Und jetzt kam die weltpolitische Elite.
Kein Wunder, dass sie Sorgen hatten. Die Frage war, ob sie gewillt waren, sich noch ganz andere Sorgen zu machen.
Lavallier musste die Air Force One umleiten!
O’Connor sah sich genauer um. Auf den zweiten Blick wirkte die Abflughalle weniger leer. Überall zogen sich Gerüste hoch. O’Connor hatte Geschäftigkeit erwartet, aber es waren nur wenige Menschen in dem Terminal. Zwischen den Arbeitern bewegten sich einige Zivilisten.
»Wir bauen überall gleichzeitig«, sagte Mahder, der unbemerkt neben ihn getreten war. Er wies mit einer Kopfbewegung zum Dach hinauf. »Clohessy hat vornehmlich auf den Gerüsten gearbeitet. Elektrische Leitungen in die Stangen unterm Dach gelegt.«
»Wo genau?«, fragte O’Connor.
»Südöstliche Schmalseite. Zum alten Terminal hin.«
»Richtung Frachtflughafen also?«
»Gewissermaßen.«
Sie durchschritten die Halle, vorbei an Gerüsten, Maschinen und provisorischen Verschlägen für Geräte. Mehrmals wurde Mahder gegrüßt. Er trug seinen Ausweis deutlich sichtbar am Overall. Einmal wurden sie angesprochen, und Mahder erklärte, dass O’Connor mit seinem Einverständnis auf ein paar Gerüste klettern würde. Der Mann, offenbar jemand von der Flughafensicherheit, nickte, und sie gingen weiter bis ans Ende des Glasbaus.
Von dort überblickte man das alte Terminal und einen großen Teil des Frachtflughafens mit dem Tower.
Sie waren hoch. Dennoch reichte die Höhe nicht aus. Irgendwo dort hinten musste es einen weiteren Spiegel geben, an einem der höheren Gebäude im Frachtbereich, auch wenn Paddy dort angeblich nicht gearbeitet hatte. Ja, das war möglich. Einer im T2, ein weiterer drüben.
O’Connor lief ein Stück an den Scheiben entlang und deutete zur Decke.
»Wie hoch ist das?«
Mahder legte den Kopf in den Nacken.
»Im Durchschnitt sechzehn Meter.«
»Im Durchschnitt?«
»Das Dach ist wie eine Ziehharmonika gefaltet. Unterschiedliche Höhen. Die Differenz beträgt etwa zwei Meter.« Er machte eine Armbewegung, die die gesamte Schmalseite einbezog. »Hier sind überall Gerüste, wie Sie sehen. Alle reichen bis unters Dach. Von einigen kommen Sie übrigens auch nach draußen, man kann außen herumturnen, auch da war Clohessy zugange.« Er machte eine Pause. »Sagen Sie mal, sind Sie wirklich überzeugt von dem, was Sie mir eben erzählt haben?«
O’Connor sah ihn mit reglosem Gesicht an.
»Ich habe keine andere Wahl, als davon überzeugt zu sein«, sagte er. »Die Alternative wäre, aufzustehen und zu gehen. Vor einer Stunde habe ich von einem klugen Mann gelernt, dass das keine Lösung ist. Also werde ich jetzt da hochsteigen.«
»Gut. Ich hole Verstärkung.«
Eigentlich, dachte O’Connor, hättest du das schon auf unserer Herfahrt tun können, Dummkopf. Warum hatte er selbst nicht daran gedacht? Die Zeit lief ihnen davon, und Lavallier war nicht zu erreichen.
»Versuchen Sie vor allem weiterhin, den Kommissar zu erreichen«, sagte O’Connor. »Versuchen Sie es alle dreißig Sekunden. Wenn er fragt, was los ist, sagen Sie ihm einfach, dass ich gerade durch sein neues Terminal turne und versuche, Bill Clintons Leben zu retten. Ich glaube, er wird schneller hier sein, als man Kirk auf die Brücke beamen kann.«
Mahder blinzelte ihn unentschlossen an. Dann nickte er mit zusammengekniffenen Lippen und lief los.
»Brechen Sie sich nicht den Hals«, rief er O’Connor im Davoneilen zu.
O’Connor sah ihm nach.
Der Mann war wirklich ein Trottel. Warum schickte er nicht ein paar von denen, die hier Dienst taten, zu ihm rüber? Fürs Erste wenigstens?
Einen Moment lang überlegte er, ob er selbst welche von den Männern ansprechen sollte.
Aber dann müsste er alles ein weiteres Mal erklären. Vielleicht würden ihn die Sicherheitsleute mit Fragen bombardieren und nicht mehr auf die Gerüste lassen. So dynamisch, wie Mahder ihm erschien, stand zu befürchten, dass es Ewigkeiten dauerte, bis überhaupt jemand käme, um das Dach in Augenschein zu nehmen.
