»Du bist unglaublich, weißt du das? Absolut unglaublich.«
Sie lächelte ihn mit einem warmen Lächeln an, das Eis hätte zum Schmelzen bringen können. »Hättest du mich lieber anders?«
Entdeckung plus 24 Tage, 16 Stunden 9 U.S.S. Constellation, Südlicher Ozean
»Dieser verdammte Yeats«, fluchte Admiral Hank Warren.
Von der Brücke des Flugzeugträgers aus beobachtete Warren, der klein und kräftig gebaut war, mit dem Fernglas die schwarzen Umrisse der Trägerkampfgruppe U.S.S. Constellation. Sie lagen zwanzig Meilen vor der Küste der Ost-Antarktis. Warrens Auftrag bestand darin, bis auf weiteres zu verhindern, dass die Kampfgruppe entdeckt wurde.
Zu diesem Zweck waren alle Radare und Satellitengeräte abgeschaltet worden. Nur Nahfunkgeräte waren genehmigt. Auf Deck waren Soldaten mit speziellen Fern- und Nachtsichtgläsern postiert, die den Horizont nach feindlichen Schiffen und U-Boot-Periskopen absuchen sollten.
Die Kampfeinheit sollte sich also in Küstennähe aufhalten, ohne die eigene Position zu verraten, um dann einen etwaigen Feind ohne Vorwarnung angreifen zu können. Dafür war ein atomar betriebener Flugzeugträger genau richtig. Aber wer zum Teufel sollten eigentlich die Feinde sein? Er und seine Kampfeinheit froren sich den Arsch ab, um ihre Entdeckung zu verhindern, und die einzigen Feinde, denen sie Angst einjagten, waren die Pinguine.
In der Zwischenzeit hatte ein nicht gekennzeichnetes Flugzeug über die Militärfrequenz der U. S. Navy einen Notruf gesendet, um gleich darauf vom Radar zu verschwinden. Wenn die Constellation den Notruf empfangen hatte, dann hatten ihn auch andere empfangen.
Warren wusste nur, dass das alles irgendwie mit diesem verrückten Scheißkerl Griffin Yeats zu tun hatte. Bei dem Gedanken beschlich ihn Unbehagen.
Vor langer Zeit hatte Warren einmal eine Weile in der Versorgungseinheit der U. S. Navy in der Antarktis gedient. Damals, 1969, hatte seine Rettungsmannschaft Yeats gefunden, nachdem dieser 43 Tage lang völlig benommen durch die Schneewüste marschiert war. Er war der einzige Überlebende eines Trainingseinsatzes für eine Marslandung, die dann aber nie stattgefunden hatte. Dieser Irre hatte damals darauf bestanden, drei NASA-Versorgungscontainer mitzuschleppen, obwohl die Navy eigene hatte. Um die drei zurückgelassenen Leichen kümmerte er sich überhaupt nicht. Erst später erfuhr Warrens Mannschaft, dass die Container, die Yeats mitschleppte, radioaktiv strahlten. Aber so war Yeats nun einmal. Er interessierte sich nicht im Geringsten für die Verwüstung, die er im Leben anderer anrichtete, wenn diese seine Pläne kreuzten. Als Warren eine Beschwerde einreichte, erhielt er als Antwort nur diesen Scheiß von wegen ›Verschlusssache‹ und ›wichtige Angelegenheit‹.
Jetzt, mehr als dreißig Jahre später und in der Zwischenzeit mit dem Rang eines Admirals versehen, tappte Warren, was Yeats betraf, weiter im Dunkeln. Das frustrierte ihn ohne Ende. Seine Leute hatten gerade einen Kurzwellen-Notruf aufgefangen. Anscheinend von einem Flugzeug mit Geheimauftrag, das sich 696 nannte und offensichtlich beim Landeanflug auf eine Phantompiste zerschellt war. Dieses Debakel trug durch und durch Yeats' Handschrift, und Warren würde sich persönlich darum kümmern, dass dieser Mann, genau wie er es verdiente, frühzeitig in Pension geschickt wurde.
»Ich habe da schon was, Sir«, meldete sich der Leiter der Sonderabteilung.
»Was gibt's?« Warren hatte für die Morgenwache das Kommando auf der Brücke.
»Die Beobachtungsposten melden ein Schiff, Position zwei-null-sechs. In weniger als tausend Meter Entfernung.«
»Was?«, brüllte der Admiral. »Verflucht. Wie konnten wir das übersehen?«
Warren hob sein Fernglas und drehte sich nach Südwest. Da war es. Ein Schiff, mv arctic sunrise stand auf dem Bug. Ein Greenpeace-Schiff. An Bord stand ein Typ mit einer Videokamera, die er auf die Constellation richtete.
