»Ausgezeichnet, möchte ich glauben«, antwortete Albert feierlich. »Sie unterhalten sich angeregt zu dritt in der Kombüse. Kapitän Walthers bereitet belegte Brote zu, und die beiden Frauen helfen ihm.«
»Kein Streit? Keine ausgekratzten Augen?«, erkundigte ich mich.
»Überhaupt nicht. Ehrlich gesagt, sie sind ungemein höflich mit vielen ›Entschuldigung‹ und ›bitte‹ und ›danke‹. Doch«, fuhr er fort und sah sehr zufrieden aus. »ich habe da eine Meldung über das Segelschiff. Soll ich sie gleich vorlesen? Oder – fällt mir gerade ein – wollt ihr euch zu euren Gästen begeben, damit alle gleichzeitig zuhören können?«
Meinem Gefühl nach hätte ich sie gleich erfahren wollen, aber Essie warf mir einen Blick zu. »Das erfordert die Höflichkeit, Robin«, meinte sie, und ich stimmte ihr zu.
»Großartig«, sagte Albert. »Ihr werdet es unheimlich interessant finden, da bin ich sicher. Wie ich auch. Natürlich habe ich mich schon immer für Segeln interessiert, wie du weißt« fuhr er fröhlich plaudernd fort. »Als ich fünfzig war, schenkte mir die Berliner Handelsgesellschaft ein schönes Segelboot – das ich allerdings leider verloren habe, als ich wegen der schrecklichen Nazis Deutschland verlassen musste. Meine liebe Mrs. Broadhead, ich verdanke Ihnen so viel! Ich genieße jetzt alle diese herrlichen Erinnerungen, die ich vorher nicht hatte! Ich entsinne mich an das kleine Haus in Ostende, wo ich lange Spaziergänge am Strand mit Albert machte – ich meine König Albert von Belgien«, fügte er zwinkernd hinzu. »Wir haben über Segeln geredet, und abends begleitete mich seine Frau auf dem Klavier, wenn ich Geige spielte – an all das kann ich mich jetzt erinnern, teure Mrs. Broadhead, das ist allein Ihr Verdienst!«
Während der gesamten Rede hatte Essie stocksteif neben mir gesessen und ihr Produkt mit steinernem Gesicht betrachtet. Jetzt prustete sie los und brach in schallendes Gelächter aus. »O Albert!«, rief sie und griff nach einem Kissen. Sie zielte und warf es mitten durch ihn durch, sodass es, ohne Schaden anzurichten, gegen die Frisierkommode hinter ihm prallte. »Du selten komisches Programm, gern geschehen! Und jetzt verzieh dich, bitte! Da du so menschlich bist, mit Erinnerungen und langweiligen Anekdoten, kann ich dir nicht erlauben, mich unbekleidet zu sehen!« Daraufhin erlaubte er sich, mit einem bloßen Blinzeln abzutreten, während Essie und ich uns lachend umarmten. »Zieh dich endlich an!«, befahl sie mir, »damit wir mehr über das Segelschiff erfahren. Lachen ist doch die beste Medizin, oder? In diesem Fall habe ich keine Angst um deine Gesundheit, Robin. Ein durch Fröhlichkeit so gestärkter Körper wird sicher ewig halten!«
Immer noch leise lachend gingen wir unter die Dusche – wir hatten keine Ahnung, dass »ewig« in meinem Fall zu diesem Zeitpunkt elf Tage, neun Stunden und einundzwanzig Minuten bedeutete.
Wir hatten auf der Wahren Liebe nie einen Tisch für Albert Einstein aufgestellt und schon gar nicht einen, wo er seine Pfeife als Lesezeichen benutzen konnte und wo eine Flasche Skrip neben einem ledernen Tabakbehälter stand. Ebenso wenig waren wir für die Tafel hinter ihm verantwortlich, die zur Hälfte mit Gleichungen beschrieben war. Aber so sah es aus. Da stand er und unterhielt unsere Gäste mit Geschichten über sich. »Als ich in Princeton war«, dozierte er, »hatte man einen Mann angeheuert, der mir mit einem Notizbuch überallhin folgen musste, um darin festzuhalten, was ich auf die Tafel schrieb. Das war nicht, um mir einen Gefallen zu erweisen, sondern weil sie Angst hatten, die Tafel abzuwischen!« Er strahlte unsere Gäste an und nickte Essie und mir freundlich zu. Wir standen Hand in Hand in der Tür zum Aufenthaltsraum. »Mr. und Mrs. Broadhead, ich kläre die Leute gerade etwas über mein Leben auf, da sie wahrscheinlich von mir noch nicht viel gehört haben, obwohl ich, ehrlich gesagt, ziemlich berühmt war. Haben Sie zum Beispiel gewusst, dass die Verwaltung von Princeton einen überdachten Gang bauen ließ, den Sie heute noch sehen können, damit ich meine Freunde besuchen konnte, ohne ins Freie gehen zu müssen, nur weil ich keinen Regen mag?«
