planet schickte –, hört man gar nicht auf ihn. Man könnte sagen, dass er auch ebenso gut tot sein könnte.
Ich hatte aber keine Lust, so tot zu sein.
Das war keine Habgier. Als gelagerte Intelligenz hatte ich sehr wenig Bedürfnisse. Es bestand keine Gefahr, dass man mich abschaltete, weil ich die Elektrizitätsrechnung nicht bezahlen konnte. Ich wurde von ganz anderen, viel schwerwiegenderen Motiven angetrieben. Die Terroristen waren nicht verschwunden, obwohl das Pentagon ihr Schiff aufgebracht hatte. Täglich fanden Schießereien statt, gingen Bomben hoch und wurden Leute gekidnappt. Zwei weitere Startschlaufen wurden angegriffen und eine schwer beschädigt. Ein Tanker mit Schädlingsbekämpfungsmitteln wurde absichtlich vor der Küste von Queensland versenkt, sodass jetzt ein etwa hundert Kilometer langer Bereich des Great Barrier Reef im Sterben lag. In Afrika und Zentralamerika sowie im Mittleren Osten wurden regelrechte Kriege ausgetragen. Der Deckel konnte kaum noch auf dem Dampfdrucktopf gehalten werden. Was wir dringend brauchten, waren tausend Transportschiffe wie die S. Ya. Aber wer sollte die bauen, wenn ich stumm blieb?
Also logen wir.
Wir setzten die Geschichte in die Welt, dass Robin Broadhead einen cerebrovaskularen Unfall erlitten hatte, was ja auch stimmte. Dann fügten wir aber noch die Lüge hinzu, dass meine Gesundung ständig fortschreite. Nun, auch das stimmte, wenn auch nicht genau im allgemein üblichen Sinn. Sobald ich zu Hause war, konnte ich mit General Manzbergen und einigen Leuten in Rotterdam sprechen, allerdings nur per akustischer Verbindung. Eine Woche später ließ ich mich ab und zu sehen – in einem weiten faltenreichen Hausmantel, den ich Alberts reicher Phantasie verdankte. Wieder einen Monat später gestattete ich einem PV-Team, mich dabei zu filmen, wie ich sonnengebräunt und munter, wenn auch etwas dünn, mit unserer kleinen Jolle auf dem See segelte.
Alles in allem ging es mir nicht schlecht, wie Sie sehen. Ich kümmerte mich um meine Geschäfte. Ich plante und führte meine Pläne aus, das Gärmittel in seiner Wirksamkeit herabzusetzen, von dem sich die Terroristen nährten – nicht genug, um das Problem zu beseitigen, aber genug, um den Deckel noch eine Zeit lang draufzuhalten. Ich hatte Zeit, mir Alberts Sorgen wegen der komischen Dinger anzuhören, die er Kugelblitze nannte. Wenn wir damals nicht genau wussten, was sie bedeuteten, war das wohl auch gut. Mir fehlte einzig und allein ein Körper. Als ich mich darüber bei Essie beklagte, sagte sie mit Nachdruck: »Mein Gott, Robin, das ist doch nicht das Ende der Welt für dich! Wie viele andere hatten das gleiche Problem!«
»Auf einen Datenspeicher reduziert zu werden? Nicht viele, wenn du mich fragst.«
»Aber das gleiche Problem«, behauptete sie. »Überlege! Ein gesunder junger Mann geht Skispringen, stürzt und bricht sich das Rückgrat. Querschnittlähmung! Der Körper, der nur noch zur Schadenersatzforderung taugt, muss gefüttert werden, gewickelt, gebadet – das bleibt dir erspart, Robin. Vor allem ist der wichtige Teil von dir immer noch vorhanden.«
»Hast ja Recht«, pflichtete ich ihr bei. Ich fügte nicht hinzu, was ich von allen Leute Essie am wenigsten erklären wollte, dass nach meiner Definition von »wichtig« noch einige Extras dazugehörten, auf die ich immer besonderen Wert gelegt hatte. Aber selbst dabei musste man die positiven Seiten den negativen gegenüberstellen. Wenn ich zum Beispiel keine Geschlechtsorgane mehr hatte, konnte es auch in der Zukunft keine Probleme mit meinen plötzlich sehr kompliziert gewordenen sexuellen Beziehungen geben.
All das musste ich nicht aussprechen. Stattdessen forderte Essie mich auf: »Reiß dich zusammen, Robin! Denk daran, dass du bis jetzt nur eine Annäherung an das Endprodukt bist.«
»Was soll das nun heißen?«, wollte ich wissen.
»Gab da große Probleme, Robin. Die Jetzt-und-Später-Speicherung war ziemlich mangelhaft, muss ich zugeben. Ich habe bei der Entwicklung des neuen Albert viel gelernt. Ich hatte vorher noch nie versucht, eine ganze und sehr geschätzte Person, die unglücklicherweise starb, zu speichern. Die technischen Probleme …«
»Mir ist schon klar, dass es technische Probleme gegeben hat«, unterbrach ich sie. Ich wollte jetzt wirklich nicht Einzelheiten über das riskante, nicht erprobte und überaus schwierige Unterfangen hören, »mich« aus dem zerfallenden Eimer meines Kopfs in das wartende Becken einer Speichermatrix zu gießen.
»Sei ganz ruhig. Nun, jetzt haben wir genügend Zeit. Jetzt können wir die Feinabstimmung vornehmen. Vertrau mir, Robin! Jetzt können wir Verbesserungen machen.«
»In mir?«
»Natürlich in dir, Robin!«, versicherte sie mit einem Augenzwinkern. »Auch in der sehr unzulänglichen Kopie deines Selbst. Ich habe Grund zur Annahme, dass das noch viel interessanter für dich gemacht werden kann.«
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