Ich ließ meinen Blick schweifen. Das Gewölbe, das wir betraten, wurde durch Säulen gestützt, die den Umfang ausgewachsener Bäume hatten und gegen die wir wie Zwerge wirkten. Der Anblick dieses archaischen Bauwerkes war atemberaubend. Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich mich satt gesehen hatte.
»Lassen Sie uns weitergehen«, sagte ich zu Elieshi und setzte mich, ohne eine Antwort abzuwarten, in Bewegung. Egomo deutete vor uns auf den Boden. Die Schleifspur, die wir im angrenzenden Raum gesehen hatten, zog sich weiter. Er hatte also wieder einmal Recht gehabt. Wie ein roter Faden führte uns die Spur in unbekannte Tiefen.
Unsere Taschenlampen waren von nun an überflüssig. Langsam und mit der gebührenden Vorsicht gingen wir weiter. Doch bereits nach wenigen Schritten musste ich anhalten. »Sehen Sie sich das an, Elieshi«, flüsterte ich und deutete auf die Wände, die mit Reliefs bedeckt waren, wie man sie kunstvoller nicht einmal im British Museum zu sehen bekam. Ich sah Szenen einer bizarren Götterwelt, deren Phantasie und Ausdruckskraft überwältigend waren. Da waren konisch geformte Gebäude, zwischen denen geflügelte Streitwagen flogen, Brunnen, aus denen haushohe Wasserfontänen spritzten und sechseckige Pyramiden. Es gab Terrassen, Gärten, Triumphbögen und Haine, zwischen deren Bäumen seltsame Gottwesen einhergingen. »Sieht ägyptisch aus«, sagte Elieshi. »Allerdings muss ich zugeben, dass ich kein Experte in diesen Dingen bin.«
»Ich leider auch nicht«, gab ich zu. »Doch ich wage zu bezweifeln, dass die Ägypter hiermit zu tun haben. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass es eher umgekehrt ist. Diese Götterwelt sieht viel archaischer aus als die der Ägypter. Nicht so vermenschlicht. Eher wie ...«
»Na?«
Ich seufzte. Eigentlich hatte ich das Thema nicht anschneiden wollen, aber nun, da ich mich verplappert hatte, konnte ich auch die ganze Geschichte erzählen.
»Haben Sie schon einmal von der Theorie gehört, dass sowohl die Pyramiden als auch der Sphinx viel älter sind als gemeinhin angenommen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nun, zum Beispiel finden sich auf den Sphinx Erosionsrinnen, die von oben nach unten verlaufen. Spuren von Winderosion verlaufen horizontal. Es kann also nur Wassererosion sein. Dabei hat es seit beinahe sechstausend Jahren in der Sahara kaum geregnet. Die Wüste existierte bereits lange ehe sich die Ägypter dort ansiedelten. Es gibt Theorien, nach denen die Pyramiden von Gizeh mehrere tausend Jahre vor den Pharaonen gebaut wurden. Sie haben sie einfach zu Grabmä-lern umgebaut und sich ins gemachte Nest gesetzt, um es salopp zu sagen.«
»Von wem wurden sie dann erbaut, wenn nicht von den Pharaonen? Etwa von den Göttern?« Ihr Blick ließ mich zu der Überzeugung gelangen, dass sie diese Frage absolut ernst meinte. Warum auch nicht. Angesichts der Dinge, die uns umgaben, war alles möglich.
»Moderne Theorien gehen von einer Hochkultur aus, die viel älter ist als die der Ägypter«, fuhr ich fort. »Sie existierte zu einer Zeit, als die Sahara noch grün und fruchtbar war und dort noch Elefanten und Nashörner lebten.«
»Vielleicht auch Kongosaurier?« Elieshi sah mich erwartungsvoll an.
»Wäre möglich. Doch von dieser Kultur fehlte bisher jede Spur.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Alles, was man bisher fand, waren Spuren, Zeichen und Indizien. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll es eine Grabung am Rande des Djebel Uweinat, an der Grenze zu Libyen und dem Sudan, gegeben haben, in deren Verlauf man auf eine sechsseitige Pyramide gestoßen ist. Doch aus irgendwelchen Gründen ist nie etwas Genaues darüber bekannt geworden. War wahrscheinlich eine Zeitungsente.«
»Dies hier ist aber keine Ente.« Elieshis Augen leuchteten. »Wenn das stimmt, was Sie da eben gesagt haben, dann könnte es doch durchaus sein, dass wir endlich eine Spur gefunden haben, die diese Theorie untermauern würde.«
»Mehr als nur eine Spur. Es wäre das Missing Link«, erwiderte ich. »Und damit ebenso sensationell wie die Entdeckung des Mokele m'Bembe.« Mit glänzenden Augen wandte ich mich wieder den Reliefs zu. Jedes Bild war anders, doch so fantasievoll sie auch anmuteten, ein Detail war ihnen allen gemeinsam. Ein Detail, das einen klaren Bezug zur Realität darstellte. »Sehen Sie sich das mal an«, flüsterte ich und lenkte ihren Blick auf eine bestimmte Einzelheit. Der untere Teil des Reliefs schien einen in sich geschlossenen subterranen Kosmos darzustellen. Eine Art Unterwelt.
