I ch war sprachlos.Bauplan? Blueprint? Meine Gedanken bewegten sich zeitgleich in verschiedene Richtungen, ohne jedoch zu irgendeinem Ergebnis zu gelangen. Maloney blickte verwirrt zwischen Mrs. Palmbridge und mir hin und her. Er schien auf eine Fortsetzung des Disputes zu warten, und als dieser nicht stattfand, ergriff er selbst das Wort. »Was für ein Bauplan? Wovon reden Sie. Mrs. Palmbridge? Ich verstehe kein Wort.«
»Ich spreche von einer Art Blaupause. Einem genetischen Code, der uns einen Anhaltspunkt dafür geben könnte, wie ein intaktes Immunsystem bei einer hoch entwickelten Spezies aussehen könnte. Ein Immunsystem, das in der Lage ist, sich flexibel den Angriffen immer neuer Virenmutationen anzupassen«, erläuterte sie. »Dabei käme es gar nicht darauf an, dass das System auf dem neuesten Stand wäre, sprich, dass es heute lebende Virenstämme erfolgreich abwehren könnte. Diese Feinjustierung ließe sich durch Immunisierung sehr leicht am lebenden Objekt bewerkstelligen. Nein, ich rede von einer fundamentalen Neuausrichtung unseres gesamten biochemischen Schutzapparates.«
Ich fasste mir ein Herz und fragte nicht ohne Ironie: »Woher wollen Sie den Bauplan denn nehmen? Vom Schimpansen?«
Lady Palmbridge schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Obwohl das Immunsystem der Schimpansen unserem sehr ähnlich ist. Zu ähnlich möchte ich sagen, denn wir haben bei ihnen die gleichen Anfälligkeiten und Schwächen festgestellt. Das gilt übrigens für fast alle Säugetiere. Nein, es müsste sich um eine Spezies handeln, die unserer ähnlich, aber nicht zu ähnlich ist. Eine Spezies, die über ein ausgeprägtes Gruppenverhalten verfügt, hochintelligent ist und die Fähigkeit zu differenzierter Kommunikation mitbringt.«
»Delphine?«
Sie schüttelte wieder den Kopf. »Meereslebewesen sind für unsere Zwecke nicht geeignet. Es würde zu weit führen, Ihnen das jetzt zu erklären, aber bei ihnen ist das, wonach wir suchen, völlig anders strukturiert.«
Ich seufzte und zuckte mit den Schultern. »Ich geb's auf. Mir fällt nichts ein, auf das Ihre Beschreibung zutreffen könnte.«
Sie grinste und sagte nur ein einziges Wort.
»Saurier.«
*
Ein unangenehmer Gedanke schlich sich bei mir ein: Die Frau hatte den Verstand verloren. Entweder das, oder sie erlaubte sich einen Spaß mit uns. Vielleicht wollte sie uns an der Nase herumführen oder uns auf die Probe stellen. Saurier! Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Den anderen schien Ähnliches im Kopf herumzugehen, aber da niemand der Lady gegenüber unhöflich erscheinen wollte, breitete sich betretenes Schweigen aus.
Teils aus Respekt, teils um Distanz zu wahren, nickte ich und gab ein Murmeln von mir, das unsere Gastgeberin glauben machen sollte, ich würde ihr zustimmen. »Interessant.«
Sie fixierte mich mit ihren grauen Augen, und ein ironisches Lächeln spielte um ihren Mund.
»David, Sie sind nicht nur ein Zauderer, sondern auch ein Heuchler«, sagte sie.
»Mylady?«
»In Wirklichkeit glauben Sie mir kein Wort.« Ihr Lächeln verschwand. »Hand aufs Herz: Was ging Ihnen eben durch den Kopf? Haben Sie gedacht, ich sei verrückt? Oder senil? Vielleicht dachten Sie, ich wolle Sie in irgendeiner Form einem Test unterziehen. Sehen Sie sich ruhig um. Vielleicht entdecken Sie ja hier irgendwo eine versteckte Kamera.«
»Ich muss gestehen, etwas in der Art ging mir durch den Kopf. Bitte verzeihen Sie mir.« Ich war völlig verwirrt.
»Da gibt es nichts zu verzeihen, Sie haben ja Recht. Ohne die nötigen Informationen muss einem diese Geschichte wie eine schlechte Kopie vonJurassic Park vorkommen. Obwohl der Ansatz nicht schlecht war. Erinnern Sie sich an das Buch oder den Film, Mr. Maloney?«
Der Jäger schüttelte den Kopf, ebenso sein Begleiter.
Sie schienen von dem Verhalten und den Worten unserer Gastgeberin genauso verwirrt zu sein wie ich.
