»Conrad.« Serena setzte ein Lächeln auf. »Ich hab mir schon gedacht, dass sie dich schicken. Du hast immer schon originelle Ideen gehabt, wenn es um ein heimliches Stelldichein ging.«
Conrad besah sich ihren schwarzen Wollpulli und das schwarze Haar, das ihr auf die Schultern fiel. Unter dem Pulli trug sie wahrscheinlich Funktionsunterwäsche. Was dann unter der war, musste Conrad sich nicht weiter vorstellen.
»Was ist daran so originell?« Er berührte ihr Gesicht. »Dir ist immer noch kalt.«
»Mir geht's gut. Aber was hast du denn da gemacht?«
Er sah seine verbundene Hand an. »Das bringt der Beruf so mit sich. Reiner Zufall.«
»Wie du auch General Yeats nur zufällig über den Weg gelaufen bist? Ich hätte es eher für möglich gehalten, dass wir beide beruflich miteinander zu tun haben als du und dein Vater.«
»Und was ist mit deinen Supermännern nebenan in der …«
»Zelle?« Sie musste lächeln. »Hast du etwa Angst vor Konkurrenz, Conrad?«, fragte sie. »Brauchst du nicht. Wenn ich die einzige Frau auf der Welt wäre und du der einzige Mann, würde ich wieder Nonne werden.«
Conrad sah in ihre hellbraunen Augen. Seit fünf Jahren war es das erste Mal, dass sie sich allein gegenüberstanden, und Conrad fand, dass sie schöner aussah als je zuvor. Er hingegen fühlte sich alt und verbraucht. »Warum bist du hier, Serena?«
»Die Frage könnte ich auch dir stellen, Conrad.«
Er brannte darauf, ihr von den Ruinen unter dem Eis zu erzählen, ihr zu sagen, dass sich seine Theorien bewahrheiten sollten. Aber er tat es nicht. Schließlich hatten sie sich ja noch nicht einmal ansatzweise mit den Ruinen des eigenen Lebens auseinander gesetzt.
»Dir geht es hier nicht nur um die Umwelt«, sagte Conrad. »Du warst überhaupt nicht erstaunt, mich zu sehen, als du durch die Luftschleuse gekommen bist.«
»Du hast Recht, Conrad«, sagte sie leise und berührte ihn mit der warmen Hand im Gesicht. »Ich habe dich vermisst und wollte dich unbedingt sehen.«
Conrad zuckte zurück. »Du bist richtig gemein. Und das weißt du ganz genau.«
»Und du etwa nicht?«
Es fing zu rumpeln an. Serena setzte sich auf ihrer Pritsche zurück und sah auf die Uhr. Sie misst die Abstände zwischen den Erschütterungen, dachte Conrad. Plötzlich sagte sie: »Wann wolltest du der Welt von deiner Entdeckung berichten?«
Conrad schluckte. »Welcher Entdeckung?«
»Der Pyramide unter dem Eis.«
Conrad sah sie ungläubig an, sagte aber nichts. Es hatte keinen Sinn, sich gegen die Tatsache zu sperren, dass sie genauso viel wie er, wenn nicht sogar mehr, von dieser Expedition wusste.
»Was hat der liebe Gott dir sonst noch erzählt?«
»Ich würde mal sagen, ihr bohrt gerade Erkundungstunnel um die Pyramide herum. Und ich wette, dass dein Cowboy-Vater wahrscheinlich schon einen Zugang gefunden hat.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Nun ging es nicht mehr um ihren üblichen Machtkampf. Jetzt waren sie gemeinsam der Wahrheit auf der Spur. Conrad war froh, dass sie hier war, obwohl es ihn gleichzeitig ärgerte. Er sorgte sich um ihre Sicherheit, fühlte sich aber auch durch ihre Gegenwart bedroht, weil sie ihm vielleicht im Weg stehen würde.