Elieshi fuhr die Konturen mit ihren Fingerspitzen nach. »Kongosaurier«, flüsterte sie. »Hunderte von Kongosauriern.«
Ich beobachtete, wie ihr Finger über die Formen dickleibiger Riesenechsen glitt, die sich umeinander schlängelten. Manche hielten gewellte Stäbe in ihren Klauen, andere Gegenstände, die tragbaren Fernsehern oder Truhen ähnelten. Oder waren es Bücher? Die Sache wurde immer mysteriöser.
»Einige scheinen das Gewölbe über sich zu stützen«, unterbrach Elieshi das Schweigen. »Es hat fast den Anschein, als würden sie die gesamte obere Bildhälfte tragen. Wäre ich Kunsthistoriker, würde ich sagen, dass auf ihren Schultern das gesamte Fundament unser eigenen Welt ruht. Ohne sie würde alles zusammenstürzen.«
Ich nickte. »Eine ziemlich direkte Symbolik, finden Sie nicht? Und sehen Sie sich das hier an. Eine Reihe von Bahren, auf denen kranke oder sterbende Menschen liegen und die durch die Berührung der Tiere wieder geheilt werden. Sind das Tränen, die ihnen da aus den Augen strömen?«
»Sie weinen über das Leid der Menschheit.« Elieshi wirkte ergriffen, als sie fortfuhr, mit ihren Fingern über das Relief zu streichen.
Ich atmete tief durch. »Dann waren wir die ganze Zeit auf der falschen Fährte. Die Menschen haben sich nicht trotz dieser Wesen hier angesiedelt, sondern wegen ihnen. Sie haben sie geliebt und verehrt. Sie haben sie vergöttert. Wenn das kein Zeichen für ihre Friedfertigkeit ist, weiß ich auch nicht weiter.«
»Dann dienten die Statuen wohl nur dazu, ungebetene Gäste fern zu halten«, sagte Elieshi. »Als Abschreckung für die Ungläubigen. Trotzdem«, sie schüttelte den Kopf, »so ganz verstehe ich es immer noch nicht.«
»Was meinen Sie?«
Sie breitete ihre Arme aus. »Das alles hier. Dieses gewaltige Mysterium. Fragen über Fragen türmen sich hier auf. Was waren das für Menschen, die diese Hallen erbaut haben, warum sind sie verschwunden, was hat diese Kultur ausgelöscht? Aber vor allem, wer hat diese Ölflammen entzündet? Denn Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass sie seit Tausenden von Jahren ungestört brennen.«
»Es ist genau diese praktisch orientierte Denkweise, die ich an Ihnen so schätze«, sagte ich mit einem Augenzwinkern. »Ehe wir nicht herausgefunden haben, wer sich hier unten aufhält, sollten wir sämtliche kunsthisto-rischen Betrachtungen zurückstellen - so schwer das auch fallen mag.«
Sie zwinkerte mir zu. »Sie entwickeln sich noch zu einem richtigen Abenteurer. Welch ein Unterschied zu dem Burschen, den ich vor einer Woche kennen gelernt habe.«
»Nun übertreiben Sie mal nicht«, wiegelte ich ab, obwohl ich mich über ihr Kompliment freute. »Ich habe eine Scheißangst, wenn ich daran denke, was uns da unten erwartet. Und je länger wir hier stehen, desto schlimmer wird es. Also, bringen wir es hinter uns.«
Wir gingen weiter, aber diesmal waren wir zielstrebiger und hielten uns nicht mit Nebensächlichkeiten auf.
Wir erreichten das Ziel schneller als vermutet. Wahrscheinlich hing das mit den Lampen zusammen, deren goldener Schimmer den Raum größer aussehen ließ, als er in Wirklichkeit war. Jedenfalls machte der Gang nach etwa fünfzig Metern einen scharfen Knick und mündete in einen zweiten Raum, der in Form und Größe der Eingangshalle sehr ähnlich war.
Ich stieß einen Schrei der Überraschung aus. Dieser Raum war nicht leer geräumt so wie die Eingangshalle, er war aber auch nicht gefüllt mit Truhen, Sarkophagen oder sonstigen Heiligtümern, wie man sie in ägyptischen Tempeln gefunden hätte. Es war ein modern eingerichtetes Labor. Ich sah Klappstühle und einen Tisch, auf dem Geräte standen, die den unseren in nichts nachstanden. Genau genommen war es ein exaktes Ebenbild unseres eigenen Labors am Lac Tele. Skizzen und Diagramme bedeckten die Wände. Ein kleiner Die-selgenerator stand dort, der die technischen Apparate und Halogenlampen mit Strom versorgt hatte. Doch entweder war ihm der Sprit ausgegangen oder man hatte ihn abgeschaltet. Jetzt wurde das Labor nur noch vom flackernden Licht der Öllampen beleuchtet.
Читать дальше