»Ah«, sagte Essie, »jetzt verstehe ich. Du warst in Sorge, ich war aber nicht sicher, worüber.« Dann biss sie sich auf die Lippe. »Entschuldige bitte, liebster Robin. Ich bin auch ein bisschen durcheinander, glaube ich.«
Sie setzte sich auf die Bettkante und zuckte empfindlich zusammen, als die anisokinetische Matratze nach ihr stieß. »Die praktische Seite zuerst«, entschied sie und runzelte die Stirn. »Was machen wir jetzt? Hier die Alternativen: Erstens, abfahren wie geplant und das Objekt untersuchen, das Walthers gefunden hat. Zweitens, wir versuchen mehr Informationen über Gelle-Klara Moynlin zu bekommen. Drittens, wir essen und schlafen eine Nacht, ehe wir irgendetwas unternehmen – weil«, fügte sie tadelnd hinzu, »du nicht vergessen darfst, Robin, dass du immer noch Rekonvaleszent nach einer schweren Abdomenoperation bist. Ich persönlich bin für Alternative drei. Was denkst du?«
Während ich noch über diese schwierige Frage nachdachte, räusperte sich Albert.
»Mrs. Broadhead? Mir ist gerade eingefallen, dass es nicht sehr teuer wäre, vielleicht ein paar hunderttausend Dollar, einen Eimer für ein paar Tage zu chartern und ihn auf eine Fotoaufklärungsmission hinauszuschicken.« Ich sah zu ihm hin und versuchte, seinen Gedankengängen zu folgen. »Er könnte das Objekt, an dem Sie interessiert sind, aufspüren«, erklärte er weiter. »Dann beobachten und uns darüber Bericht erstatten. Schiffe für einen einzelnen Passagier sind im Augenblick nicht sehr gefragt, glaube ich. Außerdem sind davon mehrere auf Gateway vorhanden.«
»Was für eine gute Idee!«, rief Essie. »Das wollen wir machen, ja? Arrangiere alles, Albert! Und gleichzeitig koch etwas besonders Leckeres für unser erstes Essen auf, äh, auf dem neuen Schiff Wahre Liebe! «
Da ich nichts dagegen hatte, machten wir es so. Ich brachte keinen Einwand vor, weil ich im Schockzustand war. Das Schlimmste daran ist, man weiß nicht, dass man sich im Schockzustand befindet. Ich hielt mich für hellwach und klar. Ich aß, was man mir vorlegte, und bemerkte nichts Merkwürdiges, bis Essie mich in das große, federnde Bett steckte.
»Warum sagst du nichts?«, fragte ich.
»Weil du die letzten zehnmal, wenn ich mit dir gesprochen habe, nicht geantwortet hast«, stellte sie ohne jeden Vorwurf fest. »Ich sehe dich morgen früh.«
Mir war gleich klar, was das zu bedeuten hatte. »Du willst in der Gästekabine schlafen?«
»Ja. Nicht aus Ärger, Liebes, auch nicht aus Kummer. Will dich nur ein bisschen allein lassen, ja?«
»Naja … Ich meine, ja! Sicher, Liebling. Das ist wahrscheinlich eine gute Idee«, räumte ich ein. Langsam dämmerte es mir, dass Essie wirklich verstört war und sie nicht wollte, dass ich mir ihretwegen Sorgen machte. Ich nahm ihre Hand und küsste das innere Handgelenk, ehe ich sie gehen ließ. Ich raffte mich sogar noch zu einem Gespräch auf. »Essie? Hätte ich dich fragen sollen, ehe ich dem Schiff einen Namen gab?«
Sie spitzte den Mund. » Wahre Liebe ist ein guter Name«, meinte sie verständnisvoll.
Trotzdem schien sie noch Vorbehalte zu haben. Ich wusste nicht, warum. »Ich hätte dich gefragt«, begründete ich mein Verhalten. »Aber es kam mir so schäbig vor, den Menschen zu fragen, nach dem man das Schiff nennen will. Das wäre genauso, als würde ich dich fragen, was du dir zum Geburtstag wünschst, statt mir selbst darüber den Kopf zu zerbrechen.«
Sie lächelte entspannt. »Robin, Liebes, aber du fragst sonst immer. Nicht wichtig, ehrlich! Und, ja, Wahre Liebe ist ein wirklich hervorragender Name, jetzt wo ich weiß, dass die wahre Liebe, an die du gedacht hast, ich bin.«
Ich vermute, Albert hatte wieder einen seiner kleinen Zaubertränke gemixt; denn ich schlief sofort ein. Aber ich schlief nicht lange. Drei oder vier Stunden später lag ich hellwach, ziemlich ruhig und sehr verwirrt im anisokinetischen Bett.
