Sie schien kurz in Gedanken zu versinken, doch dann hob sie ihren Kopf und wandte sich den beiden Männern zu, die sichtlich Mühe hatten, sich aus den schweren Ledersesseln zu erheben.
»Bitte behalten Sie doch Platz«, sagte ich und ging auf sie zu. Die beiden Männer nahmen mein Angebot dankbar an. Der eine, ein fast zwei Meter großer Hüne mit scharf geschnittener Nase und einem hohen Haaransatz, streckte mir seine Pranke entgegen. Sein Unterarm war mit zahlreichen Narben überzogen. »Stewart Maloney«, sagte er. Seine Stimme war, ebenso wie sein Händedruck, überraschend sanft und angenehm. Trotzdem glaubte ich in seinen Augen ein Funkeln zu erkennen, das auf einen unnachgiebigen Willen schließen ließ. Mein Blick fiel auf ein merkwürdig archaisch anmutendes Amulett, das er um den Hals trug. Eine stilisierte Echse, eingefasst in einen runden Rahmen aus Holz, der mit zahlreichen Gravuren verziert war. »Dies hier ist mein Assistent«, stellte er mir seinen Begleiter vor.
Ich blickte ihn überrascht an. Der Mann war ein Abo-rigine, sein Lächeln reichte von einem Ohr zum anderen. Als ich zu Boden blickte, bemerkte ich, dass er keine Schuhe trug. Er nahm seine kleine Holzpfeife aus dem Mund und reichte mir seine Hand. »Sixpence«, sagte er mit jener unverwechselbaren Stimme, die ich schon durch die Tür gehört hatte. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
»Ganz meinerseits«, entgegnete ich, nahm seine Hand ... und beging damit einen kapitalen Fehler. Hätte ich gewusst, über was für einen eisernen Griff dieser Mann verfügte, wäre ich vorsichtiger gewesen.
Als er meine Hand wieder losließ, glaubte ich, unter meiner Haut befänden sich nur noch Knochensplitter. Schlagartig wurde mir bewusst, weshalb Maloney mit diesem merkwürdigen Akzent sprach und weshalb mir sein Amulett so bekannt vorkam. Er war ebenfalls Australier, und das Amulett war ein Traumfänger.
Lady Palmbridge lächelte mich an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Mr. Maloney und Mr. Sixpence haben die Reise von der anderen Seite der Erde aus demselben Grund angetreten, aus dem ich auch Sie hergebeten habe. Doch davon möchte ich Ihnen erst heute Abend nach dem Dinner erzählen. Jetzt würde ich mich freuen, wenn Sie sich alle wie zu Hause fühlten. Was darf ich Ihnen anbieten, David? Brandy, Whisky oder lieber einen Sherry?« Ich blickte kurz auf die Gläser der anderen und entschied mich spontan für Whisky. Nicht weil ich ihn besonders mochte, sondern weil niemand etwas anderes trank. Mrs. Palmbridge nickte Aston zu, der mit wackeligen Schritten auf die Bar zusteuerte. So prunkvoll die Villa auch war, ohne Emily war sie ein luxuriöses Altersheim.
»Scotch oder Bourbon, Sir?«, fragte der Butler.
»Scotch - ohne Eis bitte.« Ich fühlte mich, als würde ich einen halben Meter neben mir stehen. Wo war ich hier nur hineingeraten? Die Lady führte mich zu einem Sessel an der schmalen Seite des Tisches gegenüber von Maloney und Sixpence. Ich ließ mich hineinsinken. Der erste Eindruck hatte nicht getrogen. Die Sessel waren himmlisch. Unsere Gastgeberin wartete, bis ich meinen Drink hatte, dann hob sie ihr Glas. »Auf Sie alle, dass Sie die Mühe auf sich genommen haben, um einer alten Frau aus der Klemme zu helfen. Möge unser Treffen unter einem guten Stern stehen.« Sie kippte den Inhalt ihres Glases in einem Zug hinunter und ließ sich nachschenken.
Während ich noch über das seltsame Benehmen unserer Gastgeberin staunte, fragte ich mich, was diese dunklen Worte zu bedeuten hatten. Der Whisky war wie zu erwarten ausgezeichnet. Weich und ölig rann er die Kehle hinab und erzeugte im Magen eine wohlige Wärme.
»Nun, David, erzählen Sie. Wie gefällt Ihnen das Leben an der Universität? Ist es immer noch dieselbe Mühle wie zu meiner Zeit?«
Ich blickte verlegen in die Runde. »Das zu beurteilen, fällt mir schwer, Madam, aber ich denke, es hat sich nicht viel verändert, seit Sie studiert haben. Es ist eine sehr träge Institution für jemanden, der etwas bewegen möchte. Immerhin durfte ich vor kurzem meine erste Gastvorlesung über intrazelluläre Signalwege halten. Ein gewaltiger Durchbruch.«
Lady Palmbridge wandte sich an Maloney, der mich mit einer Mischung aus Skepsis und Belustigung anschaute.
