»Diese hier sind nicht neu.« Lasseur deutete auf ein Loch in der Jacke. »Das war eine Musketenkugel.«
Oder vielleicht sogar eine Kugel aus einer Bakerflinte , dachte Hawkwood.
Es waren mehr als ein Dutzend weiterer Uniformen in der Kiste. Was hatte Morgan damit vor? Er hatte keine Ahnung, aber er würde darüber keine schlaflosen Nächte verbringen. Er warf die Uniform in die Kiste zurück und machte den Deckel zu.
»Ich glaube, wir haben alle Möglichkeiten erschöpft«, sagte Lasseur. »Es sieht aus, als sei dein Messer die einzige Waffe, die wir haben.«
Hawkwood sah sich um.
»Nicht unbedingt.«
Lasseur sah ihn fragend an. »Woran hattest du denn gedacht?«
Hawkwood sagte es ihm.
Lasseur dachte darüber nach.
»Das Dunkle kommt wieder zurück«, sagte er grimmig.
Schritte, gefolgt vom harten Klang von Metall auf Metall.
Sofort war Hawkwood hellwach und öffnete die Augen. Doch es machte keinen Unterschied, er konnte nicht das Geringste sehen. Er überlegte, ob es schon Morgen sein könnte. Hatte er geschlafen? Es schien kaum fünf Minuten, seit sie eingeschlossen worden waren.
Er hörte Stimmen hinter der Tür, aber er konnte nichts verstehen. Er nahm an, dass Lasseur es auch gehört hatte. Schnell nahm er Feuerstein und Stahl, setzte den Zunder in Brand und entzündete damit die Kerze. Er steckte das Feuerzeug wieder ein und hockte sich hin, den Rücken zur Wand, die flackernde Kerze neben seiner Hand auf dem Boden. Er sah hinüber, wo Lasseur hockte. Der Privateer döste.
Das Geräusch wiederholte sich; ein Türriegel wurde zurückgezogen. Die Tür flog auf. Auf der Schwelle stand Croker, die Pistole in der Hand. Hinter ihm stand Sol, ebenfalls bewaffnet und mit einer Laterne.
Hawkwood sah, dass es Morgen war. Im Gang sah man graues Licht, das von draußen hereinfiel.
Croker machte eine kurze Kopfbewegung. »He, du - Ordnungshüter - auf die Beine! Der Froschfresser bleibt hier.«
Hawkwood blieb, wo er war.
Croker hob die Pistole. »Verdammt, bist du taub? Raus, hab ich gesagt! Mr. Morgan will dich sehen.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Hawkwood. »Ich bleibe lieber hier.«
Croker kam herein. Zum ersten Mal schien er das Kerzenlicht zu bemerken. »Jetzt sieh dir das an, Sol! Sie haben sich ein Kerzchen angezündet! Wohl im Dunkeln Angst gehabt, was? Wie süß. Behalt den Froschfresser im Auge, ich kümmere mich derweil um seine Hoheit hier.«
Croker kam näher, Sol dicht auf seinen Fersen. Er hielt die Laterne hoch und wirkte unsicher.
Im Keller hatte es immer nach dem Inhalt der Fässer gerochen. Das war nichts Neues, aber erst als Croker auf den Boden sah und merkte, dass er im Laternenschein nass glänzte und dass auch seine Stiefel feucht waren, kam ihm der Verdacht, dass der Geruch vielleicht intensiver als sonst war.
In dem Moment stieß Lasseur das geöffnete Brandyfass um und Hawkwood berührte die auslaufende Flüssigkeit mit der Kerzenflamme.
Croker stieß einen lauten Schrei aus, als blaue Flammen über den Fußboden, seine Stiefel und seine Hose leckten.
Hawkwood wusste, dass das Feuer nicht lange brennen würde, je nachdem wie stark der Alkohol war, aber er verließ sich darauf, dass Croker zunächst in Panik geraten würde, was ihm einen Vorsprung verschaffte. Er stieß sich von der Wand ab und rammte Croker das Messer in den Hals. Die Klinge drang mit tödlicher Wucht ein. Croker riss vor Überraschung die Augen weit auf. Als er zu Boden stürzte, die Pistole noch immer in der Hand, zog Hawkwood die Klinge seitlich noch weiter, ehe er sie wieder herauszog. Den Rest erledigte die Schwerkraft.