Draußen an der Peripherie von Gateway, wo die Andockgruben sind, herrscht wegen der Rotation etwas Zentrifugalkraft. Unten wird oben. Aber nicht an Bord der Wahren Liebe . Albert hatte das Schiff angeworfen. Dieselbe Kraft, die uns während des Flugs davon abhielt umherzutreiben, neutralisierte den Schub der Drehung des Asteroiden und polte ihn um. Ich wurde behutsam ins Bett gepresst. Ich fühlte das schwache Summen der Versorgungssysteme, welche die Luft erneuerten, den Druck in den Röhren konstant hielten und alle Arbeiten ausführten, die das Schiff am Leben erhielten. Ich wusste, dass Albert erscheinen würde, wenn ich seinen Namen aussprach – in welcher Aufmachung wusste ich natürlich nicht. Es hätte sich fast gelohnt, ihn zu rufen, um zu sehen, ob er durch die Tür sprechen oder unter dem Bett hervorkriechen würde, um mich zu unterhalten. Ich glaube, im Essen war nicht nur ein Schlafmittel, sondern auch ein Stimmungsaufheller, denn ich fühlte mich trotz meiner Probleme ganz entspannt – allerdings konnte dieses Wohlbefinden die Probleme nicht lösen.
Welche Probleme lösen? Das war das erste Problem. Meine Dringlichkeitsliste war in den letzten Wochen so oft umgeworfen worden, dass ich nicht mehr wusste, was ich an die Spitze setzen sollte. Da war das harte, gefährliche Problem der Terroristen. Das musste aus mehr als nur meinen persönlichen Gründen gelöst werden, war aber eine Position nach unten gerutscht, als Audee Walthers mir sein Problem in Rotterdam auf den Tisch gelegt hatte. Dann war noch das Problem meiner Gesundheit, das schien aber, zumindest vorübergehend, in den Hintergrund getreten zu sein. Und dann war da das neue und unlösbare Problem Klara. Ich war sicher, jedes Problem für sich erledigen zu können, auch alle vier auf einmal – so oder so –, aber wie ganz genau? Was sollte ich tun, wenn ich aufstand?
Da ich darauf keine Antwort wusste, blieb ich liegen.
Ich schlief wieder ein. Als ich diesmal aufwachte, war ich nicht allein. »Guten Morgen, Essie«, sagte ich und griff nach ihrer Hand.
»Guten Morgen«, erwiderte sie und hielt meine Hand mit der liebevollen, vertrauten Geste an ihre Wange. Dann sprach sie aber ein Thema an, das uns nicht vertraut war. »Du fühlst dich gut, Robin? Gut! Ich habe über unsere Situation nachgedacht.«
»Ach ja«, bemerkte ich. Ich spürte, wie ich mich langsam verkrampfte. Die friedliche Entspannung wurde Stück für Stück angeknabbert. »Und welche Situation ist das?«
»Die Klara-Moynlin-Situation, was sonst?«, antwortete sie. »Ich sehe, es ist sehr schwierig für dich, Robin, Liebes.«
»Ach«, gab ich zu. »So was passiert nun mal.« Es war nicht die Situation, die ich unbefangen mit Essie besprechen konnte; aber das hielt Essie nicht davon ab, sie mit mir diskutieren zu wollen.
»Lieber Robin«, begann sie von neuem. Ihre Stimme klang ruhig, und auch ihr Gesichtsausdruck zeigte im schwachen Licht keine Regung. »Es hat keinen Zweck, alles zurückzuhalten. Das staut sich und explodiert.«
Ich drückte ihre Hand. »Hast du Nachhilfe bei Sigfrid Seelenklempner genommen? Genau das hat er auch immer gesagt.«
»Es war ein gutes Programm. Bitte, glaube mir, ich verstehe, was in deinem Herzen vorgeht.«
»Ich weiß, dass du das tust, aber …«
»Aber«, sie nickte, »dir ist es peinlich, mit mir darüber zu reden, weil ich in diesem Fall die andere Frau bin. Ohne mich gäbe es kein Problem.«
»Verdammt noch mal! Das ist nicht wahr!« Ich hatte nicht brüllen wollen, aber vielleicht hatte sich in mir wirklich einiges aufgestaut.
»Falsch, Robin! Es ist wahr. Wenn ich nicht existierte, könntest du Klara suchen und auch zweifellos finden und dann entscheiden, was du in dieser quälenden Situation machen willst. Vielleicht werdet ihr wieder ein Liebespaar. Vielleicht nicht – Klara ist eine junge Frau. Vielleicht will sie kein altes Wrack mit Ersatzteilen als Liebhaber! Nein, ich schließe diese Möglichkeit aus! Tut mir Leid.«
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