»Es fällt mir schwer, so etwas von Intat zu glauben«, seufzte Salbach plötzlich und setzte seinen geleerten Becher ab, als habe man ihn schließlich überzeugt. »Die Beweise gegen ihn erschüttern mich. Halten sich Schwester Eisten und die Kinder in Ros Ailithir auf?«
Wieder antwortete Brocc, bevor Fidelma etwas sagen konnte.
»Ja. Wir werden sie wahrscheinlich bald in das Waisenhaus schicken, das Molua führt.«
»Ich würde sie gern sehen«, sagte Salbach bestimmt.
»Es kann einige Tage dauern, bis das möglich ist«, sagte Fidelma eilig mit einem bedeutsamen Blick zu Brocc. Der Abt starrte sie verwundert an. »Der Abt hat angeordnet, sie in Quarantäne zu halten, bis sicher ist, daß sie sich nicht mit der Gelben Pest angesteckt haben.«
»Aber ...«, setzte Brocc an, dann biß er sich auf die Lippen.
Salbach schien seinen unvollendeten Protest nicht bemerkt zu haben und erhob sich.
»Ich komme zu gegebener Zeit wieder und befrage Schwester Eisten und die Kinder«, erklärte er. »Da es sich um eine schwerwiegende Anschuldigung gegen einen meiner Friedensrichter handelte, meinte ich, sofort die Beweise prüfen zu müssen. Ich werde Intat suchen lassen und hören, was er zu sagen hat. Wenn das Verbrechen auf ihn zurückgeht, dann wird er sich vor meinem eigenen Brehon dafür zu verantworten haben. Darauf kannst du dich verlassen, Schwester Fidelma.«
»Cashel würde nichts anderes erwarten«, antwortete Fidelma ernst.
Salbach sah sie scharf an und suchte nach einem verborgenen Sinn in ihren Worten, doch Fidelmas Gesicht blieb undurchdringlich.
»Wir sind ein stolzes Volk, Schwester Fidelma«, sagte Salbach. Seine Stimme klang sanft, es schwang aber eine versteckte Drohung darin mit. »Die Corco Loigde führen ihre Abstammung auf die Familie von Mil Easpain zurück, der zu Beginn der Zeiten die Vorfahren der Gälen in dieses Land brachte. Wird einer von uns in seiner Ehre gekränkt, so sind wir alle in unserer Ehre gekränkt. Und wenn einer von uns seine Ehre verletzt, verletzt er unser aller Ehre und wird dafür bestraft.«
Er zögerte einen Augenblick, als wolle er noch etwas sagen, dann wandte er sich an den Abt.
»Ich werde mich auf den Weg machen, Abt«, begann er, doch Fidelma unterbrach ihn.
»Es gibt noch ein paar Fragen in einer anderen Angelegenheit, bei deren Klärung du mir helfen kannst, Salbach.«
Salbach sah sie erstaunt an, denn er hatte doch wohl deutlich klargemacht, daß das Gespräch für ihn beendet war. Offensichtlich war er gewohnt, daß sich jeder nach ihm richtete.
»Ich bin jetzt beschäftigt .«
»In dieser Sache handele ich im Auftrag des Königs von Cashel«, beharrte Fidelma. »Es geht um die Ermordung des Ehrwürdigen Dacan.«
Salbach schien etwas Heftiges erwidern zu wollen, doch dann zuckte er gleichmütig die Achseln.
»Eine ernste Angelegenheit«, gab er zu. »Ich weiß nichts über den Tod des Alten. Wie kann ich dir also helfen?«
»Kanntest du den Ehrwürdigen Dacan?«
»Wer kannte seinen Ruf nicht?« parierte Salbach.
»Ich glaube, du bist ihm begegnet?«
Die Frage hatte Fidelma auf gut Glück gestellt, und sie bemerkte Salbachs rasches Erröten. Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen.
»Ich habe Dacan ein paarmal getroffen«, gestand Salbach.
»War das hier in Ros Ailithir?«
Fidelma mußte ihre Überraschung verbergen, als Salbach den Kopf schüttelte.
»Nein. Ich traf ihn in Cealla, einer der großen Residenzen der Stammesfürsten von Osraige.«
»In Osraige? Wann war das?«
»Vor einem Jahr.«
»Darf ich fragen, was du in Osraige zu tun hattest?«
»Ich besuchte meinen Vetter Scandlan, den dortigen König.« Salbach konnte die Eitelkeit in seiner Stimme nicht unterdrücken.
Fidelma erinnerte sich, daß ihr Bruder Colgü ihr erzählt hatte, daß die Könige von Osraige mit den Stammesfürsten der Corco Loigde verwandt waren.