Wenigstens trug er nicht sein Generalsgesicht oder den Roten-Baron-Seidenschal. Trotzdem fühlte ich mich nicht wohl. Am liebsten hätte ich mich bei Audee und den beiden Frauen entschuldigt. Stattdessen sagte ich: »Essie? Glaubst du nicht auch, dass diese Erinnerungen ein bisschen überhand nehmen?«
»Möglich«, entgegnete sie nachdenklich. »Möchtest du, dass er damit aufhört?«
»Nicht aufhören. Er ist jetzt viel interessanter, aber wenn du seine persönlichkeitsbezogene Datenspeicherung etwas herunterdrehen oder das Potentiometer der Nostalgieschaltkreise …«
»Wie albern du bist, lieber Robin«, unterbrach sie mich und lächelte verzeihend. Dann gab sie die Anweisung: »Albert! Lass das viele Geschwätz! Robin mag es nicht.«
»Selbstverständlich, liebe Semya«, gehorchte er höflich. »Zweifellos möchten Sie aber trotzdem etwas über das Segelschiff erfahren.« Er stand hinter seinem Schreibtisch auf – das heißt, sein holographisches Abbild erhob sich hinter dem ebenfalls nicht existierenden Hologramm eines Schreibtisches. Ich musste mir das immer wieder ins Gedächtnis rufen. Er nahm einen Schwamm und begann, die Kreide abzuwischen. Dann besann er sich und griff mit einem um Verzeihung bittenden Blick auf Essie nach einem Schalter auf dem Schreibtisch. Die Tafel verschwand. Sie wurde durch die vertraute kieselfarbene graugrüne Oberfläche eines Bildschirms auf einem Hitschi-Schiff ersetzt. Dann drückte er auf einen anderen Schalter, worauf das Kieselgrau verschwand und den Blick auf eine Sternkarte freigab. Auch das war realistisch – um irgendeinen Gateway-Bildschirm in ein brauchbares Bild zu verwandeln, musste man lediglich eine einfache Vorspannung vor die Schaltkreise setzen. (Allerdings waren tausend Forscher gestorben, ohne das herauszufinden.) »Was Sie hier sehen«, erklärte er zuvorkommend, »ist der Ort, an dem Kapitän Walthers das Segelschiff geortet hat. Wie Sie sehen, ist hier nichts.«
Walthers hatte ruhig auf einem Kissen vor dem imitierten Kamin gesessen – so weit wie möglich von Dolly und Janie entfernt, die ebenfalls so weit wie möglich auseinander saßen. Alle waren still. Aber jetzt rief Walthers wie angestochen: »Unmöglich! Die Aufzeichnungen waren korrekt! Sie haben die Daten!«
»Selbstverständlich waren sie korrekt«, beruhigte Albert ihn. »Aber, Sie müssen wissen, dass zu dem Zeitpunkt, als die Aufklärungsdrohne dort ankam, das Segelschiff längst weg war.«
»Es konnte aber nicht weit sein, wenn es nur durch Sternenlicht angetrieben wurde.«
»Nein, das konnte es nicht. Aber es war verschwunden. Trotzdem«, fuhr Albert fröhlich fort, »hatte ich für alle Eventualitäten vorgesorgt. Wenn Sie sich erinnern, mein Ruhm – der meines früheren Ichs, will ich sagen – beruhte auf der Annahme, dass die Geschwindigkeit des Lichts eine fundamentale Konstante war, die aber gewissen Erweiterungen im Kontext dessen unterworfen war, was wir von den Hitschi gelernt haben«, fügte er nachsichtig im Zimmer herumblinzelnd hinzu. »Ja, die Geschwindigkeit ist immer gleich – fast dreihunderttausend Kilometer pro Sekunde. Ich gab daher der ferngesteuerten Drohne Anweisung, sich im Falle, dass das Segelschiff nicht aufzufinden sein würde, in einer Entfernung von dreihunderttausend Kilometern mal der Zahl der Sekunden seit der Ortung zu suchen.«
»Großartiges, ausgekochtes, selbstgefälliges Programm«, bemerkte Essie liebevoll. »Das war ein besonders gewitzter Pilot, den du für die Drohne angeheuert hast, nicht wahr?«
Albert hustete. »Es war ja auch ein außergewöhnlicher Flug«, gab er zu bedenken. »Da ich voraussah, dass besondere Anforderungen auftreten könnten, waren auch die Aufwendungen ziemlich hoch. Nun denn! Als die Drohne diese Anweisung befolgt hatte, sah sie Folgendes …« Er machte eine Handbewegung, und auf dem Schirm zeigte sich das Gebilde mit den vielen Gazeflügeln. Es hatte nicht mehr seine ursprüngliche Form, sondern faltete sich und zog sich vor unseren Augen zusammen. Albert ließ es schneller ablaufen, als es von Bord des Aufklärers aus zu sehen war. Wir beobachteten, wie sich die großen Flügel zusammenrollten … und verschwanden.
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