»Aber das gilt doch nicht für eine Zauberformel! Es sind die Worte, denen die Kraft innewohnt. Schon sie falsch zu betonen, kann ein Ritual scheitern lassen. Sei gewarnt, wann immer du einen Zauberspruch wirkst, öffnest du dich auch ein Stück weit Kräften, die dir übel gesinnt sind. Sie stellen einen Teil der Macht dar, die du bei diesem Ritual in das Tet-Amulett leitest. Die Worte der Beschwörung sind uralt und genau festgelegt. Schon eine leichte Abweichung von ihnen kann dein Verderben bedeuten.«
»Das habe ich nicht gewußt . «, stammelte Kleopatra ängstlich.
»Ich hoffe, du hast die Worte nicht leise vor dich hingesprochen, während du sie niedergeschrieben hast.«
Die Prinzessin schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe nichts dergleichen getan. Glaubst du, daß mir etwas passieren wird ... Ich meine, es war doch nur eine Übung. Ich hatte nicht einmal ein Amulett und .«
»Und du hättest nicht den Namen deiner Schwester Berenike verwenden sollen. Du weißt, daß sie auf die Macht des grausamen Seth vertrauen kann und daß es viele Priester gibt, die sie als Herrscherin unterstützen, weil sie sich nicht so bedingungslos den Römern unterwirft, wie es dein Vater getan hat. Viele hoffen, daß sie Ägypten noch einmal zu seinem alten Glanz führen wird. Wenn du einen Zauberspruch wirkst, so stellst du ein Band her, das zwischen dir und ihr besteht. Ein mächtiger Priestermagier kann dieses Band zurückverfolgen und die Wirkung des Spruches gegen dich umkehren. Deshalb hüte dich stets, einen Fluch auszusprechen, denn er kann auch auf dich zurückfallen.«
»Werde ich jemals so viel über die geheimen Künste wissen wie du, Samu?«
Die Priesterin schüttelte den Kopf. »Das ist nicht deine Aufgabe. Du wirst herrschen. Und nimm mich nicht zu deinem Vorbild. Ich bin nicht weise. Von der Magie weiß ich soviel, wie ein Staubkorn von der wahren Größe der Wüste weiß. Es ist ...« Ein Geräusch auf dem Schminktisch ließ Samu herumfahren. Die kleine graue Katze, die Kleopatra zusammen mit dem anderen Besitz der toten Hetaire von Potheinos geschenkt bekommen hatte, huschte vom Tisch und verkroch sich unter der Kline der Prinzessin. »Du solltest die Salben und Öle nicht offen herumstehen lassen. Die Katze scheint Gefallen an ihnen zu haben. Außerdem verfliegen die Düfte, die in den Ölen gebunden sind, wenn du die Gefäße nicht sorgfältig verschließt.«
»Ich werde mir deine Worte zu Herzen nehmen«, erwiderte Kleopatra leise. »Aber um noch einmal auf Eskander zu sprechen zu kommen . Du wirst uns doch nicht verraten, oder?«
Die Priesterin seufzte. »Zumindest nicht in nächster Zeit. Wir müssen allerdings über ein paar andere Dinge miteinander sprechen.«
»Wegen Eskander?« Die Prinzessin blickte sie mit großen Augen an.
»Ja, wegen Eskander oder vielleicht wegen eines anderen Mannes, den du treffen wirst, wenn ich nicht mehr an diesem Hof bin.«
»Du willst weggehen?«
»Ich fürchte, man wird mich nicht unbedingt fragen, ob ich will. Doch davon genug jetzt. Ich erwarte von dir, daß du den Text der Formel bis Sonnenuntergang noch einmal schreibst. Und diesmal richtig!«
Samu beeilte sich, das Zimmer der Prinzessin zu verlassen. Der Gedanke, sie vielleicht bald nicht mehr um sich zu haben, stimmte sie melancholisch. In den Monaten, die sie in Pompeji geblieben war, um die Einbalsamierung und schließlich das Begräbnis des Rechmire zu überwachen, hatte sie die kleine Prinzessin vermissen gelernt. Was hieß hier kleine Prinzessin! Kleopatra war fast schon eine Frau! Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zum ersten Mal eine Nacht in den Armen eines Mannes verbrachte. Und sie würde dann vielleicht nicht mehr da sein, dachte die Priesterin traurig. Sie durfte es nicht hinausschieben, mit Kleopatra darüber zu sprechen, wie man verhinderte, daß man ein Kind empfing. Vielleicht war heute abend ja Gelegenheit, wenn die Prinzessin wieder mit den Wachstäfelchen zu ihr kam.