»Steuermann, raus aus dem Sichtfeld!«
»Zu spät, Sir«, sagte ein Funker. »Die haben uns schon im Visier.«
Der Funker deutete auf einen Fernsehbildschirm.
»CNN berichtet live von der Arctic Sunrise.« Der Reporter sprach vom Bug des Greenpeace-Schiffs. »Hinter mir sehen Sie die U.S.S. Constellation, eines der größten Kriegsschiffe überhaupt. Der Flugzeugträger kreuzt vor der Antarktis-Küste. Der Auftrag ist streng geheim. Aber schauen wir uns erst einmal die Videoaufnahmen von den riesigen Rissen im Schelfeis an. Vermutlich steht der Zusammenbruch der Eisdecke unmittelbar bevor.«
Ein ungepflegter College-Typ von der Sorte, die spätestens nach einer Woche aus der Marineakademie fliegen würde, erschien auf dem Bildschirm und sagte: »Wissenschaftler sehen in dem schnellen Auseinanderbrechen dieses und anderen Schelfeises in der Antarktis ein Zeichen dafür, dass die gefährliche Erderwärmung fortschreitet.«
Auf dem Bildschirm erschien ein Teil des Eisbergs, der ein paar Wochen zuvor von der Küste abgebrochen war. Der Reporter bemerkte in seinem Kommentar, dass der gewaltige Eisbrocken 2.000 Quadratkilometer umfasste. 60 Meter hohe Eiswände ragten aus dem Wasser, und schätzungsweise 300 Meter lagen noch unter Wasser.
»Wenn man bedenkt, dass die Vereinigten Staaten geheimer Atomtests in der inneren Schneewüste der Antarktis beschuldigt werden, hat das Phänomen der globalen Erderwärmung jetzt an Brisanz gewonnen.«
Der CNN-Bericht endete mit einer langen Einstellung, die die bedrohliche Seitenansicht der Constellation in der Morgendämmerung am Horizont zeigte.
»Mist«, sagte Warren. MSNBC und die anderen Nachrichtensender würden bestimmt mit ähnlichen Nachrichten nachziehen. Schlimmer konnte es gar nicht kommen. »Zum Teufel mit Griffin Yeats.«
Entdeckung 10 plus 24 Tage, 16 Stunden
Serena saß auf ihrer Pritsche und lauschte dem Summen der beiden Ventilatoren, die Luft und weiß Gott was sonst noch in die eisige Zelle bliesen. Ihr war kalt. Bilder, die sie zu verdrängen gelernt hatte, waren nach der Begegnung mit Conrad wieder aufgetaucht. Jetzt, wo sie sich mit den Armen ihren Körper umschlang, um sich warm zu halten, kam die Erinnerung an ihr letztes Zusammensein wieder hoch.
Es war im März gewesen, sechs Monate nachdem sie sich zum ersten Mal auf einem Symposium der mittelamerikanischen Archäologen in La Paz, der Hauptstadt Boliviens, getroffen hatten. Damals war sie noch Nonne gewesen. Sie sahen sich fast täglich und arbeiteten Seite an Seite an einem Forschungsprojekt in der untergegangenen Stadt Tiahuanaco hoch oben in den Anden.
Conrad Yeats war intelligent, attraktiv, geistreich und sensibel. Er besaß mehr Geistigkeit als ihre Kollegen aus Rom, und was sie am meisten an ihm mochte, war die Ernsthaftigkeit, mit der er seinen Beruf ausübte. Einige fanden seine unorthodoxen Theorien über die Urkultur bedrohlich, aber sie fand sie aufregend, weil sich vieles mit ihren eigenen Studien in Sachen Mythologie deckte. Conrad und sie kamen trotz unterschiedlicher Ansätze zu der gleichen Schlussfolgerung; er betrachtete alles aus Sicht der Archäologie und sie aus der Sicht der Sprachwissenschaft.
Am letzten Abend des Feldstudienprogramms lud er sie ein, an einer ›Offenbarung‹ auf dem Titicacasee teilzuhaben, zwölf Meilen von Tiahuanaco entfernt.
Ein merkwürdiger Ort des Abschieds, dachte sie, als sie am Ufer entlangging. Es herrschte ein reges Treiben von Einheimischen und Touristen, die bei Sonnenuntergang in den Tavernen Bier tranken.
Wie eine Erscheinung aus Tiahuanaco tauchte auf einmal ein gut aussehender, braun gebrannter Conrad in einem eleganten Boot aus Schilfrohr auf. Das Boot kam von der Insel Suriqui. Es war vier Meter lang, aus Papyrusrohr geflochten, mit einem breiten Mittelschiff und schmalen hohen Enden. Die Schilfbündel waren mit festen Schnüren zusammengebunden.
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