In gewissem Sinn waren die Schlammbewohner nur eine der Alarmanlagen. LaDzhaRi wusste das. Alle wussten es. Deshalb hatte er auch dem Gebot seiner Vorväter gehorcht und die erste Berührung eines anderen Gehirns mit dem seinen gemeldet. Er erwartete eine Antwort, obwohl es selbst nach LaDzhaRis Zeitrechnung schon Jahre her war, dass von den Hitschi ein Lebenszeichen gekommen war, und das war höchstens der schnelle Schlag einer routinemäßigen TPSE-Überprüfung gewesen. Er hatte auch damit gerechnet, dass ihm die Antwort nicht zusagen würde. Das ganze heldenhafte Ringen um den Bau und Start eines interstellaren Schiffes, die Jahrhunderte, die bereits in diese jahrtausendlange Reise investiert worden waren – alles umsonst! Sicher, ein Flug von tausend Jahren bedeutete für LaDzhaRi nicht mehr als eine ganz gewöhnliche Walfangfahrt für einen Kapitän aus Nantucket. Aber auch ein Walfischer wäre nicht gern mitten im Pazifik aufgegriffen und leer nach Hause geschickt worden. Die ganze Mannschaft war außer sich. Die Erregung auf dem Segelschiff war so groß, dass einige Besatzungsmitglieder unfreiwillig auf eine schnellere Lebensweise umstiegen. Die glitschige Flüssigkeit wurde so durcheinander gewirbelt, dass sich Blasen bildeten. Eines der Weibchen starb. Eines der Männchen, TsuTsuNga, war so außer Rand und Band, dass es die überlebenden Weibchen betätschelte. »Bitte, lass den Unsinn!«, flehte LaDzhaRi. Wenn ein Männchen ein Weibchen schwängerte – und das hatte TsuTsuNga offensichtlich vor –, musste es dazu so viel Energie aufbringen, dass es für ihn lebensgefährlich sein konnte. Den Weibchen drohte keine Gefahr – ihre Leben waren ganz einfach nach dem Austragen eines Männchens verwirkt. Natürlich hatten sie davon keine Ahnung. Von anderen Dingen hatten sie eigentlich auch keinen Schimmer. Aber TsuTsuNga erklärte bündig: »Wenn ich nicht durch eine Reise zu einem anderen Stern unsterblich werden kann, will ich wenigstens einen Sohn zeugen.«
»Nein! Bitte! Denke nach, mein Freund!«, bat ihn LaDzhaRi. »Wir können zu Hause sein, wenn wir es wollen. Können als Helden zu unseren Arcologien zurückkehren, können unsere Eddas singen, dass die gesamte Welt uns hören wird …« Der Schlamm ihrer Behausungen leitete den Schall so gut wie das Meer, und ihr Lied reichte so weit wie der Ruf der großen Wale.
Robin erklärt nicht sehr gut, wovor die Hitschi Angst hatten. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass das Ziel der eingeleiteten Kontraktion des Universums war, es wieder auf das Uratom zurückzuführen – worauf es zu einem neuen Urknall und dem Anfang eines neuen Universums kommen würde. Sie schlossen weiter, dass in diesem Fall die physikalischen Gesetze, die das Universum regieren, sich in eine andere Richtung entwickeln würden.
Am meisten jagte ihnen die Vorstellung Angst ein, dass es Wesen gab, die sich in einem Universum mit anderen physikalischen Gesetzen wohler fühlen könnten.
TsuTsuNga berührte LaDzhaRi kurz, beinahe verächtlich, zumindest abweisend.
»Wir sind keine Helden!«, erklärte er. »Geh weg und lass mich’s diesem Weibchen besorgen!«
Widerstrebend ließ ihn LaDzhaRi los und hörte, wie die Geräusche schwächer wurden, als er wegging. Es stimmte. Sie waren bestenfalls gescheiterte Helden.
Die Segelschiffleute waren nicht ohne solch menschliche Eigenschaften wie Stolz. Es gefiel ihnen ganz und gar nicht, für die Hitschi … was? Sklaven zu sein? Nicht genau. Denn der einzige Dienst, den sie zu leisten hatten, war, via eines Kommunikators mit versiegeltem Strahl jeden Hinweis auf eine andere raumfahrende Intelligenz zu melden. Das taten sie gern. Mehr um ihrer selbst willen als für die Hitschi. Wenn nicht Sklaven – was dann?
Dafür gab es nur eine Bezeichnung: Haustiere.
