»Weniger hübsch für Miss Farquhar!« »Damit haben Sie wahrscheinlich recht. Nun, jetzt ist Ja alles gut. Kommen Sie, Hastings, gehen wir den Fall doch noch einmal durch. Ich sehe Ihnen ja an, daß sie vor Neugierde beinahe platzen. Also -das versiegelte Paket wird aus dem Koffer genommen und löst sich in Luft auf, wie sich Miss Farquhar ausgedrückt hat. Aber heutzutage löst sich nichts mehr in Luft auf; diese Theorie sollten wir deshalb aufgeben. Aber was ist aus dem Paket geworden? Jedermann versichert uns, daß es unmöglich an Land geschmuggelt werden konnte ...« »Ja, aber wir wissen ...«
»Sie mögen wissen, Hastings. Ich nicht. Ich bin der Ansicht, da es unmöglich schien, war es unmöglich! Bleiben noch zwei Möglichkeiten: Es wurde an Bord versteckt - was sehr schwierig war -, oder es wurde über Bord geworfen.« »Mit einem Schwimmer, meinen Sie?« »Ohne Schwimmer.« Ich starrte ihn an.
»Aber wenn die Papiere über Bord geworfen worden waren, konnten sie doch nicht in New York verkauft werden.« »Ich bewundere Ihre Logik, Hastings. Aber die Staatsanleihen wurden in New York verkauft, also wurden sie nicht über Bord geworfen. Sehen Sie nun, wohin uns das führt?« »Dahin, wo wir am Anfang waren.«
»Jamais de la vie! Wenn das Paket über Bord geworfen wurde, die Staatsanleihen aber in New York verkauft wurden, kann das Paket keine Staatsanleihen enthalten haben. Gibt es überhaupt einen Beweis dafür, daß die Papiere in dem Paket waren? Mr. Ridgeway hat es seit der Übergabe in London nicht geöffnet.« »Ja, aber dann...«
Poirot machte eine ungeduldige Handbewegung. »Erlauben Sie mir bitte, fortzufahren. Das letztemal wurden die Papiere in dem Büro der London and Scottish Bank gesehen. Sie tauchen eine halbe Stunde, nachdem die Olympia eingelaufen ist, in New York auf. Laut Angabe eines Mannes, dem kein Mensch Glauben schenkt, sogar schon bevor das Schiff einlief. Und wenn wir nun annehmen, daß die Staatsanleihen niemals auf der Olympia waren? Können sie mit einem anderen Schiff nach New York gekommen sein? Ja! Die Gigantic verläßt Southampton am selben Tag wie die Olympia, hält aber den Rekord über den Atlantik. Mit der Gigantic konnten sie einen Tag früher in New York sein. Alles klar - der Fall beginnt sich von selbst zu klären. Das versiegelte Paket ist nur eine Irrerührung, und die Vertauschung muß im Büro der Bank stattgefunden haben. Für jeden der drei anwesenden Herren kann es nicht schwer gewesen sein, ein zweites, gleiches Paket vorzubereiten und es dann gegen das echte einzutauschen. Tres bien, die Papiere wurden an einen Komplicen in New York geschickt mit der Instruktion, sie, sobald die Olympia eingelaufen war, zu verkaufen. Aber einer mußte auf der Olympia mitreisen, um den vorgetäuschten Raub in Szene zu setzen.« »Aber warum?« »Hätte Ridgeway das Paket geöffnet und festgestellt, daß ein Betrug vorlag, wäre der Verdacht sofort auf London gefallen. Nein, der Mann in der Nebenkabine täuschte nur einen gewaltsamen Versuch, den Koffer zu sprengen, vor, um die Aufmerksamkeit auf den vermeintlichen Diebstahl zu lenken. In Wirklichkeit macht er das Schloß mit seinem Ersatzschlüssel auf, wirft das Paket über Bord, wartet und verläßt als letzter das Schiff. Natürlich trägt er eine dunkle Brille und mimt einen Invaliden, weil er nicht das Risiko eingehen will, Ridgeway zu begegnen. Er geht in New York an Land und fährt mit dem nächsten Schiff zurück.« »Aber wer... war es dann?«
»Der Mann, der einen Doppelschlüssel hatte, der Mann, der das Schloß bestellt hatte, der Mann, der nicht schwer krank zu Hause auf dem Lande war - enfin, dieser >reservierte< alte Bankdirektor -, Mr. Shaw! Mitunter gibt es auch in den höchsten Kreisen Verbrecher - mon ami !« Unterdessen waren wir im Restaurant angelangt, und Poirot ging freudestrahlend auf Miss Farquhar zu. »Bonjour, Mademoiselle, da sind wir! Ich habe Erfolg gehabt! Sie erlauben doch?« Und strahlend küßte Poirot das erstaunte Mädchen leicht auf die Wangen.
