»Natürlich kannst du nicht mit uns auf der Bank Platz nehmen«, sagte Cicero, »aber ich will dich in der Nähe haben. Wer weiß? Vielleicht entfällt mir im letzten Moment noch ein Datum oder ein Name. Tiro hat einen Sklaven abgestellt, dir einen Platz anzuwärmen.« Er wies auf die Tribüne, wo ich zahlreiche Senatoren und Magistraten erblickte, unter ihnen den Redner Hortensius und diverse Messalli und Metelli. Ich erkannte auch den alten Capito. Neben dem Riesen Mallius Glaucia, der einen Verband um den Kopf trug, wirkte er klein und verschrumpelt. Chrysogonus war nirgends zu sehen. Und Sulla war nur in Form seiner vergoldeten Statue anwesend.
Auf Ciceros Wink hin erhob sich ein Sklave von einer der Bänke. Während ich zur Tribüne ging, um meinen Platz einzunehmen, stieß Mallius Claucia Capito in die Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Beide wandten den Kopf und starrten mich an, während ich zwei Reihen oberhalb von ihnen Platz nahm. Glaucia runzelte die Brauen und verzog knurrend die Oberlippe. Inmitten so vieler gesetzter und gediegen gewandeter Römer sah er einem wilden Tier bemerkenswert ähnlich.
Die Morgensonne warf lange Schatten auf das Forum. Als die Sonne gerade über dem Dach der Basilika Fulvia aufstieg, betrat der Praetor Marcus Fannius, der Vorsitzende des Gerichts, die Rostra und räusperte sich. Mit angemessener Würde eröffnete er die Sitzung, rief die Götter an und trug die Anklage vor.
Ich versank in jene Prozeßapathie, die jeden vernünftigen Menschen unweigerlich vor Gericht befällt, hilflos treibend in einem Ozean salziger Rhetorik, der gegen verwitterte metaphorische Klippen brandet. Während Fannius weiterleierte, studierte ich ihre Gesichter - Magnus still vor sich hin glühend, Erucius pompös und gelangweilt, Tiro bemüht, seinen Eifer zu unterdrücken, Rufus, der zwischen all den ergrauten Juristen wie ein Kind aussah. Derweil blieb Cicero abgeklärt und merkwürdig ruhig, während Sextus Roscius selbst nervös die Menge musterte wie ein in die Enge getriebenes, verwundetes Tier, das zuviel Blut verloren hat, um sich noch zu wehren.
Endlich war Fannius fertig und nahm einen Platz unter den Richtern ein. Gaius Erucius erhob sich von der Bank des Anklägers und machte ein langwieriges Theater daraus, seinen korpulenten Körper die Stufen zur Rostra hinaufzuschleppen. Er blähte seine Wangen. Die Richter legten ihre Unterlagen beiseite und stellten ihre Gespräche ein. Die Menge wurde ruhig.
»Werte Richter, ausgewählte Mitglieder des Senats, ich stehe hier heute vor euch mit einer höchst unangenehmen Aufgabe. Denn wie könnte es angenehm sein, einen Mann des Mordes anzuklagen? Doch dies ist eine der unabwendbaren Pflichten, die von Zeit zu Zeit auf die Schultern derjenigen geladen werden, die sich der Erfüllung der Gesetze verschrieben haben.«
Erucius schlug die Augen nieder, um abgrundtiefe Trauer zu demonstrieren. »Aber, werte Richter, meine Aufgabe ist es nicht nur, einen Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen, heute geht es vielmehr darum, ein weit älteres und grundlegenderes Prinzip als die Gesetze sterblicher Menschen hochzuhalten. Denn das Verbrechen, dessen sich Sextus Roscius schuldig gemacht hat, ist nicht nur ein einfacher Mord - und das wäre schon schrecklich genug -, sondern Vatermord.«
Abgrundtiefe Trauer schlug in abgrundtiefes Entsetzen um. Erucius runzelte die plumpen Falten in seinem Gesicht und stampfte mit dem Fuß auf. »Vatermord!« rief er, so schrill, daß die Menschen selbst am entferntesten Ende des Platzes zusammenfuhren. Ich stellte mir vor, wie Caecilia Metella in ihrer Sänfte zitterte und sich die Ohren zuhielt.
»Stellt euch das bitte vor - nein, schreckt nicht vor der Gemeinheit des Verbrechens zurück, sondern schaut dem beutehungrigen Ungeheuer direkt ins Maul. Wir sind Menschen, wir sind Römer, und wir dürfen nicht zulassen, daß unser natürlicher Ekel uns die Kraft raubt, selbst dem widerwärtigsten Verbrechen offenen Auges zu begegnen. Wir müssen unseren Widerwillen hinunterschlucken und nach Gerechtigkeit trachten.
