»Was sollen wir mit ihr machen?«
Samu zuckte mit den Schultern. »Lassen wir sie hier. Soll sie die Totenwache halten. Wir können nicht mehr bleiben. Falls irgendwelche neugierigen Sklaven das Zimmer beobachten, machen wir uns verdächtig, wenn wir noch länger verweilen.«
»Die Totenwache!« Philippos biß sich auf die Lippen, um nicht laut zu fluchen. »Wir können Thais doch nicht einfach so liegen lassen! Du bist Priesterin, Samu! Du weißt, was geschehen kann, wenn man die Toten ohne Ehrenwache sich selbst überläßt!«
Die Priesterin zögerte einen Moment, dann nickte sie. »Du hast recht!« Mit flinken Schritten durchquerte Samu das Zimmer, kramte kurz zwischen den Schminktiegeln herum und kam dann mit einem kleinen Töpfchen aus rotem Stein zurück.
»Was hast du vor?«
»Wenn unsere Toten in das Reich des Westens gehen, dann ist es üblich, sie mit Amuletten gegen all die Widrigkeiten zu schützen, die ihnen auf diesem Weg begegnen können. Eines der wichtigsten Amulette ist das Tel, das auch das Isis-Blut genannt wird. Es wird normalerweise aus Jaspis oder Karneol gefertigt, doch ich hoffe, ein wenig rote Schminke wird ausnahmsweise denselben Zweck erfüllen.« Die Priesterin tauchte ihren Zeigefinger in das Schminktöpfchen und malte dann ein seltsames Zeichen zwischen die Brüste der Toten.
»Dein Blut gehört Dir, Isis,
Deine Zaubermacht gehört Dir, Isis,
Deine Zauberkraft gehört Dir, Isis.
Das Amulett ist der Schutz dieser Großen und behütet sie vor dem, der Verbrechen an ihr begeht.«
Einen Moment noch verharrte die Priesterin schweigend, dann endlich gab sie ein Zeichen zu gehen, und Philippos war froh, sich auf sein Zimmer zurückziehen zu können. Es war ihm unheimlich mitanzusehen, wie Samu ihre Magie ausübte, und in Momenten wie diesen fragte er sich, ob er überhaupt nach Ägypten wollte, denn dort in der Heimat dieser seltsamen tierköpfigen Götter würde die Priesterin gewiß noch viel mächtiger sein.
Im Atrium trennten sich die beiden. Es würde nicht mehr lange bis zum Morgengrauen dauern, und als Philippos sich endlich auf seiner Kline ausstreckte, schlief er fast sofort ein.
Das letzte, woran er dachte, war der prächtige Spiegel aus Gold und Silber. Hätte er ihn nur schon im Zimmer von Buphagos an sich genommen! Mochten die Götter wissen, wer sich dies kostbare Kleinod jetzt aneignete.
Heller Rauch wand sich in Spiralen aus dem Feuerbek-ken der Decke entgegen. Breite Bahnen aus goldenem Licht durchschnitten das große Zimmer der Hetaire. Kein Lüftchen regte sich draußen, und dumpfe, brütende Hitze lag über dem Land. Der Himmel war klar und wolkenlos. Selbst die sonst allgegenwärtigen Möwen waren verschwunden und hatten irgendwo Schutz vor der Sonne gesucht.
Der Rauch der Kräuter, die in der kleinen Kohlenpfanne schwelten, war zwar würzig und angenehm, doch hatte er in der Hitze des Nachmittags auch etwas Erstickendes. Samu atmete schwer. Die Lichtbalken, die durch die Fenster schossen, schienen wie goldene Speere um sie herumzutanzen.
Heißer Schweiß tropfte ihr von den Achseln. Die weiße Fläche der Wand ihr gegenüber veränderte sich. Es schien, als würde sie kippen und zu einer Ebene werden. Die Priesterin hatte gehört, daß es irgendwo, weit im Westen, eine Wüste geben sollte, wo der Sand so weiß war, daß es schmerzte, ihn im hellen Sonnenlicht anzusehen. So erschien ihr jetzt auch die weiße Ebene, die sich in der Wand geöffnet hatte. Samu blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen getreten waren. Kleine Punkte bewegten sich in dem Weiß. Sie kamen ihr entgegen.
Einer der Flecken zog sich in die Länge. Die Konturen wurden schärfer ... Schließlich erkannte sie eine Frauengestalt. Sie war hochgewachsen und schön. Sieben kleine Katzen waren um sie herum. Die Tiere wirkten ernst, so als hätten sie eine wichtige Aufgabe. Wachsam blickten sie in alle Richtungen, fast so wie Krieger, die ihren Pharao in der Schlacht beschützen sollten.