Das Abenteuer des ägyptischen Grabes
Eines der aufregendsten und dramatischsten Abenteuer, die ich mit Poirot zusammen erlebte, war die Untersuchung der merkwürdigen Todesfälle nach der Entdeckung und Eröffnung des Grabes König Men-her-Ras. Einige Jahre nachdem das Grab Tut-ench-Amuns durch Lord Carnarvon entdeckt worden war, stießen Sir John Willard und Mr. Bleibner aus New York im Verlauf ihrer Ausgrabungen -nicht weit von Kairo, in der Nähe der Pyramiden von Gizeh -unerwartet auf eine Anzahl von Totenkammern. Diese Entdeckung rief großes Interesse in der Welt hervor. Es schien das Grab König Men-her-Ras zu sein, eines dieser Schattenkönige der achten Dynastie, aus der Zeit, in der das alte Königreich zu verfallen drohte.
Aber bald geschah etwas Bedeutsames. Sir John Willard starb ganz plötzlich an einem Herzschlag. Die Zeitungen nahmen sensationslüstern die Gelegenheit wahr, die alten abergläubischen Vermutungen, die mit dem unglückbringenden Schicksal gewisser ägyptischer Schatzkammern zusammenhingen, Wiederaufleben zu lassen. Die Unglücksmumie im Britischen Museum (diese staubige, alte Klamotte) wurde mit frischem Eifer wieder hervorgeholt; von dem Museum wurde alles abgeleugnet, aber trotzdem verfolgte alles die sensationellen Vermutungen. Zwei Wochen später starb Mr. Bleibner an akuter Blutvergiftung, und Tage später erschoß sich ein Neffe von ihm in New York. Der Fluch von Men-her-Ras wurde Tagesgespräch. Zu diesem Zeitpunkt erhielt Poirot eine kurze Notiz von Lady Willard, der Witwe des toten Archäologen, die ihn bat, sie in ihrem Hause in Kensington Square aufzusuchen. Ich begleitete ihn.
Lady Willard war eine große, schlanke Dame in tiefer Trauer. Aus ihrem schmalen Gesicht blickte der Kummer. »Sehr freundlich von Ihnen, Monsieur Poirot, so rasch zu kommen!« »Ganz zu Ihrer Verfügung, Lady Willard. Sie wollten mich zu Rate ziehen?« sagte Poirot.
»Sie sind, wie ich weiß, Detektiv, aber ich brauche nicht nur in dieser Eigenschaft Ihren Rat. Ich weiß, daß Sie eigene Ansichten, Phantasie und Welterfahrung haben. Sagen Sie mir, Monsieur Poirot, was halten Sie von übernatürlichen Dingen?« Poirot zögerte einen Augenblick. Er dachte. Schließlich sagte er: »Damit wir uns nicht mißverstehen, Lady Willard. Es handelt sich hier wohl nicht um eine allgemeine Frage? Ich nehme an. Ihre Frage nimmt auf den Tod Ihres verstorbenen Gatten Bezug?« »Ja«, gab sie zu.
»Wünschen Sie, daß ich die näheren Umstände seines Todes untersuche?« »Ich möchte, daß Sie feststellen, was davon Zeitungsgeschwätz ist und was davon durch Tatsachen belegt werden kann. Drei Todesfälle, Monsieur Poirot... jeder einzelne erklärlich, aber zusammengenommen sicherlich ein beinahe unglaubwürdiges Zusammentreffen. Und das alles innerhalb eines Monats nach der Öffnung des Grabes! Ist es Aberglaube? Oder ein Fluch, der sich auf ungewöhnlichen Wegen erfüllt? Die Tatsache bleibt - drei Todesfälle! Und ich habe große Angst - es könnte nicht bei drei bleiben.« »Für wen fürchten Sie?« »Für meinen Sohn. Die Nachricht vom Tod meines Mannes erreichte mich im Krankenbett. Mein Sohn, der gerade aus Oxford zurück war, reiste sofort nach Ägypten. Er brachte die - die Leiche heim, aber jetzt ist er trotz neiner inständigen Bitten wieder zurückgefahren. Er ist von der Arbeit so fasziniert, daß er die Absicht hat, seines Vaters Platz einzunehmen und die Ausgrabungen weiterzuführen. Sie mögen mich für eine törichte, abergläubische Frau halten, Monsieur Poirot, aber ich habe Angst! Angenommen, der Geist des toten Königs ist noch immer nicht zufrieden? Ihnen kommt es vielleicht unsinnig vor...« »Nein, durchaus nicht, Lady Willard«, sagte Poirot schnell. »Ich selbst glaube an die Macht des Aberglaubens, eine der mächtigsten Kräfte, die unsere Welt kennt.« Ich sah ihn überrascht an. Poirot abergläubisch? Das war mir neu. Aber der kleine Mann meinte es scheinbar völlig ernst. »Ich soll also meine schützende Hand über Ihren Sohn halten? Ich werde mein möglichstes tun.« »Auch gegen die okkulten Kräfte?« »In den Büchern des Mittelalters, Lady Willard, werden Sie viele Wege finden, wie man der Schwarzen Magie entgegenarbeiten kann. Vielleicht waren die Menschen damals klüger als wir mit unserer aufgeblasenen modernen Weisheit. Aber kommen wir zur Sache. Ihr Gatte war seit jeher ein begeisterter Ägyptologe, nicht wahr?«
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