»Serena«, sagte er leise. »Das hier ist keine Ölplattform, an die du dich ketten kannst, um gegen die Förderung von fossilen Brennstoffen zu protestieren. Bei dieser Expedition sind schon einige Soldaten umgekommen, und es ist fast ein Wunder, dass wir beide noch miteinander sprechen können.«
Ein bekümmerter Blick überschattete Serenas Gesicht. Sie verfolgte ihre eigenen Gedanken. »Ich kann mich schon um mich selbst kümmern, Conrad«, sagte sie. »Um dich mache ich mir Sorgen.«
»Um mich?«
»Dein Vater hat dir nicht alles gesagt.«
»Das ist nichts Neues.« Conrad zuckte die Achseln. »Etwas aus ihm herauszuquetschen ist ungefähr genauso schwierig, wie Nierensteine rauszuholen. Meinetwegen verheimlicht er also irgendwas. Du aber auch, Serena. Eine ganze Menge. Weder die Vereinigten Staaten noch der Vatikan sind in der Lage, etwas dieser Größenordnung geheim zu halten.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Conrad, ich weiß, dass du nicht völlig naiv bist. Folglich verleugnest du da was«, sagte sie. »Wie hat dein Vater dich bloß hierher gelockt? Hat er dir für diesen Jahrtausendfund väterliche Anerkennung versprochen? Unterstützt er dich jetzt vielleicht, deine leiblichen Eltern zu finden?«
»Schon möglich.«
»Glaub mir, Conrad.« Ihre Augen verrieten den Schmerz der eigenen Erfahrung. »Es gibt Antworten, die man lieber nicht kennen sollte.«
»Fass dir an die eigene Nase, Schwester.«
»Conrad, hier geht es nicht um dich oder um mich. Es geht um die Welt an sich und um das Wohl aller. Du musst auch an die anderen Menschen denken.«
»Genau daran denke ich. Es geht hier um eine noch nie da gewesene Entwicklung in der Geschichte der Menschheit. Und ich will, dass die Welt daran teilhat.«
»Nein, du willst vor allem den berühmten Doktor Conrad Yeats raushängen. Zum Teufel mit dem Rest der Welt. Warum sollte es dich auch interessieren? Schließlich sind die Erkenntnisse über die Erde wichtiger als der Planet selbst oder die Menschen darauf. Ist das nicht deine Devise? Du hast dich keine Spur verändert.«
»Wenn du damit unsere Beziehung meinst, da hast du von Anfang an gewusst, woran du warst, du Prinzessin auf der Erbse. Du wolltest einfach keine Verantwortung übernehmen.«
»Damals war ich rein wie Neuschnee, Conrad. Aber du hast auf mich gepinkelt. Genau so, wie du diesen Planeten anpinkeln wirst.«
»Moment mal. Schließlich ist ja nichts zwischen uns gelaufen.«
»Sag ich ja. Aber du hast auch nichts unternommen, um diese Gerüchte zu entkräften.«
»Dafür kann ich nichts.«
»Ach wirklich? Du bist nur ein Handlanger der Vereinigten Staaten, bereit, alle deine Grundsätze von internationaler Zusammenarbeit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit zu verraten, nur um deine egoistische Neugier zu befriedigen.«
»Ich will die Welt nicht verändern«, sagte er. »Ich will sie nur verstehen. Und das hier ist so ziemlich der beste Treffer, um herauszufinden, wer wir sind und wo wir herkommen. Bei dir klingt es so nach verbotener Frucht: Wenn wir davon essen, werden wir alle verflucht sein.«
»Vielleicht sind wir das ja bereits jetzt schon, Conrad. Und hat dich nicht gerade das an mir gereizt? Ich war die verbotene Frucht. Genau wie jetzt die Ruinen unter dem Eis.«
»So erreichst du nichts, Schwester. Ich bin jedenfalls fest entschlossen.«
Serena nickte. »Wenn das so ist, kannst du mich genauso gut auch mitnehmen.«
Conrad sah sie ungläubig an. Er war hier, weil er die führende Kapazität für megalithische Architektur war und gleichzeitig der Sohn des Generals, der die Expedition leitete. Serena hatte keinen Fürsprecher. »Du machst wohl Witze.«
»Nehmen wir mal an, ihr findet da unten irgendwelche Inschriften«, sagte sie einfach. »Wer wird sie entziffern? Du vielleicht?«
Es war ihm nicht einmal gelungen, wichtige Informationen aus ihr herauszuziehen, dachte Conrad entmutigt, während sie es geschafft hatte, ihr Gespräch auf diesen Punkt zu bringen. Alles lief genau, wie Yeats es vorausgesagt hatte. Und irgendwie schien sich Serena dessen bewusst zu sein.
»Zugegeben, ich bin kein Sprachwissenschaftler, aber ab und zu habe ich doch das eine oder andere aufgeschnappt.«
»So wie man eine Geschlechtskrankheit aufschnappt?«, schoss sie zurück. »Nein, Conrad, du weißt ganz genau, dass du nur hier bist, weil sie dachten, mich nicht dafür gewinnen zu können.«
Was Conrad am meisten ärgerte, war die absolute Bescheidenheit, mit der sie das sagte. Nicht als Angeberei, sondern wie eine einleuchtende Erklärung. Dann merkte Conrad, dass ihre Worte an die Überwachungskamera an der Decke gerichtet waren. Sie hatte die ganze Zeit über mit Yeats gesprochen.
Читать дальше