»Zu Ihrer Information, mein lieber Stewart: David strebt eine Professur am Imperial College in London an. Das Imperial College ist die zweitbeste Eliteuniversität Englands, wohlgemerkt. Noch vor Oxford, aber leider hinter Cambridge.«
»Nun, ich hoffe, dass wir diesen Missstand in den nächsten Jahren beheben werden«, warf ich augenzwinkernd ein.
»Da bin ich mir sicher. David hat übrigens über ein Thema aus der strukturellen Biologie promoviert, ein sehr viel versprechender neuer Forschungszweig aus dem Bereich der Genetik. Wenn wir mehr Zeit haben, würde ich mich mit Ihnen darüber gern noch ausführlich unterhalten.«
»Mit Vergnügen«, entgegnete ich und nahm einen weiteren Schluck. Währenddessen fuhr Mrs. Palmbridge fort: »David tritt in die Fußstapfen seines Vaters, einem der großartigsten Taxonomen und Artenkundler, der je gelebt hat. Mit dem Unterschied, dass Ronald ein Weltenbummler war. Ihn zog es hinaus, er musste immerzu unterwegs sein. Ich habe noch nie einen so rastlosen Menschen erlebt wie ihn. Mein Mann und er waren Kollegen. Die beiden haben, so viel darf ich ohne falsche Bescheidenheit hinzufügen, wichtige Grundlagenforschung betrieben. Doch genug von der Vergangenheit und zurück zu Ihnen, David. Sie scheinen so ganz anders veranlagt zu sein.«
»Stimmt«, gab ich unumwunden zu. »Vater hat mich lang genug um den halben Erdball geschleift, dass ich mir darüber klar werden konnte, dass dies nicht das Leben ist, was mir vorschwebt. Ich halte mich am liebsten in meinem Labor auf, mache die Tür hinter mir zu und forsche in Ruhe.«
Lady Palmbridge lächelte wissend, ehe sie sich wieder Maloney zuwandte. »Sie können sich nicht vorstellen, welch dorniger Pfad zwischen einer Assistentenstelle und einer Professur liegt. Einem Mann wie Ihnen, der aus der Feldforschung kommt, wenn ich das so formulieren darf, muss die Universität vorkommen wie ein fremder Planet.«
»Für mich wäre das nichts«, brummte Maloney in sein Glas. »Bei allem Respekt, aber ich halte es da eher mit ihrem Vater, Mr. Astbury. Ich brauche frische Luft in den Lungen und Adrenalin im Blut. Mit Büchern und Vorlesungssälen kann ich nichts anfangen.«
»Interessant«, hakte ich mit leicht bissigem Unterton nach. »Was für eine Art Feldforschung betreiben Sie denn?«
»Mr. Maloney und sein Assistent sind zwei der besten Großwildjäger auf diesem Planeten«, schaltete sich Lady Palmbridge ein und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: »Sie sind sozusagen dafür zuständig, dass den Universitäten ihre Untersuchungsobjekte nicht ausgehen. Sie gehören zu den wenigen Menschen, die jemals ein lebendes Okapi in freier Wildbahn gesehen und gefangen haben. Was, würden Sie sagen, war der schwierigste Fang Ihres Lebens, Mr. Maloney?«
Maloney zögerte, und ich sah, wie seine Kaumuskulatur unter der perfekt rasierten Haut arbeitete. Er schien unentschlossen zu sein. Schließlich sagte er: »Das war vor drei Jahren auf Borneo, in der Nähe von Ketapang. Ein sechs Meter langes Leistenkrokodil, ein unglaubliches Monstrum. Für ein lebendes Exemplar dieser Größenordnung bekommt man heute auf dem freien Markt umgerechnet eine halbe Million Dollar. Es sah aus wie der Gott der Krokodile.«
»Stammen daher die Verletzungen?« Ich deutete auf seine Unterarme.
»Nein«, sagte er. Für einen kurzen Moment glaubte ich wieder dieses Funkeln in seinen Augen zu bemerken, dann fuhr er fort: »Ich hatte dem Biest drei Betäubungsgeschosse in den Bauch gejagt. Es schlief wie ein Baby, jedenfalls glaubten wir das. Wir wollten es gerade mit einer aufwendigen Hebevorrichtung aus dem Wasser in eine Holzkiste hieven, als es aufwachte, sich befreite und wild um sich schlagend zwischen die Helfer fiel. Sie ahnen nicht, wie schnell ein Krokodil sein kann. Ich war noch nicht mal dazu gekommen, mein Gewehr zu entsichern, da hatte es schon drei meiner Männer getötet. Danach verschwand es, eine Blutspur hinter sich herziehend, im brackigen Fluss.« Maloney nahm den letzten Schluck aus seinem Glas und ließ sich von Aston nachschenken.
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