»Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Wir kommen selbstverständlich für sämtliche Kosten auf. Wann können Sie frühestens hier sein?«
Rachel ging in Gedanken ihre Termine durch. »In drei Wochen.«
»Gut. Das Studio wird alles Weitere in die Wege leiten.«
Erst als Rachel auflegte, wurde ihr klar, dass sie sich nicht mit Jeff abgesprochen hatte. Es macht ihm bestimmt nichts aus, hatte sie damals gedacht. Wir sind doch sowieso nur selten zusammen.
»Hollywood«, hatte Jeff erwidert.
»Das wird der reinste Jux, Jeff.«
Er hatte genickt. »Na schön. Häng dich rein. Wahrscheinlich machst du es großartig.« »Kannst du nicht mitkommen?«
»Liebes, wir spielen am Montag in Cleveland, danach müssen wir in Washington ran und hinterher in Chicago. Wir haben noch allerhand Spiele vor uns. Und ich glaube, die Mannschaft würde es schon merken, wenn einer ihrer stärksten Pitcher fehlt.«
»Schade.« Sie versuchte so ruhig und beiläufig wie möglich zu klingen. »Irgendwie kommen wir anscheinend nie zusammen, was, Jeff?«
»Jedenfalls nicht oft genug.«
Rachel wollte noch etwas sagen, doch sie verkniff es sich. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.
Am Flughafen von Los Angeles wurde Rachel von einem Chauffeur in Diensten des Studios mit einer langen Limousine abgeholt.
»Ich heiße Henry Ford.« Er kicherte. »Bin aber weder verwandt noch verschwägert. Man nennt mich Hank.«
Die Limousine fädelte sich in den Verkehr ein. Unterwegs ließ er sich fortwährend über dies und jenes aus.
»Zum ersten Mal in Hollywood, Miss Stevens?«
»Nein. Ich war schon oft hier. Zum letzten Mal vor zwei Jahren.«
»Tja, seither hat sich allerhand verändert. Alles ist noch größer und gewaltiger geworden. Wenn Sie Glamour mögen, werden Sie begeistert sein.«
Falls ich Glamour mag.
»Das Studio hat Sie im Chateau Marmont untergebracht. Dort steigt die ganze Prominenz ab.«
Rachel gab sich beeindruckt. »Wirklich?«
»O ja. John Belushi ist dort gestorben, müssen Sie wissen, nachdem er eine Überdosis genommen hat.«
»Herrje.«
»Gable hat dort gewohnt. Paul Newman. Marilyn Monroe.« Er zählte einen Namen nach dem andern auf, bis Rachel irgendwann nicht mehr zuhörte.
Das Chateau Marmont lag unmittelbar nördlich des Sunset Strip. Es sah aus wie eine Schlossattrappe in einem Filmstudio.
»Ich hol Sie um zwei Uhr ab und bring Sie zum Studio«, sagte Henry Ford. »Dort lernen Sie dann Roderick Marshall kennen.«
»Ich erwarte Sie.«
Zwei Stunden später saß Rachel in Roderick Marshalls Büro. Er war Mitte vierzig, klein und untersetzt, sprühte aber förmlich vor Energie.
»Sie werden noch froh sein, dass Sie hergekommen sind«, sagte er. »Ich werde Sie zu einem großen Star machen. Morgen fangen wir mit den Probeaufnahmen an. Eine meiner Assistentinnen wird Sie zur Garderobe bringen, wo Sie sich irgendwas Nettes aussuchen können. Meiner Meinung nach sollten Sie uns eine Szene aus Ende vom Lied vorspielen, einem unserer großen Kinoerfolge. Wenn Sie morgen früh um sieben in der Maske und zum Hairstyling antreten könnten? Ich nehme an, das ist für Sie nichts Neues, was?«
»Nein«, sagte Rachel mit tonloser Stimme.
»Sind Sie allein hier, Rachel?«
»Ja.«
»Warum treffen wir uns dann nicht einfach heute Abend und gehen gemeinsam irgendwo essen?«
Rachel überlegte einen Moment lang. »Von mir aus.«
»Ich hole Sie um acht Uhr ab.«
Aus dem gemeinsamen Abendessen wurde eine turbulente Nacht.
»Wenn man weiß, wo was los ist - und wenn man dort reinkommt«, erklärte Roderick Marshall Rachel, »dann hat L.A. ein paar der schärfsten Clubs auf der ganzen Welt zu bieten.«
Der Zug durch die Gemeinde fing im Standard an, einer angesagten Bar samt Restaurant und Hotel am Sunset Boulevard. Als sie an der Rezeption vorbeigingen, blieb Rachel stehen und starrte auf die Mattglasscheibe, hinter der sich ein Nacktmodell in voller Lebensgröße räkelte.