Damit war der Glanz der rassischen Seele der Schlammbewohner an einer Stelle getrübt. Sie konnten ihn nie wieder ganz aufpolieren, ganz gleich, welche Heldentaten sie bei interstellaren Abenteuern in ihren riesigen, langsamen Sternenjammern auch vollbrachten. Sie wussten, dass sie Haustiere waren. Sie erlebten das auch nicht zum ersten Mal. Lange ehe die Hitschi gekommen waren, hatten sie als Leibeigene auf fast die gleiche Art Wesen gedient, die weder den Hitschi noch den Menschen noch ihnen selbst in irgendeiner Weise ähnlich waren. Als dann vor einigen Generationen ihre Barden die alten Eddas den Hitschi-Maschinen vorgesungen hatten, mussten auch die Schlammbewohner zur Kenntnis nehmen, dass die Hitschi weggelaufen waren. Es gab Schlimmeres, als ein Haustier zu sein.
Liebe und Furcht herrschten im Universum. Aus Liebe (was man so bei den Schlammbewohnern Liebe nannte) ruinierte TsuTsuNga seine Gesundheit und riskierte sein Leben. Ich lag in meiner Krankenstation und träumte auch von der Liebe. Pro Tag war ich kaum eine Stunde wach. Währenddessen schlossen meine käuflich erworbenen Eingeweide mit dem Rest von mir Frieden. Der Kapitän musste mitansehen, wie Twice durch die Qualen der Liebe immer dünner und dunkler wurde.
Twice hatte sich nicht erholt, nachdem die Frachtblase die Fahrt aufgenommen hatte. Die Ruhepause war zu spät gekommen. Burst, der Schwarze-Loch-Operator, besaß die meisten medizinischen Kenntnisse an Bord.
Aber selbst zu Hause, selbst bei der besten Pflege konnten nur ganz wenige Weibchen unerwiderte Liebe und gleichzeitig schreckliche Anspannung überleben.
Daher war der Kapitän auch nicht überrascht, als Burst mit hängenden Ohren erschien und ihm mit Bedauern mitteilte: »Es tut mir Leid. Sie geht jetzt zu den Geballten Gehirnen ein.«
Liebe ist keine billige Gebrauchsware. Manche von uns werden ihrer teilhaftig und sehen niemals eine Rechnung, aber nur, wenn jemand anderer bezahlt.

Alle hatten sich gegen mich verschworen, sogar mein über alles geliebtes Weib, sogar mein treues Datenbeschaffungsprogramm. In den kurzen Augenblicken, die sie mich wach sein ließen, stellten sie mich vor die Entscheidung: »Du kannst in die Klinik zu einer kompletten Untersuchung gehen«, schlug Albert vor und zog verständnisvoll an seiner Pfeife.
»Du kannst aber auch verdammt noch mal so lange schlafen, bis du verdammt sicher bist, dass es dir wieder gut geht«, bot Essie als Alternative an.
»Ah-ha«, hielt ich ihr vor. »Das habe ich mir gedacht! Du hast mich bewusstlos gehalten, stimmt’s? Wahrscheinlich sind es schon einige Tage, seit du mich hast ausschalten und aufschneiden lassen!« Essie vermied es, mir in die Augen zu sehen. Edelmütig fügte ich hinzu: »Ich mache dir ja keine Vorwürfe deswegen. Aber verstehst du denn nicht? Ich will mir dieses Ding ansehen, das Walthers gefunden hat. Kannst du das wirklich nicht verstehen?«
Sie schaute mich immer noch nicht an, stattdessen funkelte sie das Hologramm von Albert Einstein an. »Scheint verdammt munter heute. Gibst du dem Chuligan auch genug Beruhigungsmittel?«
Alberts Bild hustete. »Nun ja, Mrs. Broadhead, das medizinische Programm ist gegen unnötige Ruhestellung zu diesem Zeitpunkt.«
»O Gott! Er wird wach sein und uns beide Tag und Nacht ärgern! Sache erledigt! Du, Robin, gehst morgen in die Klinik!« Während der ganzen Zeit, die sie mich anfauchte, streichelte sie mit der Hand meinen Nacken. Worte können lügen, die Berührung der Liebe kann man spüren.
Daher machte ich den Vorschlag: »Ich komme dir auf halbem Weg entgegen. Ich gehe in die Klinik und lasse mich vollständig untersuchen; aber nur unter der Bedingung, dass du mir keine Schwierigkeiten mehr machst, ins All zu fliegen, wenn das Ergebnis günstig ist.«
Essie schwieg und überlegte. Albert zog eine Augenbraue hoch. »Ich glaube, du machst einen Fehler, Robin.«
»Dazu sind wir Menschen ja da – um Fehler zu machen. Und jetzt, was gibt’s zum Abendessen?«
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