Er strich seinen teuren Anzug glatt, öffnete die Jacke und kletterte die nächststehende Leiter hoch.
Verkleidung war Routine, und doch wieder nicht. In die meisten Rollen war Jana schon mehrfach geschlüpft. Man wurde vertraut mit einer Signora Baldi oder der ukrainischen Geschäftemacherin Karina Potschowa. Cordula Maliks Girlie-Look hingegen war neu und aufregend. Er machte Jana Spaß. Selten zuvor hatte sie sich mit so viel Vergnügen im Spiegel betrachtet. Cordula war das völlige Gegenteil der stets auf Korrektheit bedachten Laura Firidolfi, die in den letzten Jahren Janas Leben beherrscht hatte. Ihre gestylte Schlampigkeit drückte Lebensfreude und Sinnlichkeit aus, Dinge, von denen sie viel zu lange viel zu wenig zugelassen hatte.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, aus der Asche von Jana, Sonja, Laura und all den anderen jemanden wie Cordula aufsteigen zu lassen. Das Leben würde lustiger sein mit bauchfreien T-Shirts.
Auch über das Piercing könnte man sich noch mal Gedanken machen. Ein kleines mit einem Stein darin. Einem wasserblauen oder einfach einem funkelnden kleinen Brillanten. Sie hätte Millionen zur Verfügung. Die Bezeichnung Edelschlampe würde eine völlig neue Bedeutung erhalten.
Jana sah aus dem Fenster, während der Bus sie und vierzig weitere Journalisten auf das Flughafengelände fuhr, und dachte an ihr neues Leben.
Für viele Menschen stellte die Überlegung, ein silbernes Schmuckstück in ihrem Nabel unterzubringen, den Gipfel der Komplexität dar. Wie sorglos waren solche Gedanken. Wie anders als solche, die um Waffen kreisten und um Auftragsmorde, die einen YAG schufen und einen Plan, wie man den mächtigsten Mann der Welt umbringen konnte.
Würde sie in ein Juweliergeschäft gehen und sagen, guten Tag, ich habe Bill Clinton umgebracht und ein gutes Dutzend weiterer Menschen, jetzt würde ich mir gern den Nabel versilbern lassen?
Würde sie es denken? Denken können? Wäre es möglich, ein Mensch zu werden, der in aller Unschuld einfach nur ein Mensch war?
Sie schob ihren Kaugummi von rechts nach links und versuchte, sich wie ein Girlie zu fühlen, aber sie fühlte sich nur wie eine Killerin aus der Eliteklasse, die ein bauchfreies T-Shirt trug.
Einmal noch, dachte sie. Dann wird sich alles ändern.
Der Bus passierte einen Checkpoint und fuhr weiter die Straße entlang. Links erstreckten sich die Neubauten des Flughafens, das Parkhaus 2 und das halb fertige Terminal, dann unterquerten sie eine Rollbahn und hielten auf einen Kreisverkehr zu. Dahinter begann der lang gestreckte Bereich des Frachtflughafens. Überall waren Sperren und Polizei. Mannschaftsfahrzeuge säumten die Heinrich- Steinmann-Straße. Jana wusste, dass dies der Weg war, über den die Politiker den Flughafen verließen. Links sah Jana den Flachbau der Luftpostleitstelle liegen, daneben das quer stehende Luftsicherungsgebäude, dahinter die Frachthallen. Wo die Frachthallen endeten, erhob sich ein sandgelber mehrstöckiger Bau, das UPS-Gebäude, nur überragt vom Tower.
Jana lächelte. Sie kannte den Flughafen wie ihre Westentasche.
Sie stoppten. Nacheinander stiegen sie aus und betraten den Parkplatz, von dem aus es zu den Zelten ging. Jana sah den EXPRESSReporter neben sich auftauchen. Sie tauschten ein paar Bemerkungen über das exzeptionelle Aufgebot an Polizei und ausländischen Sicherheitskräften aus, während sie über den Parkplatz gingen und sich der Absperrung näherten. Vor ihnen lag eine flache Speditionshalle, dahinter erhob sich der gewaltige, lang gestreckte Kasten der Lärmschutzhalle, die weit in die Vorfelder hineinragte und sie in zwei Hälften teilte. Rechts von der Halle lag das GAT, auf dem gemeinhin kleinere Maschinen parkten, Privatflugzeuge und die Jets der Außenminister. Zur Linken, von der Lärmschutzhalle flankiert, erstreckte sich das Vorfeld Fracht West.
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