Sogleich trieb sie ihre Stute ins Wasser. Anfangs war das Tier unsicher, schüttelte den Kopf und rollte die Augen. Dann ging es vorsichtig los, stolperte ein paarmal, fing sich aber sofort wieder. In der Strommitte wirbelte ihm das Wasser bis zur Brust und Fi-delma um die Unterschenkel.
Sie wandte sich im Sattel um und winkte Eadulf, ihr zu folgen.
Eadulf blickte auf das wilde, weiß schäumende Wasser und war beinahe gelähmt von Furcht. Er sah Fidelma energisch winken und merkte, wie seine Hände zitterten. Er wollte nicht in diese tobende Sintflut. Er spürte Fidelmas Blick und hatte nicht den Mut, seine Feigheit zuzugeben.
Mit einem Stoßgebet lenkte Eadulf seinen Rotfuchs in den Fluß und trieb ihn in seiner Erregung zu schnell an. Die Hinterbeine glitten aus, und Eadulf glaubte sich schon abgeworfen. Er klammerte sich fest, und schnaubend und keuchend fand das Pferd wieder Halt auf dem felsigen Boden. Eadulf ließ die Zügel los, saß mit geschlossenen Augen im Sattel und wünschte sich heil auf dem anderen Ufer.
Ab und zu rüttelte ihn das Pferd durch, wenn es auf dem Felsboden ins Stolpern kam. Dann umspülte ihm das eiskalte Wasser des Flusses erst die Füße, danach die Knie. Plötzlich umschäumte es ihn bis zum Gürtel, und er rang nach Atem und klammerte sich am Sattelknopf fest. Schließlich arbeitete sich das Pferd aus der tiefsten Stelle heraus, und als er die Augen öffnete, sah er das jenseitige Ufer wenige Meter vor sich. Fidelma hielt schon dort, leicht im Sattel vorgebeugt, und erwartete ihn.
Mit einer letzten Anstrengung kletterte sein Pferd die Uferböschung hinauf und kam neben ihr zum Stehen.
Dankbar tätschelte Eadulf ihm den Hals.
»Deo gratias«, betete er erleichtert.
»Wir bringen am besten schnell einige Entfernung zwischen uns und diesen Ort«, meinte Fidelma. »Je eher wir Imleach erreichen, desto besser.«
»Können wir uns nicht einen Moment trocknen? Ich bin vom Gürtel ab naß«, wandte Eadulf ein.
»Mach dir nichts draus, vielleicht müssen wir noch einmal ins Wasser. Wir haben noch einen kleineren Fluß zu überqueren, den Fidhaghta. Wenn die Ui Fid-gente auch noch Krieger am Brunnen von Ara stationiert haben, an der Hauptfurt über den Fluß, haben wir wieder ein Problem.«
Eadulf stöhnte hörbar.
»Wie weit ist es bis zum Brunnen von Ara?«
»Höchstens sieben Meilen. Wir sind bald da.«
Sie wendete ihr Pferd und ritt in den Wald hinein, in genau westlicher Richtung. Ohne sich umzusehen, rief sie über die Schulter zurück: »Hier wird der Weg breiter, und wir können ein Stück weit traben.«
Sie grub ihrem Pferd die Hacken in die Seiten, und die mächtige weiße Stute reagierte so kraftvoll, daß Fidelma sie zügeln mußte, damit sie in einen stetigen leichten Trab fiel.
Eadulf folgte ihr auf den Fersen. In seiner nassen Kleidung fühlte er sich elender und unbehaglicher als je in seinem Leben.
Ihm schien es eine Ewigkeit, bis sie über einen kleinen Hügel ritten, hinter dem sich der Weg senkte und auf einen anderen größeren Fluß zulief, der dort, wo an seinem Ufer eine Gruppe von Gebäuden stand, eine fast rechtwinklige Biegung machte. Der Fluß kam anscheinend von Westen und bog hier nach Süden ab.
»Das ist der Brunnen von Ara.« Fidelma lächelte zufrieden. »Hier ist der Übergang, und Imleach liegt nur ein paar Meilen weiter. Wir können dem Nordufer des Flusses noch eine Weile folgen. Hier sehe ich keine Krieger Giongas.«
Eadulf schnaufte mißbilligend. »Hier gibt es Häuser und Rauch. Können wir nicht ausruhen und uns trocknen?«
Fidelma sah zum Himmel. »Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen vor dem Dunkelwerden in Imleach sein. Wenn sich hier keine Krieger der Ui Fidgente herumtreiben, kannst du dich in der Herberge am Übergang umziehen und deine Kleidung trocknen.«
Ohne weitere Worte ritt sie auf eine Gruppe von Gebäuden zu, die sich über beide Ufer verteilten. Auch hier floß das Wasser über Schnellen, doch bei weitem nicht so wild und gefährlich wie bei der Furt durch den Suir.
