Wissen Sie, ich hatte mir ausgerechnet, dass sie es als günstiges Zeichen werten würden, wenn ich einen guten Appetit entwickelte. Vielleicht taten sie es auch. Ich hatte ferner überlegt, dass mein neues Schiff erst in mehreren Wochen fertig sein würde – also kein Grund zur Eile. Ich hatte keine Lust, wieder in so einem engen, stinkenden Fünfer loszufliegen, wenn ich bald eine eigene Jacht haben würde. Was ich nicht bedacht hatte, war, wie sehr ich Krankenhäuser hasste.
Wenn Albert mich untersuchte, maß er die Temperatur bolometrisch, tastete meine Augen auf Klarheit und meine Haut auf äußere Veränderungen wie geplatzte Äderchen ab, pumpte Ultraschall durch meinen Körper, um in die inneren Organe zu schauen, und nahm Proben der von mir in der Toilette gelassenen milden Gaben, um sie auf ihr biochemisches Gleichgewicht zu untersuchen und die Bakterien zu zählen. Albert nannte diese Methode nichtzudringlich. Ich nannte sie höflich. Die diagnostischen Methoden im Krankenhaus waren keineswegs so höflich, aber auch nicht wirklich schmerzhaft. Man betäubte die Oberfläche meiner Haut, ehe man tiefer ging. Sobald man durch die Oberfläche durch ist, gibt es nicht mehr viele Nervenenden, um die man sich Sorgen machen muss. Eigentlich spürte ich nur Zwicken, Drücken und Kitzeln. Aber davon eine Menge . Hinzu kam, dass ich wusste, was man mit mir machte. Haarfeine Lichtröhrchen schauten sich im Inneren meines Bauches um. Ganz dünne spitze Pipetten nahmen Gewebepfropfen zur Analyse ab. Meine Körpersäfte wurden abgesaugt, Wundnähte überprüft und Narben beurteilt. Die ganze Sache dauerte nicht einmal eine Stunde, aber mir kam es viel länger vor, und ehrlich gesagt, hätte ich lieber etwas anderes gemacht.
Dann durfte ich mich wieder anziehen. Man gestattete mir, mich in einem bequemen Sessel in Gegenwart eines echten, lebenden Arztes niederzulassen. Auch Essie durfte dabei sein. Ich ließ ihr aber keine Chance, sich zu äußern, sondern fing gleich an. »Na, was sagen Sie, Doktor?«, fragte ich. »Wann kann ich wieder ins All? Ich meine nicht Raketen. Ich meine die Lofstromschlaufe, die ja so traumatisch wie ein Fahrstuhl ist. Sie zieht einen auf einem magnetisierten Band …«
Der Arzt hob die Hand. Er war ein untersetzter, weißhaariger Nikolaustyp mit einem gepflegten weißen Bart und blitzenden blauen Augen. »Ich weiß, was eine Lofstromschlaufe ist.«
»Gut! Freut mich zu hören! Na und?«
»Nun«, sagte er. »Nach einer Operation wie der Ihren raten wir für gewöhnlich, solche Unternehmungen erst drei bis vier Wochen später durchzuführen, aber …«
»O nein, Doc! Nein!«, unterbrach ich ihn. »Bitte! Ich will doch nicht fast einen ganzen Monat so rumhängen!«
Er schaute mich an, dann Essie. Dann lächelte er. »Mr. Broadhead«, sagte er. »Ich glaube, Sie sollten zwei Dinge wissen. Erstens, dass es oft wünschenswert ist, den Patienten nach einer Operation einige Zeit lang ohne Bewusstsein zu lassen. Mit elektrisch stimuliertem Muskeltraining, Massagen, richtiger Ernährung und guter Pflege kommt es zu keiner Beeinträchtigung der Funktionen. Außerdem ist es für die Nerven des Patienten sehr viel leichter. Und für seine Umgebung.«
»Ja, ja«, nahm ich dies nicht besonders interessiert zur Kenntnis. »Was ist das zweite?«
»Das zweite ist, dass Ihre Operation heute bereits dreiundvierzig Tage zurückliegt. Sie können praktisch alles machen, wozu Sie Lust haben. Auch einen Star auf der Schlaufe.«
