Aber die Frau hatte die Bedeutung der Worte des Kapitäns verstanden. »Halt die Klappe, Wan!«, wies sie ihn zurecht. Ihre Gesichtsmuskeln spannten sich, sodass sie beinahe wie eine Hitschi aussah. »Was du sagen willst, ist, dass diese Assassinen kein Risiko eingehen. Sie kamen schon einmal heraus, um jeden auszulöschen, der den Anschein erweckte, er könnte so zivilisiert werden, dass er ihren Plan zu durchkreuzen imstande wäre. Das würden sie auch wieder tun.«
»Ganz genau!«, rief Kapitän freudig. »Du hast es präzise ausgedrückt! Und die Gefahr ist nun, dass ihr Barbaren – ihr Menschen«, korrigierte er sich, »sie wahrscheinlich zurückbringen werdet. Benutzung von Funk! In Schwarze Löcher vordringen! Im ganzen Universum herumfliegen, sogar bis zu den Kugelblitzen! Sie haben mit Sicherheit Überwachungssysteme zurückgelassen, die sie warnen, wenn technologische Zivilisationen auftauchen – ihr werdet sie jeden Moment alarmieren, wenn ihr es nicht schon getan habt!«
Als die Gefangenen ihn endlich verstanden hatten, wimmerte Wan aus Angst leise vor sich hin, und Klara war weiß im Gesicht und zitterte. Dann hatte man ihnen Essenspakete gegeben und die Mannschaft informiert. Als diese sich um den Kapitän scharte, um herauszufinden, warum seine Kiefermuskeln und Sehnen sich wie Schlangen wanden, konnte er nur sagen: »Das ist doch nicht zu fassen!« Es war schon schwierig genug gewesen, sich bei den Schwabbeligen verständlich zu machen. Aber sie zu verstehen, war einfach unmöglich. Er sagte: »Sie behaupten, dass sie nicht alle ihre Mitmenschen stoppen können.«
»Aber das müssen sie!«, rief White-Noise entsetzt. »Sie sind doch intelligent, oder?«
»Sie sind intelligent«, stimmte der Kapitän zu, »sonst könnten sie nicht unsere Schiffe so leicht benutzen. Aber ich halte sie auch für wahnsinnig. Bei ihnen gibt es keine Gesetze.«
»Sie müssen Gesetze haben!«, entgegnete Burst ungläubig. »Keine Gesellschaft kann ohne Gesetze leben.«
»Ihr Recht ist der Zwang«, stellte der Kapitän finster fest. »Sobald einer von ihnen außer Reichweite der Vollzugsbehörden ist, kann er tun und lassen, was er will.«
»Dann sollen die Behörden ihn zwingen! Sie sollen jedes Schiff aufspüren und stoppen!«
»Das wäre töricht, White-Noise«, widersprach der Kapitän und schüttelte den Kopf. »Denk mal darüber nach, was das bedeuten würde. Sie verfolgen. Mit ihnen kämpfen. Sie im All bekriegen. Kannst du dir größeren Lärm vorstellen als das – und kannst du dir vorstellen, dass die Assassinen den nicht hören würden?«
»Aber was können wir tun?«, flüsterte Burst.
»Wir müssen uns zu erkennen geben«, entschied Kapitän. Er gebot mit einer Handbewegung Schweigen und gab seine Befehle.
Das waren Befehle, von denen die Besatzung nie geglaubt hätte, sie je zu erhalten. Aber sie erkannten, dass der Kapitän Recht hatte. Nachrichten schwirrten hin und her. An einem Dutzend Stellen in der Galaxis erhielten längst verstummte Schiffe ihre ferngesteuerten Weisungen und erwachten zum Leben. Eine lange Meldung wurde an die Monitoren gesendet, die sich in der Nähe des zentralen Schwarzen Lochs befanden, wo die Hitschi lebten. Inzwischen müsste die erste Warnung durch die Schwarzschildbarriere gedrungen sein und Verstärkung herauskommen. Es war eine Herkulesarbeit für die an Arbeitskräften knappe Mannschaft, und das Fehlen von Twice wurde schmerzlicher als je zuvor empfunden. Aber schließlich war es erledigt, und das Schiff des Kapitäns schlug einen neuen Kurs für ein Rendezvous ein.
Als er sich zu einem Schlafball zusammenrollte, merkte der Kapitän, dass er lächelte. Es war kein freudiges Lächeln. Das Spreizen der Lippen erfolgte aufgrund eines Paradoxons, das so tief einschnitt, dass man auf keine andere Weise darauf antworten konnte. Er hatte während des ganzen Gesprächs mit den Gefangenen Angst gehabt, dass sie eine unangenehme Schlussfolgerung ziehen könnten: Sobald sie erfahren hatten, dass sich die Assassinen in einem Schwarzen Loch versteckt hielten, hätten sie leicht den Verdacht schöpfen können, dass die Hitschi es ebenso gemacht hatten. Damit wäre das Kerngeheimnis der Hitschi-Rasse gefährdet gewesen!