Schaut ihn euch an, den Mann, der dort mit zwei bewaffneten Wächtern im Rücken auf der Anklagebank sitzt. Dieser Mann ist ein Mörder. Dieser Mann ist ein Vatermörder! Ich nenne ihn >diesen Mann<, weil es mir Schmerzen bereitet, seinen Namen auszusprechen: Sextus Roscius. Es bereitet mir Schmerzen, weil es derselbe Name ist, den sein Vater vor ihm trug, den Vater, den dieser Mann ins Grab gestoßen - ein vormals ehrwürdiger Name, an dem jetzt Blut klebt, wie an der blutgetränken Tunika, die man an der Leiche des alten Herrn fand, von den Messern seiner Mörder zu Lumpen zerfetzt. Dieser Mann hat den edlen Namen, den sein Vater ihm gegeben hat, in einen Fluch verwandelt!
Was kann ich euch berichten über... Sextus Roscius?« Erucius spuckte den Namen mit allem Abscheu aus, den er aufbringen konnte, »ln Ameria, seiner Heimatstadt, weiß man über ihn, daß er alles andere als ein frommer Mann ist. Geht nach Ameria, wie ich es getan habe, und fragt die Leute, wann sie Sextus Roscius zum letztenmal bei einer religiösen Feier gesehen habe. Sie werden kaum wissen, von wem ihr sprecht. Doch dann erinnert sie an Sextus Roscius, den Mann, der angeklagt ist, seinen eigenen Vater ermordet zu haben, und sie werden euch einen wissenden Blick zuwerfen und die Augen aus Furcht vor dem Zorn der Götter abwenden.
Sie werden euch berichten, daß Sextus Roscius in vielerlei Hinsicht ein Rätsel ist - ein einsamer Mann, ungesellig, gottlos, rüpelhaft und kurz angebunden im Umgang mit anderen. In der Gemeinde von Ameria ist er einzig und allein aus einem Grund bekannt - oder sollte ich sagen berüchtigt: wegen seiner lebenslangen Fehde mit seinem Vater.
Ein guter Mensch streitet nicht mit seinem Vater. Ein guter Mensch ehrt seinen Vater und gehorcht ihm, nicht nur weil das Gesetz es so verlangt, sondern auch weil es der Wille der Götter ist. Wenn ein schlechter Mensch dieses göttliche Mandat ignoriert und sich offen mit dem Mann streitet, der ihm das Leben geschenkt hat, dann betritt er einen Pfad, der zu allen möglichen unsagbaren Verbrechen führt - ja sogar zu dem Verbrechen, das zu bestrafen wir uns hier alle versammelt haben.
Was war der Grund dieser Feindschaft zwischen Vater und Sohn? Wir wissen es nicht genau, obwohl Titus Roscius Magnus, der Mann, der hier neben mir auf der Bank sitzt, bezeugen kann, daß er viele schmutzige Episoden dieser Fehde mit eigenen Augen gesehen hat, wie im übrigen auch ein weiterer Zeuge, den ich möglicherweise aufrufen werde, nachdem die Verteidigung das Wort hatte, der ehrwürdige Capito. Magnus und Capito sind beide Vettern des Opfers und auch dieses Mannes. Sie sind geachtete Bürger der Gemeinde von Ameria. Sie haben jahrelang voller Trauer und Abscheu mit angesehen, wie Sextus Roscius sich seinem Vater widersetzt und ihn hinter seinem Rücken verflucht hat. Erschüttert beobachteten sie, wie der alte Herr jenem Scheusal, das von seinem eigenen Samen Mensch geworden war, nur um seiner persönlichen Würde willen den Rücken kehrte.
Er kehrte ihm den Rücken, sage ich. Ja, Sextus Roscius pater kehrte Sextus Roscius filius den Rücken, zweifelsohne zu seinem unendlichen Bedauern - denn ein kluger Mann wendet einer Schlange von einem Menschen mit der Seele eines Mörders nicht den Rücken zu, nicht einmal seinem eigenen Sohn, jedenfalls nicht, wenn er kein Messer in den Rücken gestoßen bekommen will!«
Erucius schlug mit der Faust auf die Balustrade der Rostra und starrte mit aufgerissenen Augen über die Köpfe der Menschenmenge hinweg. In dieser Pose verharrte er eine Weile, dann trat er einen Schritt zurück und holte Atem. Nach dem Donner seiner Stimme war es jetzt auf dem Platz eigenartig still. Inzwischen hatte sich Erucius so in Rage geredet, daß sein Gesicht schweißbedeckt war. Er faßte den Saum seiner Toga und tupfte sich über Stirn und Wangen. Er hob den Blick zum Himmel, als suche er Erlösung von der mörderischen Qual, der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen zu müssen. Mit wehleidiger Stimme, gerade laut genug, daß jeder ihn hören konnte, murmelte er: »Jupiter, gib mir die Kraft!« Ich sah, wie Cicero die Arme verschränkte und die Augen verdrehte. Inzwischen hatte Erucius sich wieder gefaßt, trat mit gesenktem Kopf erneut vor und fuhr fort:
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