Samu trat in das sonnendurchflutete Atrium. Wie lange ihr wohl noch blieb? Fast niemand bei Hof redete noch mit ihr. Es hatte sich herumgesprochen, daß sie Streit mit dem Pharao hatte. Dieser fette Ignorant! Hätte er auf sie gehört und einige Früchte der Kiki-Pflanze gekaut und mit Bier hinuntergespült, dann würde es ihm jetzt mit Sicherheit besser gehen.
Aber er vertraute ja lieber diesem griechischen Legionsarzt.
Es mochte ja sein, daß Philippos sehr erfahren in der Behandlung offener Wunden war, doch was den Umgang mit Heilkräutern anging, war er alles andere als kundig.
Samu ließ sich auf einer der Marmorbänke im Atrium nieder und blickte zum Himmel. Sie sollte sich den Launen des Herrschers fügen! Vielleicht würde Ptolemai-os mit der Zeit begreifen . Und selbst wenn nicht, war es besser, hier bei Hof zu sein, statt allein einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen Es war doch im Grunde so leicht, den Pharao zufriedenzustellen! Sie müßte nur so unterwürfig wie all die anderen Höflinge sein und sich seinen Launen fügen. Vor allem sollte sie in Zukunft darauf verzichten, in seiner Gegenwart auszusprechen, was sie über ihn dachte.
Kleopatras kleine Katze trottete über den Hof und legte sich auf eine sonnenbeschienene Marmorbank. So sorglos wie eine Katze müßte man sein.
»Dieser Bastard ist ein Dieb gewesen! Seht euch das hier an! Ein silberner Spiegel mit goldenem Griff, der die Göttin Hathor zeigt. Auf meiner Liste ist dieser Spiegel nicht zu finden. Oder das hier! Ein Schminkgefäß mit Kohl, geformt wie ein nubischer Lastenträger. Das existiert auch nicht auf meiner Liste.« Potheinos war außer sich vor Wut. »Gut, daß dieser treulose Verräter schon tot ist. Ich würde ihm sonst mit glühenden Zangen die Haut vom Leib reißen lassen.«
»Ich habe die gestohlenen Sachen auf seinem Zimmer gesehen. Thais hat sie sich nach seinem Tod genommen. Du mußt sie bei ihr gefunden haben, Potheinos. Hat es dich nicht gewundert, daß eine einfache Hetaire so kostbares Schminkgerät besaß?«
»Sie war die Auserwählte des Pharaos. Ich wußte nicht, ob es nicht vielleicht Geschenke des Neuen Osiris waren. Wir müssen Ptolemaios sofort die frohe Kunde überbringen. Dadurch, daß du diesen Diebstahl aufgeklärt hast, Philippos, erscheinen die Todesfälle der letzten Tage jetzt in einem völlig neuen Licht. Artemis hat nicht Frevler, sondern Diebe bestraft! Ja, in ihrer unendlichen Weisheit hat sie das Schicksal sogar so gelenkt, daß die gestohlenen Schätze zuletzt wieder in den Besitz der Königsfamilie gelangten. Wir sollten der Göttin ein Dankopfer dafür bringen, daß sie so unnachgiebig die Ungetreuen ausgemerzt hat!«
Philippos kratzte sich am Kopf. Die Lösung erschien ihm zu einfach. Auf der anderen Seite würde sein Ansehen bei Ptolemaios wachsen, wenn der Herrscher von Pothei-nos über die glückliche Wendung unterrichtet wurde. Der Arzt räusperte sich verlegen. »Du solltest nicht vergessen, zu erwähnen, daß Batis mir bei der Lösung dieses Mysteriums geholfen hat. Nur mit seiner Hilfe habe ich die Hintergründe dieses Verbrechens an seiner göttlichen Majestät aufklären können. Ohne deine scharfsinnigen Schlußfolgerungen in Frage zu stellen, möchte ich jedoch anmerken, daß es mir ein wenig seltsam erscheint, daß ein Mann wie Buphagos ausgerechnet Schminkutensilien gestohlen hat. Was wollte er damit?«
»Du weißt doch, wie sehr er stets auf sein Äußeres bedacht war. Er hat sicher viel Geld für Schminkutensilien und Salben ausgegeben. Vielleicht hatte er auch überlegt, sich mit den Kleinodien die Gunst der Thais zurückzukaufen. Seit der Herrscher sie fast allabendlich in seine Gemächer gerufen hat, unterhielt sie nur noch sehr sporadischen Kontakt zu Buphagos. Aber wen wundert das? Schließlich hatte sie nun mehr Macht und Einfluß als ihr einstiger Gönner.«
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