Gefährdet! Er hatte viel mehr getan, als es nur gefährdet! Völlig auf eigene Verantwortung, ohne höhere Stellen, die es ihm erlaubt oder verboten hätten, hatte der Kapitän die schlafende Flotte geweckt und Verstärkung aus dem Inneren des Ereignishorizonts herbeigerufen. Das Geheimnis war kein Geheimnis mehr. Nach einer halben Million Jahre kamen die Hitschi heraus aus ihrem Versteck.

Wo war ich eigentlich? Es dauerte eine Zeit lang, bis ich mir diese Frage beantworten konnte, nicht zuletzt deshalb, weil mein Mentor Albert sie als albern abtat. »Die Frage ›wo‹ ist eine törichte menschliche Voreingenommenheit, Robin«, fuhr er mich an. »Konzentriere dich! Lerne, wie man etwas tut und fühlt! Heb dir die Philosophie und die Metaphysik für diese langen ruhigen Abende mit einer Pfeife und einem guten Krug Bier auf!«
»Bier, Albert?«
Er seufzte. »Die elektronische Entsprechung von Bier«, verbesserte er sich unwirsch, »ist für die elektronische Entsprechung einer Person durchaus ›wirklich‹. Jetzt achte aber, bitte, auf die Inputs, die ich dir anbiete. Das sind Video-Abtastungen des Inneren der Steuerkabine der Wahren Liebe .«
Ich tat natürlich, was er mir aufgetragen hatte. Dennoch wälzte ich in meinen schwachen Femtosekunden dieselbe Frage. Endlich fand ich eine Antwort. Wo war ich eigentlich?
Ich war im Himmel.
Denken Sie doch nach! Den gängigen Beschreibungen nach stimmte das meiste hier. Mein Bauch tat nicht mehr weh – ich hatte keinen Bauch mehr. Ich stand nicht mehr unter dem Joch der Sterblichkeit. Ich war einen Tod schuldig gewesen, den hatte ich bezahlt, und war nun auf ewig frei. Es war zwar nicht ganz die Ewigkeit, die auf mich wartete, aber ein ganz ähnlicher Zustand. Die Datenlagerung der Hitschi hatte, das wussten wir, wenigstens eine halbe Million Jahre Bestand, ohne nennenswerten Abbau – die ursprünglichen Hitschi-Fächer funktionierten nämlich noch –, und das ist eine ganze Menge Femtosekunden! Ich hatte auch keine irdischen Sorgen mehr; eigentlich überhaupt keine Sorgen, außer denen, die ich mir freiwillig auflud.
Ja. Himmel.
Wahrscheinlich glauben Sie mir nicht, weil Sie nicht akzeptieren, dass eine Existenz als körperloser Wirrwarr von Datenbits, gelagert in einem Fächer, wirklich etwas »Himmlisches« sein kann. Ich verstehe das, weil ich selbst Schwierigkeiten hatte, es zu akzeptieren. Aber die »Wirklichkeit« ist … »wirklich« eine subjektive Angelegenheit. Wir Geschöpfe aus Fleisch und Blut erfahren die Wirklichkeit »wirklich« nur aus zweiter oder dritter Hand, als eine Analogie, die unser Sinnensystem auf die Synapsen unseres Gehirns malt. Das hatte Albert immer gesagt. Es stimmte – zumindest beinahe –, nein, es war mehr als richtig in vielen Punkten, weil ein körperloses Durcheinander wie ich über eine größere Auswahl an Wirklichkeiten verfügt als Sie.
Aber wenn Sie mir immer noch nicht glauben, kann ich mich nicht beschweren. Wie oft ich es mir auch einredete, eigentlich fand ich es nicht himmlisch. Ich hatte mir noch nie Gedanken gemacht, wie schrecklich unbequem es war – finanziell, rechtlich und in vieler anderer Hinsicht, nicht zuletzt in Bezug auf die Ehe –, tot zu sein.
Damit komme ich zurück zur Frage, wo ich mich wirklich befand? In Wirklichkeit war ich zu Hause. Sobald ich – nun ja, gestorben war, hatte Albert reumütig das Schiff gewendet. Die Rückfahrt dauerte ziemlich lange. Aber ich hatte ja nichts Besonderes zu tun. Ich musste nur lernen, mich so zu verhalten, als ob ich am Leben sei, ohne es zu sein. Ich brauchte die gesamte Rückfahrt allein für die Anfangsbegriffe. Es war nämlich sehr viel schwieriger, in einen Datenfächer hineingeboren zu werden als auf die alte biologische Weise in die Welt – ich musste aktiv arbeiten , verstehen Sie? Alles um mich herum war sehr viel weiter. Einerseits war ich beschränkt auf das Hitschi-Modell eines Datenfächers mit einem Kubikinhalt von nicht viel mehr als tausend Kubikzentimetern und wurde auch so aus der Steckdose gezogen und durch den Zoll gebracht, zurück in unser altes Haus am Tappan-See. Das war nicht schwieriger, als ein zweites Paar Schuhe im Gepäck zu haben. Andererseits war ich weiter als die Galaxien, da mir alle gesammelten Datenfächer der Welt zugänglich waren, um damit zu spielen. Schneller als eine Silberkugel, so quirlig wie Quecksilber, so geschwind wie der Blitz, konnte ich überall hingehen, wohin die gelagerten Hitschi – und menschlichen Datenspeicher – je gegangen waren, und das war jeder Ort, von dem ich je gehört hatte.
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