»Das sollte genügen.«
»Ich bin davon überzeugt, dass Kemal nicht schuld an der Prügelei war«, sagte Dana abwehrend. »Er wird oft gehänselt, weil er nur einen Arm hat.«
»Ich nehme an, er kommt nur schwer damit zurecht«, sagte Elliot Cromwell.
»So ist es. Ich will zusehen, ob ich ihm eine Prothese beschaffen kann. Aber anscheinend ist das nicht so leicht.«
»In welche Klasse geht Kemal?«
»In die siebte.«
Elliot Cromwell dachte kurz nach. »Kennen Sie die Lin-coln Preparatory School?«
»O ja. Aber soweit ich weiß, ist es ziemlich schwierig, dort aufgenommen zu werden. Und außerdem«, fügte sie hinzu, »sind Kemals Noten nicht besonders gut.«
»Ich habe ein paar Beziehungen. Soll ich dort mal mit jemandem sprechen?«
»Ich - das ist sehr freundlich von Ihnen.«
»Es ist mir ein Vergnügen.«
Ein paar Stunden später bestellte Elliot Cromwell Dana zu sich.
»Ich habe eine gute Nachricht für Sie. Ich habe mit der Rektorin der Lincoln Preparatory School gesprochen, und sie ist bereit, Kemal probeweise aufzunehmen. Könnten Sie ihn morgen früh hinbringen?«
»Natürlich. Ich -« Es dauerte einen Moment, bis Dana es begriffen hatte. »Ach, das ist wunderbar! Ich bin ja so froh.
Ich danke Ihnen vielmals. Ich weiß das wirklich zu schätzen, Elliot.«
»Ich möchte Ihnen klar machen, dass ich Sie sehr schätze, Dana. Meiner Ansicht nach war es einfach großartig, dass Sie Kemal in dieses Land gebracht haben. Sie sind ein ganz besonderer Mensch.«
»Ich - ich danke Ihnen.«
Dazu waren eine Menge guter Beziehungen notwendig, dachte Dana, als sie das Büro verließ. Und sehr viel Wohlwollen.
Die Lincoln Preparatory School war ein eindrucksvoller Komplex mit einem großen Hauptgebäude im Stil der Jahrhundertwende, drei kleineren Nebengebäuden, weitläufigen, gepflegten Grünanlagen und ausgedehnten, gut gewarteten Sportplätzen.
»Kemal, das ist die beste Schule in ganz Washington«, sagte Dana, als sie vor dem Haupteingang standen. »Du kannst hier eine Menge lernen, aber du musst die richtige Einstellung dazu mitbringen. Hast du mich verstanden?«
»Top.«
»Und du darfst dich auf keine Prügeleien einlassen.«
Kemal gab keine Antwort.
Dana und Kemal wurden in das Büro von Rowana Trott geleitet, der Rektorin der Schule. Sie war eine attraktive Frau, die ausgesprochen freundlich wirkte.
»Willkommen«, sagte sie. Sie wandte sich an Kemal. »Ich habe viel von dir gehört, junger Mann. Wir freuen uns hier schon alle auf dich.«
Dana wartete darauf, dass Kemal etwas sagte. Als er weiter schwieg, ergriff sie das Wort. »Kemal freut sich auch schon darauf.«
»Gut. Ich glaube, du wirst an unserer Schule ein paar sehr nette Freunde finden.«
Kemal stand da, ohne eine Antwort zu geben.
Eine ältere Frau kam in das Büro. »Das ist Becky«, sagte Mrs. Trott. »Becky, das ist Kemal. Führen Sie ihn doch ein bisschen herum. Dann kann Kemal schon mal ein paar seiner Lehrer kennen lernen.«
»Natürlich. Hier lang, Kemal.«
Kemal warf Dana einen beschwörenden Blick zu, dann drehte er sich um und folgte Becky.
»Ich möchte Ihnen das eine oder andere über Kemal erklären«, setzte Dana an. »Er -«
»Das ist nicht nötig, Miss Evans«, sagte Mrs. Trott. »Elliot Cromwell hat mir geschildert, worum es geht und woher Kemal kommt. Ich bin mir darüber im Klaren, dass er mehr durchgemacht hat, als man einem Kind zumuten sollte, und wir sind bereit, dementsprechend nachsichtig mit ihm zu sein.«
»Vielen Dank«, sagte Dana.
