»Was anderes, George. Hast du vorher mal mit meinem Vater gesprochen? Oder hast du ihn gesehen?«
»Ja, Sir, er war ja ein paarmal bei Louis in der Kombüse. Und einmal hat er mir’n Penny geschenkt.«
»Langsam. Wer ist Louis? Was wollte Thom… mein Vater in der Kombüse? Und warum hat er dir was geschenkt?«
»Louis ist der Koch, Sir. Das heißt: war der Koch, jetzt ist er krank, liegt schon über zwei Wochen flach.«
»Was wollte mein Vater von Louis?«
»Hm.« George kämpfte mit seiner Haarsträhne und überlegte seltsam lange. »Ich weiß nicht, Sir, ich war ja nicht dabei. Hab ihn immer nur reingehen sehen. Und der Penny, dafür sollte ich ihm was über das Schiff erzählen. Aber ich weiß ja gar nichts darüber.«
»Bist du schon lange an Bord?«
»Nein, Sir. War ja das Komische, nicht viel länger als er, als Ihr Vater, mein ich. Ich bin doch mit Louis gekommen, paar Tage vorm Auslaufen erst. Von der Mermaid .«
»Gut«, sagte Gowers und gab dem Jungen seine zweite Zigarre. Wieder ein Mädchenlächeln. »Und noch was anderes, George. Du weißt ja, ich bin Journalist …«
»Nein, Sir, keine Ahnung.«
»Ich will über das Schiff schreiben, über die Reise.«
»Richtig für die Zeitung?«
»Für die Zeitung, genau.« Gowers hielt eine dritte Zigarre in der Hand. »Du kommst doch hier an Bord überall hin, du kennst alle, alle kennen dich. Und darum möchte ich hin und wieder mit dir reden.«
»Worüber, Sir? Ich weiß doch nichts.«
»Na, zum Beispiel über die Passagiere, wer sie sind, woher sie kommen, wohin sie wollen …«
»Warum fragen Sie die nicht selbst?«
»Oh, die Leute reagieren immer etwas komisch, wenn sie wissen, dass sie in die Zeitung kommen. Die meisten fangen zu lügen an.«
»Hm.« George grinste und wischte sich jetzt unablässig das Haar aus der Stirn.
»Also, abgemacht?«
George lächelte wieder, und diesmal sah man, dass er nicht halb so verlegen war, wie er tat, sondern die Wirkung seines Lächelns genau kannte und nicht zum ersten Mal bewusst einzusetzen versuchte.
»Abgemacht, Sir!«
»Er hat einmal zu oft gesagt, dass er nichts weiß«, sagte Van Helmont, setzte sich in der Koje auf und steckte sich schon wieder eine von Gowers Zigarren an. »Und für jemanden, der wirklich nichts weiß, hat er sich viel zu leicht bestechen lassen.«
»Ich denke, er ist es gewohnt, bestochen zu werden«, antwortete Gowers, während er dem aufsteigenden Rauch ein wenig betroffen hinterherblickte. »Fragt sich nur, von wem und wofür.«
»Das mit der Zeitung war falsch, glaube ich.« Der Arzt erhob sich. »Er wird Ihnen natürlich ein tolles Zeug vorlügen.«
»Dann werde ich immerhin wissen, was ich seiner Meinung nach denken soll.«
Van Helmont nickte. »Auch ein Gesichtspunkt«, sagte er.
42.
»Ah, Sie!« Emmeline Thompsons Augen blitzten. »Haben Sie mir diesen Leutnant Carver auf den Hals gehetzt?«
»Nein«, sagte Gowers. »Den haben Sie sich mehr oder weniger selbst zugezogen.«
»Ich wüsste nicht, wodurch«, antwortete sie schnippisch.
Ich auch nicht, hätte Gowers um ein Haar erwidert. Dann bemerkte er allerdings, dass der wütende Glanz in Emmelines Blick durch die Spur eines Lächelns abgemildert wurde. Vielleicht war es ja Carver persönlich, der ihr Missfallen weckte, aber das plötzliche Gefühl, von jemandem begehrt zu werden, schmeichelte doch offenbar einer Eitelkeit, von der sie schon gar nicht mehr wusste, dass sie sie hatte.
»Der Leutnant hat mich lediglich gefragt, ob ich etwas dagegen habe, wenn er Ihnen den Hof macht.«
»Und mit welchem Recht haben Sie ihm das erlaubt?«
»Mit welchem Recht hätte ich es ihm verbieten sollen?«
»Jedenfalls ist er widerlich!« Emmeline verschränkte die Arme vor der Brust und sah einen Moment lang wild entschlossen aus. Als sie merkte, dass ihr dieser Ausdruck entglitt, drehte sie sich zur Wand.