Ein paar Jungen saßen am Flußufer und hatten ihre Angeln ausgeworfen. Als Fidelma sich ihnen näherte, holte einer von ihnen gerade triumphierend eine braune Bachforelle aus dem Wasser.
»Ein guter Fang«, rief ihm Fidelma anerkennend zu und hielt an.
Der Junge, nicht älter als elf, lächelte unbeeindruckt. »Ich hab schon bessere gemacht, Schwester«, antwortete er mit Respekt vor ihrer Kutte.
»Das glaube ich dir«, erwiderte sie. »Wohnst du hier?«
»Wo sonst?« fragte er großspurig.
»Sind Fremde in eurem Dorf?«
»Gestern abend waren Fremde hier. Der Fürst der Ui Fidgente, sagt mein Vater. Er und seine Leute. Aber heute morgen sind sie fort, als der große König von Cashel sie abholte.«
»Sind jetzt keine Fremden mehr im Dorf?«
»Nein, sie sind alle nach Cashel.«
»Gut. Wir danken dir.«
Fidelma wendete ihr Pferd und ritt zum Fluß, Ea-dulf folgte ihr. Hier reichte das Wasser den Pferden gerade bis zu den Fesseln, als sie den Ara durchquerten. Die Herberge war nicht zu verfehlen, sie stand direkt an der Furt, und ihr Zeichen hing über der Tür.
Dankbar glitt Eadulf aus dem Sattel und band das Pferd an einem Pfosten an. Er nahm die Satteltasche ab, in der sich seine Kleidung zum Wechseln befand, und hoffte auf eine Gelegenheit, sich umzuziehen.
Die Tür der Herberge öffnete sich, und ein älterer Mann trat heraus.
»Seid mir gegrüßt, Reisende, ich heiße euch ...« Er brach ab, als er Fidelma erblickte. Ein freudiges Lächeln breitete sich über sein Gesicht, und er eilte hinzu, um ihr vom Pferd zu helfen.
»Es ist schön, dich wiederzusehen, Lady. Erst heute morgen war ja dein Bruder hier, um .«
»Um sich mit Donennach von den Ui Fidgente zu treffen«, ergänzte Fidelma und begrüßte den Mann mit einem freundlichen Lächeln. »Ich weiß, mein lieber Aona. Wir haben uns lange nicht gesehen.«
Der Mann strahlte vor Freude darüber, daß sie sich an seinen Namen erinnerte. »Ich habe dich nicht mehr gesehen, seit du das Erreichen des Alters der Wahl gefeiert hast. Das muß mindestens zwölf Jahre her sein.«
»Es ist lange her, Aona.«
»Sehr lange, und doch hast du meinen Namen behalten.«
»Du warst immer ein treuer Gefolgsmann meiner Familie. Nur ein schlechtes Mitglied der Eoghanacht würde den Namen Aonas vergessen, des einstigen Kommandeurs der Leibwache von Cashel. Ich hatte gehört, daß du in den Ruhestand getreten warst und eine Herberge übernommen hattest, aber ich wußte nicht, daß es diese hier war.«
»Du ...«, sagte er und ergänzte nach einem raschen Blick auf Eadulf, seine Kleidung und seine römische Tonsur, »du und dein angelsächsischer Begleiter, ihr seid mir höchst willkommene Gäste.«
»Ich muß mich umziehen und mich trocknen«, murmelte Eadulf beinahe im Beschwerdeton.
»Bist du vom Pferd in den Fluß gefallen?« fragte Aona.
»Nein«, fauchte Eadulf ohne weitere Erklärung.
»Drinnen brennt ein Feuer«, meinte Aona. »Kommt rein, kommt beide rein.« Er schob die Tür auf und trat beiseite, um sie einzulassen.
»Leider können wir nicht lange bleiben. Ich muß vor Dunkelheit in Imleach sein«, erläuterte ihm Fi-delma.
Eadulf ging geradewegs zu dem lodernden Feuer, das von mächtigen Scheiten genährt wurde.
»Aber für eine Mahlzeit könnt ihr doch bleiben?«
Eadulf wollte schon bejahen, doch Fidelma schüttelte mit Bestimmtheit den Kopf. »Dazu reicht die Zeit nicht. Wir wärmen uns auf, trinken etwas, Bruder Eadulf zieht sich um, und dann müssen wir weiter.«
In Aonas Gesicht spiegelte sich Enttäuschung.
Fidelma berührte seinen Arm. »Wir wollen hoffen, daß wir auf unserer Reise bald hierher zurückkommen, und dann werden wir deine Gastfreundschaft richtig genießen. Aber es geht um eine dringende Angelegenheit, die für die Sicherheit unseres Königreichs wichtig ist, es ist keine bloße Laune.«
Читать дальше