»Abgesehen davon, daß Michael Moretti ein Kredithai war -in welche anderen Geschäfte war er noch verwickelt?«
»Ach Gott, in alles, was es so gibt. Was Sie auch aufzählen, er war dabei.«
»Ich möchte aber, daß Sie die Geschäfte aufzählen, Mr. Stela.«
»Ja, gut. Also, im Hafen, da macht Mike einen ganz guten Schnitt bei der Gewerkschaft. Genauso in der Textilbranche. Na ja, dann war Mike noch im Glücksspiel, kassierte bei den Musikboxen, der Müllabfuhr und den Wäschereien. Das war's so ungefähr.«
»Mr. Stela, Michael Moretti steht vor Gericht wegen der Morde an Eddie und Albert Ramos. Kannten Sie die?« »Klar.« »Waren Sie dabei, als sie getötet wurden?«
»Ja.« Stelas ganzer Körper schien zu zucken. »Wer genau hat sie getötet?«
»Mike.« Für eine Sekunde kreuzten sich Stelas und Morettis Blicke, dann sah Stela rasch in eine andere Richtung. »Michael Moretti?«
»Richtig.«
»Warum wollte der Angeklagte, daß die Brüder Ramos sterben sollten?«
»Na ja, Eddie und Al nahmen Wetten an...«
»Sie waren Buchmacher? Illegale Wetten?«
»Ja. Mike hatte herausgefunden, daß sie für sich selber absahnten. Er mußte ihnen eine Lektion erteilen, weil, nun schließlich arbeiteten sie für ihn, verstehen Sie? Er dachte...«
»Einspruch!«
»Stattgegeben. Der Zeuge soll sich an die Tatsachen halten.«
»Nun, tatsächlich hat Mike mir befohlen, die Jungs einzuladen...«
»Eddie und Albert Ramos?«
»Genau, zu einer Party im Pelikan. Das ist ein Privatclub am Strand.« Sein Arm begann erneut zu zucken. Als Stela das bemerkte, versuchte er, ihn mit der anderen Hand festzuhalten. Jennifer Parker warf einen Blick auf Michael Moretti. Er verfolgte das Verhör teilnahmslos, ohne sich zu bewegen. »Was geschah dann, Mr. Stela?«
»Ich habe Eddie und Al in den Wagen geladen und zum Parkplatz gefahren. Als die Jungs aus dem Wagen stiegen, hab' ich gemacht, daß ich aus dem Weg kam, und Mike begann loszuballern.«
»Haben Sie die Brüder Ramos hinfallen gesehen?«
»Ja, Sir.«
»Und sie waren tot?«
»Zumindest wurden sie beerdigt, als wären sie tot gewesen.« Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal. Di Silva wartete, bis wieder Stille herrschte. »Mr. Stela, sind Sie sich bewußt, daß Ihre Aussage in diesem Saal Sie selbst belastet?«
»Ja, Sir.«
»Und daß Sie unter Eid stehen und daß es um das Leben eines Menschen geht?«
»Ja, Sir.«
»Sie haben mit eigenen Augen gesehen, wie der Angeklagte, Michael Moretti, kaltblütig zwei Männer erschossen hat, weil sie ihn übers Ohr gehauen hatten?«
»Einspruch! Der Staatsanwalt beeinflußt den Zeugen.«
»Stattgegeben.«
Staatsanwalt Di Silva betrachtete die Gesichter der Geschworenen, und ihre Mienen sagten ihm, daß er den Fall gewonnen hatte.
Er wandte sich wieder an Camillo Stela. »Mr. Stela, ich weiß, daß es Sie sehr viel Mut gekostet hat, hier in den Zeugenstand zu treten und auszusagen. Ich möchte Ihnen im Namen der Bürger dieses Staates danken.«
Di Silva wandte sich an Thomas Colfax. »Ihr Zeuge.« Thomas Colfax erhob sich beinahe anmutig. »Ich danke Ihnen, Mr. Di Silva.« Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr an der Wand und wandte sich dann zur Richterbank. »Wenn Sie gestatten, Euer Ehren, es ist jetzt fast Mittag. Ich würde mein Kreuzverhör gern ohne Unterbrechung durchführen. Darf ich vorschlagen, daß das Gericht sich jetzt zum Mittagessen zurückzieht und ich mein Kreuzverhör am Nachmittag abhalte?«
»Einverstanden.« Richter Lawrence Waldman ließ den Hammer auf die Richterbank fallen. »Die Verhandlung wird auf zwei Uhr vertagt.«
Alle Anwesenden im Gerichtssaal standen auf, als sich der Vorsitzende erhob und durch eine Seitentür ins Richterzimmer ging. Im Gänsemarsch verließen die Geschworenen den Saal. Vier bewaffnete Deputies umgaben Camillo Stela und eskortierten ihn durch eine Tür an der Stirnseite des Raums zum Aufenthaltsraum der Zeugen. Fast sofort war Di Silva von Reportern umzingelt. »Wollen Sie eine Erklärung abgeben?«
»Wie sind Sie mit dem Verlauf bis jetzt zufrieden, Herr Staatsanwalt?«
»Wie wollen Sie Stelas Sicherheit gewährleisten, wenn alles vorbei ist?«
Normalerweise hätte Robert Di Silva einen solchen Aufruhr im Gerichtssaal nicht toleriert, aber in Anbetracht seiner politischen Ambitionen wollte er sich mit der Presse gutstellen, und so beschloß er, höflich zu ihnen zu sein.