»Ist das nicht toll?«
»Unglaublich«, sagte Rachel.
Sie besuchten einen Club nach dem anderen, alle laut und überlaufen, bis Rachel irgendwann erschöpft war.
Roderick Marshall setzte sie vor dem Hotel ab. »Schlafen Sie gut. Morgen wird sich Ihr ganzes Leben verändern.«
Um sieben Uhr morgens war Rachel in der Maske. Bob Van Dusen, der Maskenbildner, musterte sie mit anerkennendem Blick. »Und dafür bekomme ich auch noch Geld?«, sagte er.
Sie lachte.
»Sie brauchen nicht viel Make-up. Dafür hat Mutter Natur bereits gesorgt.«
»Besten Dank.«
Als Rachel fertig war, half ihr eine Kostümschneiderin beim Anlegen des Kleides, das sie am Nachmittag zuvor anprobiert hatten. Ein Regieassistent brachte sie in das riesige Aufnahmestudio.
Roderick Marshall und das Team erwarteten sie bereits. Der Regisseur musterte Rachel einen Moment lang. »Bestens«, sagte er dann. »Wir machen die Probeaufnahme in zwei Teilen, Rachel. Zunächst setzen Sie sich auf diesen Stuhl, und ich stelle Ihnen aus dem Off ein paar Fragen. Seien Sie ganz natürlich.«
»Gut. Und der zweite Teil?«
»Die kurze Probeszene, die ich bereits erwähnt habe.«
Rachel setzte sich hin, und der Kameramann stellte Schärfe und Belichtung ein. Roderick Marshall stand so, dass er nicht im Bild war. »Sind Sie bereit?«
»Ja.«
»Gut. Ganz locker. Sie machen das bestimmt wunderbar. Kamera ab. Action. Guten Morgen.«
»Guten Morgen.«
»Ich habe gehört, dass Sie Model sind.«
Rachel lächelte: »Ja.«
»Wie sind Sie dazu gekommen?«
»Ich war fünfzehn. Der Besitzer einer Model-Agentur sah mich mit meiner Mutter in einem Restaurant, kam her und hat sie angesprochen, und ein paar Tage später war ich Model.«
Das Interview dauerte eine gute Viertelstunde, die Rachel mit der ihr eigenen Intelligenz und Selbstsicherheit mühelos hinter sich brachte.
»Schnitt! Wunderbar!« Roderick Marshall reichte ihr den Text zu einer kurzen Probeszene. »Wir machen erst mal eine Pause. Lesen Sie das. Wenn Sie so weit sind, sagen Sie mir Bescheid, und wir drehen dann. Das machen Sie mit links, Rachel.«
Rachel las den Text. Es ging um eine Frau, die ihren Mann um die Einwilligung zur Scheidung bat. Rachel las ihn noch einmal.
»Ich bin bereit.«
Rachel wurde Kevin Webster vorgestellt, der ihren Widerpart spielen sollte - ein gut aussehender junger Mann, wie es sie in Hollywood zuhauf gab.
»In Ordnung«, sagte Roderick Marshall. »Dann drehen wir. Kamera ab. Action.«
Rachel schaute Kevin Webster an. »Ich habe heute Morgen mit einem Scheidungsanwalt gesprochen, Cliff.«
»Ich habe es schon gehört. Hättest du nicht erst mit mir reden können?«
»Ich habe mit dir darüber geredet. Ich rede schon seit einem Jahr mit dir darüber. Unsere Ehe besteht doch nur noch auf dem Papier. Du hast bloß nicht zugehört, Jeff.«
»Schnitt«, sagte Roderick. »Rachel, er heißt Cliff.«
»Tut mir Leid«, erwiderte Rachel betreten.
»Machen wir’s nochmal. Take two.«
In dieser Szene geht es im Grunde genommen um Jeff und mich, dachte Rachel. Unsere Ehe besteht doch nur noch auf dem Papier. Wie sollte es auch anders sein? Jeder führt sein eigenes Lehen. Wir sehen uns kaum. Wir lernen beide attraktive Menschen kennen, aber wir dürfen uns nicht mit ihnen einlassen, weil es einen Vertrag gibt, der nichts mehr zu bedeuten hat.
»Rachel!«
»Tut mir Leid.«
Sie fingen noch mal von vorn an.
Als Rachel mit der Probeaufnahme fertig war, hatte sie zwei Entschlüsse gefasst. Erstens, dass sie in Hollywood nichts verloren hatte.
Und außerdem wollte sie sich scheiden lassen ...
Ich habe einen Fehler gemacht, dachte sie jetzt, als sie in Rio im Bett lag, sich elend und erschöpft fühlte. Ich hätte mich niemals von Jeff scheiden lassen sollen.
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