Michael Moretti saß an seinem Schreibtisch und starrte den stummen Hörer in seiner Hand an. Er fühlte einen Aufruhr in sich, aber es war nicht Wut oder Zorn. Er war nicht sicher, um was es sich handelte, und er war nicht sicher, daß er es mochte. Er hatte Frauen sein Leben lang benutzt, und sein gutes Aussehen und seine angeborene Skrupellosigkeit hatten ihm mehr willige Betthäschen verschafft, als er aufzählen konnte.
Grundsätzlich verachtete Michael Moretti Frauen. Sie waren zu weich. Sie hatten keinen Verstand. Rosa, zum Beispiel. Sie ist nicht mehr als ein kleiner Hund, der tut, was man ihm sagt, dachte er. Sie hält mein Haus in Ordnung, kocht für mich, fickt mich, wenn ich gefickt werden will, und hält den Mund, wenn ich ihn ihr verbiete. Michael hatte nie eine Frau mit Verstand gekannt, eine Frau, die den Mut hatte, ihm zu trotzen. Jennifer Parker hatte es gewagt, ihn einfach abzuhängen. Was hatte sie noch gesagt? Nichts, was Sie tun oder sagen, könnte mich auch im geringsten interessieren. Michael Moretti dachte darüber nach und lächelte vor sich hin. Sie irrte sich. Er würde ihr zeigen, wie sehr sie sich irrte. Er lehnte sich zurück und dachte daran, wie sie im Gericht ausgesehen hatte, an ihr Gesicht, an ihren Körper. Er fragte sich plötzlich, wie sie wohl im Bett war. Eine Wildkatze, vielleicht. Er stellte sich ihren nackten Körper unter dem seinen vor, wie sie sich gegen ihn wehrte. Er hob den Hörer ab und wählte eine Nummer.
Als sich am anderen Ende eine Mädchenstimme meldete, sagte er: »Zieh dich aus. Ich bin auf dem Weg zu dir.«
Als Jennifer auf dem Rückweg vom Mittagessen ins Büro die Third Avenue überquerte, wäre sie beinahe von einem Lastwagen überfahren worden. Der Fahrer trat auf die Bremsen, und das Heck des Lasters schlug aus und verfehlte sie nur um Haaresbreite.
»Herr im Himmel, Lady!« schrie der Fahrer. »Warum passen Sie nicht auf, wohin, zum Teufel, Sie gehen!« Jennifer hörte überhaupt nicht hin. Sie starrte die Aufschrift am Heck des Lasters an. Nationwide Motors Corporation. Noch lange, nachdem der Lastwagen aus ihrem Gesichtskreis verschwunden war, stand sie da und starrte ihm nach. Dann drehte sie sich um und eilte zurück ins Büro.
»Ist Ken da?« fragte sie Cynthia. »Ja, in seinem Büro.« Sie ging zu ihm. »Ken, könntest du die Nationwide Motors Corporation überprüfen? Wir brauchen eine Liste aller Unfälle, in die ihre Laster in den letzten fünf Jahren verwickelt waren.«
»Das wird eine Weile dauern.«
»Nimm LEXIS.« LEXIS war der Zentralcomputer des Justizministeriums.
»Willst du mir nicht sagen, worum es geht?«
»Ich bin noch nicht sicher, Ken. Es ist nur eine Ahnung. Ich lasse es dich wissen, wenn etwas dabei herausgekommen ist.« Sie hatte etwas im Fall Connie Garrett übersehen, dem Fall des Mädchens, das als vierfach Amputierte den Rest ihres Lebens verkrüppelt verbringen mußte. Der Fahrer mochte einen tadellosen Ruf gehabt haben, aber wie stand es mit den Wagen? Vielleicht war doch noch jemand verantwortlich zu machen. Am nächsten Morgen legte Ken Bailey einen Bericht auf ihren Schreibtisch. »Wohinter du auch immer her bist, es sieht so aus, als hättest du ins Schwarze getroffen. Die Nationwide Motors Corporation war in den letzten fünf Jahren in fünfzehn Unfälle verwickelt, und einige ihrer Laster mußten aus dem Verkehr gezogen werden.«
Jennifer spürte, wie sie von Aufregung erfaßt wurde. »Was war mit ihnen los?«
»Ein Defekt im Bremssystem, der das Heck des Wagens ausscheren ließ, wenn die Bremsen heftig getreten wurden.« Es war das Heck des Lasters, das Connie Garrett getroffen hatte.
Jennifer rief eine Konferenz mit Dan Martin, Ted Harris und Ken Bailey ein. »Wir gehen im Fall Connie Garrett vor Gericht«, verkündete sie.