»Ich bin nicht gekommen, um über Ihr Liebesleben zu reden«, sagte Gowers, ohne zu überlegen.
Sie drehte sich wieder um, Mund und Augen vor Entrüstung weit offen. Er hätte sich ohrfeigen können. Privatleben! Privatleben hätte es heißen müssen. Ich brauche mal wieder eine Frau, dachte er. Meine Umgangsformen leiden!
Während er in gebührender Beschämung die Augen niederschlug, hatte Emmeline endlich Worte gefunden: »Das möchte ich mir auch jetzt und in Zukunft verbitten, Mr. Gowers! Was fällt Ihnen überhaupt ein …«
»Entschuldigen Sie vielmals«, seufzte Gowers und lenkte das Gespräch in tiefere Gewässer. »Es tut mir leid. Aber ich bin wirklich nur da, um mit Ihnen über den Fall zu sprechen. Sagt Ihnen der Name Louis Vivés irgendwas?«
»Nein«, schnaubte Emmeline. »Und wenn Sie dem auch erlaubt haben, sich an mich heranzumachen, soll er sich das sofort wieder aus dem Kopf schlagen!«
»Vivés ist der Koch an Bord der Northumberland , einer der Köche.«
»Oh!«, sagte Emmeline und wärmte sich an ihrem eigenen Sarkasmus. »Da haben Sie aber mal so richtig was ermittelt, wie?«
Gowers ging nicht auf die Beleidigung ein, obwohl er sich jetzt fragte, was eigentlich mit ihr los war. War sie böse, weil er in der Sache nicht vorankam, weil er von Carvers Werbung wusste, weil er ihr Liebesleben angesprochen hatte oder weil er eben darüber nicht reden wollte? Oder war es eine dieser wirren Gefühlsmischungen, die er bei Frauen noch nie verstanden hatte und die er manchmal auf seinen Gedächtnisscheiben als schwarzen Fleck, als unberechenbare Größe einsetzen musste?
»Ihr Vater hat mehrfach mit diesem Vivés geredet, ich meine, er hat ihn in der Kombüse aufgesucht und längere Gespräche mit ihm geführt. Haben Sie eine Idee, warum?«
»Nein. Vielleicht wollte er sich über das Essen beschweren.«
Zwecklos, dachte Gowers und fragte, nur um sicherzugehen: »Er hat nicht mit Ihnen darüber geredet?«
»Nein.«
»Das war schon alles. Entschuldigen Sie nochmals.«
»Entschuldigen Sie sich nicht dauernd!« Offenbar gefiel es ihr nicht, dass er ihr Liebesleben dadurch zu einem so wenig erwähnenswerten Thema machte. »Passen Sie lieber auf, was Sie sagen.«
»Das werde ich«, sagte Gowers und dachte beim Hinausgehen: Und zu wem!
»Ach, Mr. Gowers?« Nun war es an Emmeline, beschämt zu sein.
»Ja?«
»Was wissen Sie über ihn?«
Gowers grinste in sich hinein, und ein dunkler Fleck auf seinen Gedächtnisscheiben lichtete sich. »Nun, er ist etwa fünfzig Jahre alt, in La Rochelle geboren, nach dem Krimkrieg zur britischen Handelsmarine …«
»Nein!« Sie errötete heftig. »Ich meine über … Charles.«
Er war froh, sein Lächeln jetzt offen zeigen zu dürfen.
»Zweiundzwanzig. Gute Schulen, gute Familie, wenn auch nicht unbedingt reich zu nennen. Hat in Indien gute Aussichten hochzukommen, jedenfalls eine sichere Zukunft. Integer. Kein Dummkopf …« Langsam gingen ihm die bekannten Fakten aus, und er befürchtete schon, einen Hymnus auf Leutnant Charles Carver von den 16. Füsilieren singen zu müssen, aber da merkte sie, dass sie auch mit den aufforderndsten Blicken nichts Wesentliches mehr aus ihm herausholen könnte. Bis auf eines.
»Und … meint er es ernst?«
»Ich denke ja.«
»Hm«, sagte Emmeline Thompson.
43.
Sie lagen nackt auf den beiden Matratzen, die mitten in der ehemaligen Admiralskabine zusammengeschoben waren. Dazu die weichen Kissen und französischen Plumeaus, die ihn jedes Mal an ein besseres Leben denken ließen.
George drehte sich erschöpft auf den Bauch und genoss das Gefühl, seinen Schweiß an den sauberen Laken abzustreifen. Dann fühlte er wieder die weiche Hand, die von seiner Kniekehle über den Oberschenkel wanderte, seine Hinterbacken streichelte.
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