Plötzlich begannen die Katzen zu maunzen. Ein riesiger, schwarzer Schatten war auf die Ebene gefallen. Er sah ein wenig aus wie ein großer Hundekopf. Die Katzen stürzten tot zu Boden. Drohend erhob die Frauengestalt ihre Faust zum Himmel, dorthin, wo irgendwo das Ungeheuer sein mußte, das seinen Schatten auf die Ebene warf. Die Bilder verschwommen Samu vor den Augen. Die Frau löste sich ... Der Schatten verlor seine Form. Sie sah nur noch schwarz und weiß, schwarz und weiß . Hell und dunkel schienen wie in Spiralen miteinander verwoben.
Wieder hörte sie eine Katze maunzen. Die Vision war verflogen. Die kleine, graue Katze, die Thais gehört hatte, kauerte neben dem Leichnam ihrer toten Herrin und blickte Samu mit großen, grünen Augen an. Wieder miaute das Tier, als wolle es der Priesterin etwas sagen.
»Was ist denn, meine Kleine?« Samu wollte sich vorbeugen, doch richtete sie sich sofort wieder auf. Ihr war übel, und mit jeder Bewegung wurde es schlimmer. Was mochte die Vision bedeutet haben? Die Priesterin war sicher, daß die Frauengestalt Isis gewesen war. Doch die Katzen . Es gab eine Geschichte, in der die Göttin von sieben Skorpionen begleitet in die Wüste floh und sich vor Seth versteckte, der ihren Gefährten Osiris getötet hatte.
Doch Katzen hatten mit dieser Geschichte nichts zu tun! Es gab keine Erzählung von sieben Katzen. Der Schatten des Hundekopfes, das mochte vielleicht Seth gewesen sein oder auch der schakalköpfige Anubis, doch Katzen .
Traurig blickte die Priesterin auf die nackte Tote hinab. Sie würden sie verbrennen! Samu hatte um Thais gekämpft und hatte verloren. Wieder einmal war es Potheinos gewesen, der sich durchgesetzt hatte. Die Vernunft war auf seiner Seite.
Manchmal hatte die Priesterin das Gefühl, daß diese Vernunft etwas zutiefst Griechisches war. Der Eunuch war für all ihre Einwände taub gewesen. Samu war sicher, daß Thais gewünscht hätte, nach dem alten Ritus einbalsamiert und in ein Felsgrab gelegt zu werden. Es wäre auch möglich gewesen, ein Felsgrab zu bekommen. Berge gab es genug um Ephesos, und wenn Ptolemaios Thais tatsächlich so geliebt hatte, wie er behauptete, dann wären die Kosten für ein solches Grab mit Sicherheit kein Hinderungsgrund gewesen. Er hatte so viele Schulden bei den Römern und selbst bei dem Megabyzos, dem Verwalter der Schätze des Artemisions, gemacht, daß das Gold für ein Grab nicht ins Gewicht gefallen wäre.
Potheinos war taktvoll oder verschlagen genug gewesen, in seiner Argumentation nicht von Gold zu sprechen. Er sagte, die Priesterinnen der Artemis würden die Kunst des Einbalsamierens nicht gutheißen. Also konnte man von ihnen auch nicht erwarten, daß sie diesbezüglich Schritte unternahmen.
Da es aber dem gesamten Hofstaat des Pharaos verboten war, das Gelände des Tempels zu verlassen, gab es auch niemanden, den man in die Stadt schicken konnte, um einen Einbalsamierer zu suchen. Nicht einmal einen Sklaven konnte man als Boten senden, denn die Tempelsklaven, die Ptolemaios zu Diensten standen, ließen sich nicht dazu überreden, eine solche Aufgabe zu übernehmen.
Samu hatte vorgeschlagen, einen der Besucher des Heiligtums mit einer Botschaft in die Stadt zu schicken, doch war Potheinos zu stolz, diesen Weg zu gehen. Nach seinen Worten durfte ein Gott nicht zu einem Bittsteller vor einem dahergelaufenen Bauern werden.
Für Samu war all dies nur leeres Gerede. In ihren Augen unterwarf sich der Neue Osiris der Jägerin Artemis. Indem der Pharao duldete, daß Thais verbrannt wurde, brachte er der Göttin ein Opfer und hoffte vielleicht, auch sie vergessen zu machen, zu welchem Anlaß die Liebesdiene-rin das Gewand einer jungfräulichen Priesterin angelegt hatte. Er verdammte Thais auf diese Weise dazu, im jenseitigen Leben ohne Körper zu sein. Ja, er zerstörte das, was er an ihr am meisten geliebt hatte! Ob er sich wohl schuldig am Tod der Tänzerin fühlte? Wollte er, daß sie auf immer vernichtet wurde, damit er ihr auch im Reich des Westens nicht mehr begegnen mußte? Man würde sie auch bei Hof schneller vergessen, wenn Thais morgen verbrannt würde. Die Einbalsamierung hätte neunzig Tage gedauert, und erst nach dieser Frist wäre die Tote feierlich in ihr Grab gebettet worden.
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