Jennifer Parker beobachtete, wie der Staatsanwalt die Fragen der Reporter parierte.
»Glauben Sie, daß Sie eine Verurteilung erreichen?«
»Ich bin kein Wahrsager«, hörte sie Di Silva bescheiden antworten. »Ich will der Jury nicht vorgreifen, meine Damen und Herren. Die Geschworenen werden entscheiden müssen, ob Mr. Moretti unschuldig oder schuldig ist.« Jennifer bemerkte, wie sich Michael Moretti erhob. Er wirkte ruhig und entspannt. Jungenhaft war das Wort, das ihr einfiel. Es fiel ihr schwer, zu glauben, daß er all der schrecklichen Dinge, deren er angeklagt war, schuldig sein sollte. Wenn ich einen Schuldigen bestimmen müßte, dachte sie, wäre es Stela mit seinem ewigen Zucken. Die Reporter waren abgezogen, und Di Silva beriet sich mit den Angehörigen seines Stabs. Jennifer hätte ihren rechten Arm dafür gegeben, zu hören, worüber sie sprachen. Sie bemerkte, wie einer der Männer etwas zu Di Silva sagte, sich aus der Gruppe um den Staatsanwalt löste und zu ihr eilte. Er hielt einen großen Manilaumschlag in der Hand. »Miß Parker?« Überrascht sah Jennifer auf. »Ja.«
»Der Chef möchte, daß Sie dies Mr. Stela geben. Er soll sein Gedächtnis mit den Papieren etwas auffrischen. Colfax wird heute nachmittag versuchen, seine Aussage in der Luft zu zerfetzen, und der Chef möchte sicher sein, daß er sich nicht in Widersprüche verwickelt.«
Er händigte Jennifer den Umschlag aus, und sie sah zu Di Silva hinüber. Ein gutes Omen, dachte sie, er erinnert sich an meinen Namen.
»Am besten beeilen Sie sich. Der Chef hält Stela nicht gerade für schnell von Begriff.«
»Ja, Sir.« Jennifer sprang auf. Sie ging zu der Tür, durch die Stela verschwunden war. Ein bewaffneter Deputy versperrte ihr den Weg.
»Kann ich Ihnen helfen, Miß?«
»Büro des Staatsanwalts«, sagte Jennifer trocken. Sie förderte ihren Ausweis zutage und wies ihn vor. »Ich habe Mr. Stela einen Umschlag von Mr. Di Silva zu übergeben.« Der Uniformierte prüfte den Ausweis sorgfältig, dann öffnete er die Tür, und Jennifer stand im Aufenthaltsraum des Zeugen. Es war ein kleines, ungemütlich wirkendes Zimmer, das lediglich einen abgenutzten Tisch, ein altes Sofa und ein paar Holzstühle enthielt. Stela saß auf einem der Stühle, sein Arm zuckte unkontrolliert. Außer ihm befanden sich noch vier bewaffnete Deputies in dem Zimmer.
Als Jennifer eintrat, sagte einer von ihnen: »He, hier hat niemand Zutritt.«
Die Wache draußen rief: »Das geht in Ordnung, Al. Büro des Staatsanwalts.«
Jennifer übergab Stela das Kuvert. »Mr. Di Silva möchte, daß Sie Ihr Gedächtnis hiermit etwas auffrischen.« Stela blinzelte. Er hörte nicht auf, zu zucken.
Auf ihrem Weg zum Mittagessen kam Jennifer an der offenen Tür des verlassenen Sitzungssaals vorbei. Sie konnte nicht widerstehen und betrat den Raum für einen Moment. Im hinteren Teil des Saals standen fünfzehn Zuschauerbänke zu beiden Seiten des Mittelgangs. Gegenüber der Richterbank gab es zwei lange Tische, der linke trug ein Schild mit der Aufschrift Kläger, der rechte eins mit dem Wort Angeklagter. Der Geschworenenstand enthielt zwei Reihen von je acht Stühlen. Ein ganz gewöhnlicher Gerichtssaal, dachte Jennifer, ganz schlicht - sogar häßlich, aber dennoch das Herz der Freiheit. Dieser Raum und alle anderen Gerichtssäle auf der ganzen Welt stellten nichts Geringeres dar als den Unterschied zwischen Zivilisation und Barbarei. Das Recht auf einen Prozeß vor einer Jury von Gleichgestellten war das Kernstück einer jeden freien Nation.
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