»Ich verstehe«, sagte sie langsam. »Aber als der Ehrwürdige Dacan nach Ros Ailithir kam, hast du ihn nicht getroffen?«
»Nein.«
Irgend etwas veranlaßte Fidelma, ihm nicht zu glauben. Doch sie vermochte diesen verdeckten Bussardblick nicht zu durchschauen. Ihr wurde klar, daß sie Salbach nicht ausstehen konnte. Dann errötete sie, denn sie dachte an die Predigt, die sie Schwester Necht gehalten hatte. Trotzdem blieb Fidelma dabei, daß Salbach etwas Unheimliches an sich habe, und mißtraute ihm deshalb. Seine kalten Augen verrieten Schlechtigkeit und Härte. Er erinnerte sie an einen Raubvogel.
»Aber Assid von Laigin bist du hier begegnet?« Mit dieser Frage wechselte sie abrupt das Thema, weiter ihrem Instinkt vertrauend.
Salbachs Mund öffnete sich ein wenig. Seine Augen funkelten einen Moment.
»Ja«, gab er langsam zu. »Er kam als Händler zu meiner Burg Cuan Doir.«
»Treibt er Handel die Küste entlang?«
»Ja. Er suchte unsere Kupferminen auf. Er brachte uns Wein aus Gallien, und wir verkauften ihm Kupfer für den Wein.«
»Also kennst du Assid schon lange - in seiner Rolle als Kaufmann, nicht wahr?«
Salbachs Gesicht wurde noch ablehnender.
»Ich sagte, daß ich ihm begegnet bin. Das ist auch schon alles. Er trieb hier Handel im letzten Sommer und im Sommer davor. Warum stellst du diese Fragen?«
»Das ist meine Aufgabe, Stammesfürst der Corco Loigde«, erwiderte sie mit geduldigem Humor.
»Darf ich jetzt gehen?« Der herablassende Hohn in seiner Stimme war unverkennbar.
»Ich hoffe, wir werden bald hören, daß deine Suche nach Intat erfolgreich war?«
»Ich werde dich umgehend informieren«, antwortete Salbach steif.
Mit einer knappen Verbeugung in ihre Richtung und einem kurzen Nicken zum Abt hin verließ er den Raum.
Abt Brocc schaute unglücklich drein.
»Salbach gehört zu denen, die nicht gern ihr Gesicht verlieren, Kusine«, bemerkte er zaghaft. »Ich hatte das Gefühl, zwei Katzen zu beobachten, die sich um das gleiche Revier streiten.«
»Es tut mir leid, daß es so war«, erwiderte Fidelma kühl. »Sein Benehmen ist von einer unerträglichen Arroganz.«
Die Glocke rief zum mittäglichen Angelusgebet.
Fidelma fühlte sich verpflichtet, mit dem Abt das rituelle Stundengebet zu verrichten.
Als Brocc sich aus seiner knienden Haltung erhob, sah er Fidelma etwas verlegen an.
»Es gibt noch eine andere Nachricht«, begann er zögernd. »Ich wollte sie nicht vor Salbach erwähnen, bevor ich sie dir mitgeteilt hatte.«
Fidelma verharrte in unsicherer Erwartung, denn das Gesicht ihres Vetters war ungewöhnlich feierlich geworden.
»Kurz vor Salbachs Ankunft traf ein Bote aus Cashel ein. König Cathal mac Cathail ist vor drei Tagen gestorben. Dein Bruder Colgü ist jetzt König von Muman.«
Fidelmas Miene änderte sich nicht. Sobald Brocc den Boten aus Cashel erwähnt hatte, war ihr klar gewesen, was folgen würde. Noch bevor sie Cashel verließ, hatte sie gewußt, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis Cathal starb. Sie beugte die Knie.
»Sic transit gloria mundi. Möge unser Vetter in Frieden ruhen«, sprach sie. »Und möge Gott Colgü die Stärke verleihen für die schwere Aufgabe, die nun vor ihm steht.«
»Heute abend werden wir eine Messe für Cathals Seele lesen, Schwester«, sagte Brocc. »Es dauert noch etwas, bis die Glocke zur Mittagsmahlzeit läutet. Vielleicht leistest du mir Gesellschaft bei einem Becher Wein, ehe wir ins Refektorium gehen?«
Zu seiner sichtlichen Enttäuschung schüttelte Fidelma den Kopf.
»Ich habe vor der Mittagsmahlzeit noch viel zu tun, Vetter«, antwortete sie. »Aber es gibt eine Frage, die ich dir gleich stellen muß. Bruder Conghus hat mir erzählt, daß du ihn eine Woche vor der Ermordung Dacans speziell damit beauftragt hast, gut auf Dacan achtzugeben. Warum tatest du das?«
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