»Ich habe eine Abschrift seines Zeugnisses von der Theodore Roosevelt Middle School vorliegen. Mal sehen, ob sich die eine oder andere Note verbessern lässt.«
Dana nickte. »Kemal ist ein sehr aufgeweckter Junge.«
»Davon bin ich überzeugt. Seine Mathematiknoten beweisen das. Wir werden versuchen, ihm einen Anreiz zu geben, damit er auch in den anderen Fächern gute Leistungen erbringt.«
»Dass er nur einen Arm hat, belastet ihn sehr«, sagte Dana. »Ich hoffe, dass mir dazu noch eine Lösung einfällt.«
Mrs. Trott nickte verständnisvoll. »Natürlich.«
»Ich weiß, dass es dir hier gefallen wird«, sagte Dana, als Kemal von der Führung durch die Schule zurückkehrte und mit ihr zum Wagen ging.
Kemal schwieg.
»Es ist eine herrliche Schule, nicht?«
»Sie ist ätzend«, sagte Kemal.
Dana blieb stehen. »Wieso?«
»Die haben hier eine Tennisanlage«, sagte Kemal mit belegter Stimme. »Und einen Fußballplatz, und ich kann nicht -« Die Tränen stiegen ihm in die Augen.
Dana schloss ihn in die Arme. »Tut mir Leid, mein Schatz.« Ich muss etwas dagegen unternehmen, dachte sie.
Die Dinnerparty, die am Sonnabend bei den Hudsons stattfand, war ein glanzvolles und elegantes Ereignis. In den prachtvollen Räumen tummelte sich alles, was in der Hauptstadt Rang und Namen hatte, darunter der Verteidigungsminister, etliche Kongressabgeordnete, der Leiter der Notenbank und der deutsche Botschafter.
Roger und Pamela standen in der Tür, als Dana und Jeff eintrafen. Dana stellte Jeff vor.
»Ich freue mich jedes Mal, wenn ich Ihre Sendungen sehe oder Ihre Sportkolumnen lese«, sagte Roger Hudson.
»Ich danke Ihnen.«
»Ich stelle Sie ein paar Gästen vor«, sagte Pamela.
Viele bekannte Gesichter waren darunter, und sie wurden von allen herzlich begrüßt. Anscheinend waren die meisten Gäste Fans von Dana oder Jeff oder von allen beiden.
»Mein Gott«, sagte Dana, als sie einen Moment allein waren. »Die Gästeliste muss das reinste Who’s Who sein.«
Jeff nahm sie an der Hand. »Du bist hier die größte Prominenz, mein Schatz.«
»Nie im Leben«, sagte Dana. »Ich bin bloß -«
In diesem Moment sah Dana General Victor Booster und Jack Stone auf sie zukommen.
»Guten Abend, General«, sagte sie.
Booster musterte sie. »Was, zum Teufel, haben Sie hier verloren?«, fragte er barsch.
Dana errötete.
»Das ist ein geselliger Abend«, herrschte er sie an. »Ich habe nicht gewusst, dass die Presse dazu eingeladen ist.«
Wütend wandte sich Jeff an General Booster. »Moment!«, sagte er. »Wir haben hier genauso viel -«
Victor Booster beachtete ihn nicht. Er beugte sich zu Dana vor. »Denken Sie dran, was Ihnen blüht, wenn Sie Ärger machen.« Damit ging er weg.
Jeff blickte ihm ungläubig hinterher. »Herrgott. Was sollte denn das?«
Jack Stone stand mit hochrotem Gesicht da. »Ich - es tut mir furchtbar Leid. So ist der General eben manchmal. Er ist nicht unbedingt der Taktvollste.«
»Das haben wir bemerkt«, erwiderte Jeff eisig.
Das Essen war fantastisch. Vor jedem Paar lag eine wie gestochen von Hand geschriebene Speisekarte.
Russische Blini mit Beluga-Kaviar und einer leichten Wodka-Schmandsauce
Fasanenbouillon a la Ambassador mit einem Parfait von weißen Trüffeln und grünem Spargel
Gänsestopfleber mit Kopfsalat, Pfefferkörnern und einer Sauce vinaigrette
Maine-Hummer Thermidor, glasiert mit einer Mornay-Champagner-Sauce
Rinderfilet a la Wellington mit Kartoffelgratin und gedünstetem Gemüse
Heißes Schokoladensouffle mit Orangenlikör und Schokoladenstreuseln in Nougatsauce
Es war ein köstliches Menü.
Dana stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie unmittelbar neben Roger Hudson saß. Dafür hat Pamela gesorgt, dachte sie.
»Pamela hat erwähnt, dass Kemal in die Lincoln Prepara-tory School aufgenommen wurde.«
Dana lächelte. »Ja. Elliot Cromwell hat das gedeichselt. Ein bemerkenswerter Mann.«
Roger Hudson nickte. »Das habe ich auch schon gehört.«
Er zögerte einen Moment. »Es mag nichts weiter zu bedeuten haben, aber kurz bevor Taylor Winthrop Botschafter in Russland wurde, hat er offenbar im engsten Freundeskreis erklärt, dass er sich endgültig aus dem öffentlichen Leben zurückziehen wolle.«
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