Ted Harris starrte sie durch seine Milchflaschenbrille an. »Warte mal, Jennifer, ich habe das überprüft. Sie hat die Berufung verloren. Sie werden uns res judicata um die Ohren schlagen.«
»Was ist res judicata?« wollte Ken Bailey wissen. Jennifer erklärte: »Das ist im Zivilrecht, was zweifache Straffälligkeit im Strafrecht bedeutet. Es heißt, daß irgendwann ein Schlußpunkt beim Prozessieren erreicht sein muß.« Ted Harris fügte hinzu: »Wenn in einem bestimmten Fall einmal ein endgültiges Urteil gefällt worden ist, kann er nur unter ganz bestimmten Umständen wieder aufgerollt werden. Wir haben keine Gründe für eine Wiederaufnahme.«
»Doch, haben wir. Wir verlangen eine zwangsweise Aufdeckung.«
Das Prinzip der zwangsweisen Aufdeckung lautete: Gegenseitige Kenntnis aller von beiden Parteien gesammelten relevanten Tatsachen ist unerläßlich für einen einwandfreien Prozeß. »Der Angeklagte in diesem Sinn ist Nationwide Motors. Sie haben vor Connie Garretts Anwalt Informationen geheimgehalten. Das Bremssystem ihrer Laster weist einen Defekt auf, den sie nicht zu Protokoll gegeben haben.« Sie sah ihre beiden Assistenten an. »Ich glaube, wir sollten so vorgehen...«
Zwei Stunden später saß Jennifer bei Connie Garrett. »Ich möchte einen neuen Prozeß anstrengen. Ich glaube, wir haben etwas in der Hand.«
»Nein.«
»Nein - was?«
»Nicht noch einen Prozeß.«
»Connie -«
»Sehen Sie mich an, Jennifer. Sehen Sie mich genau an. Ich bin ein Krüppel. Jedesmal wenn ich in den Spiegel schaue, kann ich sehen, wie ich auf andere Menschen wirke.« Connie Garrett schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann das nicht noch einmal durchstehen.«
Beschämt und erschüttert saß Jennifer auf ihrem Stuhl. Wie hatte sie nur so gefühllos sein können? Irgendwie werde ich für dieses Mädchen einen Sieg erringen, dachte sie. »Angenommen, ich versuche, einen Vergleich zu erreichen? Ich kann mir vorstellen, daß sie bereit sind, die Sache ohne Gericht beizulegen, wenn sie sehen, was wir in der Hand haben.«
Die Kanzlei von Maguire und Guthrie, den Anwälten der Nationwide Motors Corporation, war an der oberen Fifth Avenue in einem modernen Gebäude aus Glas und Chrom mit einem Springbrunnen davor. Jennifer stellte sich am Empfangstisch vor. Die Empfangsdame bat sie, Platz zu nehmen, und fünfzehn Minuten später wurde Jennifer in das Büro von Patrick Maguire geführt. Maguire war der Seniorpartner, ein harter, mit allen Wassern gewaschener Ire mit Augen, denen nichts entging.
Er bot Jennifer einen Stuhl an. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miß Parker. Sie haben einen ziemlichen Ruf in den Gerichtssälen dieser Stadt.«
»Hoffentlich keinen allzu schlechten.«
»Man sagt, Sie seien hart. Sie sehen nicht so aus.«
»Das hoffe ich auch.«
»Kaffee? Oder einen guten irischen Whisky?«
»Kaffee, bitte.«
Patrick Maguire klingelte, und eine Sekretärin brachte auf einem Tablett aus Sterlingsilber zwei Tassen Kaffee herein. Maguire fragte: »Nun, was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um den Connie-Garrett-Fall.«
»Ah, ja. Wenn ich mich recht erinnere, verlor sie den Prozeß und die Berufung.«
Wenn ich mich recht erinnere! Jennifer hätte ihr Leben darauf verwettet, daß Patrick Maguire jede Statistik aus diesem Fall auswendig kannte. »Ich werde mich um einen neuen Prozeß bemühen.« »Wirklich? Auf welcher Grundlage?« fragte Maguire höflich.
Jennifer öffnete ihren Diplomatenkoffer und nahm das Memorandum heraus, das sie vorbereitet hatte. Sie reichte es Maguire.
»Ich verlange eine Wiederaufnahme wegen unterlassener Information der klagenden Partei.«
Maguire blätterte die Papiere durch, unbeeindruckt. »Oh, ja«, meinte er. »Diese Bremsengeschichte.«
»Sie wußten davon?«
»Natürlich.« Er tippte den Ordner mit einem stämmigen Finger an. »Miß Parker, damit kommen Sie nicht weit. Sie müßten beweisen, daß genau der Lastwagen, der in den Unfall verwickelt war, ein defektes Bremssystem hatte. Er wurde aber inzwischen schon ein dutzendmal überholt, so daß Sie kaum beweisen können, in welcher Verfassung er damals war.« Er schob ihr den Ordner wieder zu. »Sie haben nichts in der Hand.«
Читать дальше