»Nun, es ging im Wesentlichen um das Klonen von Dinosauriern aus fossilisierten Blutstropfen, die in von Bernstein umschlossenen Mücken zu finden waren. Die Experimente, auf denen sowohl das Buch als auch der Film basierten, hat es tatsächlich gegeben, doch es stellte sich bald heraus, dass man nur Bruchstücke von Saurier-DNS finden konnte. Die Abstände in den Gensequenzen waren zu groß, um sie zu schließen. Autor und Filmemacher waren sich dieses Problems bewusst und haben in ihrer Geschichte die Lücken mit Frosch-DNS geschlossen, was aus wissenschaftlicher Sicht natürlich Humbug ist. Pure Fantasie. Aber für eine packende Story kann man mal ein Auge zudrücken.
Doch die Idee blieb weiterhin bestehen. Was wäre das für ein Abenteuer, eine Lebensform zu klonen, die die Welt über zweihundertfünfzig Millionen Jahre lang beherrscht hat? Ich rede hier nicht davon, die großartigen Erkenntnisse, die sich daraus gewinnen ließen, für die Einrichtung eines Vergnügungsparks zu missbrauchen. Was meinen Mann und mich, sowie Heerscharen anderer Wissenschaftler bewegte, war die Frage: Wie konnte eine so hoch spezialisierte und fortgeschrittene Tiergattung es schaffen, so lange zu überleben? Zweihundertfünfzig Millionen Jahre! Eine unvorstellbar lange Zeit. Wir Menschen existieren, grob gerechnet, erst seit gut drei Millionen Jahren.«
»Dafür haben wir aber schon eine Menge Schaden angerichtet«, brummte Maloney.
»Ich verstehe das nicht«, hakte Sixpence nach. »Warum nehmen Sie nicht das Erbgut einer Tiergattung, die heute noch lebt? Es gibt doch genug Lebewesen, die nicht so anfällig für Virenerkrankungen sind wie wir Menschen.«
Lady Palmbridge erklärte geduldig. »Das hat etwas mit dem Grad der genetischen Spezialisierung zu tun, die eng an den evolutionären Entwicklungsstand gekoppelt ist. Das ist sogar wichtiger als die Tatsache, dass es sich bei Sauriern um Reptilien gehandelt hat. Je ähnlicher das Evolutionsniveau, desto einfacher die Übertragung. Reptilien hin oder her, Sie müssen sich vor Augen führen, dass die Saurier, ähnlich wie wir, in großen Gruppen zusammengelebt haben. Sie waren warmblütig, manche hatten ein Fell. Sie konnten auf eine äußerst komplexe Weise miteinander kommunizieren und waren obendrein sehr intelligent. Wir fangen gerade erst an zu begreifen, wie intelligent sie wirklich waren. Es gibt sogar Forschungen, die besagen, dass sich die Hadrosau-rier, eine Form der Entenschnäbler, zu einer Art Echsenmensch weiterentwickelt hätten, wären sie nicht vor fünfundsechzig Millionen Jahren von einem gigantischen Meteoriten vernichtet worden.«
»Saurier und Echsenmenschen. Ich glaube, ich brauche jetzt noch etwas Hochprozentiges«, sagte Maloney und stand auf.
»Da schließe ich mich an.« In der Hoffnung, nicht unhöflich zu erscheinen, folgte ich ihm zur Bar, während wir uns viel sagende Blicke zuwarfen. Maloney schenkte sich wie gewohnt einen Whisky ein, während ich mich diesmal für Brandy entschied. Mit unseren Gläsern bewaffnet, gingen wir zurück auf unsere Plätze.
»Was mir nicht einleuchten will ...«, nahm ich den Faden wieder auf, »... ist die Frage, woher Sie die DNS nehmen wollen, wenn die Sache mit dem Bernstein und dem fossilen Erbgut doch schon gescheitert ist.«
»Was für eine Frage. Wir werden die DNS natürlich einem lebenden Exemplar entnehmen.«
Ich musste mich beherrschen, mich nicht zu verschlucken. Es wäre schade um den Brandy gewesen. Das wurde ja immer absurder. »Einem lebenden Exemplar?«
»Selbstverständlich.«
Sie hatte also doch den Verstand verloren. Aber ich versuchte mir meine Gedanken nicht anmerken zu lassen und spielte das Spiel weiter. »Und wo, glauben Sie, einen lebenden Dinosaurier auftreiben zu können? Etwa im Loch Ness?«
In diesem Moment streifte mein Blick das Foto von Emily über dem Kamin, und für einen Moment wünschte ich mir, sie wäre jetzt hier. Doch sie war ja weit weg ... im Kongo!
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