Früher, als die Straße zu den Sternen über Guayana, Baikonur oder das Kap führte, musste man etwa für eine Million Dollar flüssigen Wasserstoff verbrennen, um in die Umlaufbahn zu gelangen, in der man auf ein anderes Fahrzeug umstieg, das einen noch weiter hinausbrachte. Jetzt hatten wir die Lofstrom-Startschlaufen rund um den Äquator. Das waren riesige Gazegebilde, die man erst sehen konnte, wenn man schon fast daneben stand – nun, innerhalb von zwanzig Kilometern. Dort war auch die Satelliten-Landebahn. Ich betrachtete das Gefilde mit Freude und Stolz, als wir kreisten und zur Landung ansetzten. Essie saß neben mir und murmelte mit gerunzelter Stirn dauernd vor sich hin. Sie arbeitete ein neues Projekt aus – eine Art Computerprogramm, vielleicht einen Pensionsplan für ihre Big CHON-Angestellten. Da sie Russisch sprach, konnte ich nichts verstehen. Ich klappte den Bildschirm vor mir herunter und ließ mir von Albert mein neues Schiff vorführen. Er nannte alle technischen Daten, wie Kapazität, Zubehör, Masse und Komfort, während er langsam das Bild drehte. Da ich einige Millionen Dollar und einen Haufen Zeit in das Spielzeug gesteckt hatte, war ich interessiert, aber nicht so sehr wie an dem, was jetzt kam. »Später, Albert«, sagte ich. Gehorsam zog er sich zurück. Ich reckte meinen Hals, um die Schlaufe beim Anflug nicht aus den Augen zu verlieren. Über dem Teil vor ihr, die einer Sprungschanze glich, konnte ich schwach die Kapseln erkennen, die mit dreifacher Erdbeschleunigung hinaufrasten, sich dann bildschön und leicht lösten und am steilsten Teil des Abhangs ins Blaue hinein verschwanden. Herrlich! Keine Chemikalien, keine Verbrennung, keine Schädigung der Ozonschicht. Nicht einmal die Energieverschwendung wie beim Start eines Hitschi-Landefahrzeugs. Manche Sachen konnten wir sogar besser als die Hitschi!
Früher reichte es nicht einmal aus, im Orbit zu sein. Man hatte noch die lange, langsame Hohmann-Reise zum Gateway-Asteroiden vor sich. Dabei kam man vor Angst fast um, weil jeder wusste, dass mehr Gateway-Prospektoren starben als reich wurden. Außerdem war man raumkrank und dazu verdammt, Wochen oder Monate zusammengepfercht in dieser interstellaren Kiste zu verbringen, ehe man zum Asteroiden gelangte. Vor allem hatte man Angst, weil man ja wusste, dass man alles aufs Spiel setzte, was man besaß oder sich geborgt hatte, um für die Reise zu bezahlen. Jetzt hatten wir einen Hitschi-Dreier gechartert, der auf uns in der niedrigen Erdumlaufbahn wartete. Wir konnten in Hemdsärmeln umsteigen und auf dem Weg zu den Sternen sein, ehe wir noch unsere letzte Mahlzeit auf der Erde verdaut hatten – das heißt, wir konnten, weil wir über genügend Einfluss und Geld verfügten, um das zu bezahlen.
Früher war eine Fahrt in das interstellare Nichts so ähnlich wie Russisches Roulette. Der Unterschied bestand nur darin, dass man, wenn einem das Glück gewogen war und man am Ende der Reise etwas fand, auf ewig reicher als reich sein konnte – wie es mir passierte. Aber meistens fand man nur den Tod.
»Ist jetzt viel besser«, stellte Essie richtig fest, als wir aus dem Flugzeug stiegen und in die heiße Sonne Südamerikas blinzelten. »Und wo ist der verdammte Gästewagen von dem elenden Flohkiste-Hotel?« Ich verlor kein Wort darüber, dass sie meine Gedanken gelesen hatte. Nach so vielen Jahren der Ehe war ich daran gewöhnt. Es war auch keine Telepathie. Jeder Mensch hätte dasselbe gedacht, wenn er das tat, was wir gerade machten. »Ich wünschte, Audee Walthers würde mit uns kommen«, sagte ich und blickte hinaus zur Startschlaufe. Wir waren noch mehrere Kilometer entfernt, am anderen Ufer des Tehigualpa-Sees. Ich konnte die Spiegelung der Schlaufe im Wasser sehen. In der Mitte des Sees tiefblau, in Ufernähe grüngelb. Dort hatte man essbare Algen ausgesät. Es war ein hübscher Anblick.
»Wenn du ihn mit dabeihaben wolltest, war es blöd, ihm zwei Millionen zu geben für die Jagd nach seiner Frau«, kritisierte Essie praktisch denkend. Dann schaute sie mich genauer an. »Wie fühlst du dich?«
»Absolut super«, antwortete ich. Das war auch von der Wahrheit nicht allzu weit entfernt. »Hör auf, dir um mich Sorgen zu machen! Wenn man medizinischen Vollschutz hat, wagen sie es nicht, einen sterben zu lassen, ehe man hundert wird – das wäre schlecht fürs Geschäft.«
»Das sagt gar nicht viel«, meinte sie mürrisch, »wenn der Kunde ein leichtsinniger Desperado auf der Jagd nach angeblichen Hitschi ist! Egal«, fügte sie fröhlicher hinzu. »Da ist der Wagen von der Flohkiste – steig ein!«
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