Sol drehte sich zu spät um und schrie auf, als Lasseur ihm die leere Flasche auf die Nase schmetterte. Die Laterne fiel ihm aus der Hand. Als Sol zu Boden ging, entwand Lasseur ihm die Pistole und versetzte ihm einen Fußtritt in den Schritt. Sol lag neben Croker auf den Steinen. Lasseur schleuderte die Flasche zur Seite und ignorierte das laute Klirren. Croker, der in Brandy getränkt und brennend auf dem Boden lag, versuchte noch, mit der Pistole zu zielen, aber er starb, indem er in seinem eigenen Blut erstickte.
Hawkwood steckte das Messer wieder in seinen Stiefel und nahm Croker die Pistole aus der Hand. Das Feuer ging langsam aus.
Lasseur war schon draußen im Gang. Hawkwood warf die Tür zu und schob den Riegel vor. Am Fuß der Treppe holte er Lasseur ein.
»Wenn wir zu den Ställen kommen könnten«, sagte Lasseur hastig, »könnten wir zwei Pferde stehlen.«
Aber Hawkwood schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Wenn von Morgans Leuten jemand im Stall ist, müssten wir mit denen fertig werden und die Pferde satteln. Und selbst wenn wir dort wegkämen, müssten wir noch an den Wachen im Tor vorbei. Wir müssen davon ausgehen, dass Morgan seine Leute vorbereitet hat. Die würden uns hören und einkreisen. Bisher weiß noch keiner, dass wir ausgebrochen sind. Je länger wir das hinauszögern können, desto besser. Es ist besser, wenn wir hinten über die Mauer klettern und uns dann in Richtung auf die Wälder zu halten.«
»Morgan hat auch draußen an der Mauer Männer.«
»Aber in großen Abständen. Mit denen werden wir fertig.«
Hawkwood dachte an die Palisaden. Es waren die einzigen Schwachpunkte, die er gesehen hatte. Sie würden über offenes Gelände laufen müssen, aber wenn er das abwog gegen das Risiko, gut sichtbar auf laut trappelnden Pferden zu fliehen, schien das immer noch die vernünftigere Lösung. Und eigentlich hatten sie auch gar keine andere Wahl.
Lasseur betrachtete Sols Pistole. »Dann hoffen wir mal, dass die geladen ist.«
Oben an der Treppe blieben sie stehen. Der Hof war leer. Die Stalltür war nur angelehnt, es war verführerisch und Hawkwood hatte leise Zweifel.
»Fertig?«, murmelte Lasseur.
Er sprach zu sich selbst. Hawkwood war schon weg.
»Was machen Croker und Sol bloß so lange, um Himmelswillen?« Morgan schüttelte den Kopf halb ärgerlich, halb ratlos. »Es wäre ja fast schneller gegangen, wenn ich Del geschickt hätte.«
»Wir hätten selber gehen sollen«, sagte Pepper. »Wenn es ein Gemetzel gibt, dann ist der Keller leichter sauberzukriegen als der Teppich.«
Sie waren im Hauptgebäude. Morgan saß an seinem Schreibtisch, Pepper lehnte am Kamin.
Morgan dachte nach. Er starrte auf den Teppich. Was Pepper gesagt hatte, machte Sinn. Er nickte. »Du hast Recht.« Er nahm seinen Schwarzdornstock. »Gehen wir.«
Pepper nahm eine Pistole vom Tisch und folgte Morgan aus dem Zimmer.
Sie gingen auf den Wirtschaftshof, wo die Ställe waren.
Auch unterwegs war nirgendwo ein Zeichen von Croker und Sol. Morgan versuchte, die Zweifel zu verdrängen, die in ihm aufkamen. Er fragte sich, ob Pepper sich wohl auch Sorgen machte. Wenn ja, dann ließ er sich nichts anmerken. Aber so war Pepper: Er zeigte selten seine Gefühle. Egal, ob die Nachricht gut oder schlecht war, Peppers Gesichtsausdruck veränderte sich fast nie.
Die beiden Männer gingen über den Hof und stiegen die Kellertreppe hinunter. Es war Pepper, der es zuerst merkte.
»Was ist?«, fragte Morgan.
Pepper zog die Pistole und näherte sich der Kellertür. Vorsichtig zog Morgan den Riegel zurück und öffnete die Tür.
»Himmelherrgottnochmal!« Morgans Gesicht verzog sich in ohnmächtiger Wut, als er auf das Schlachtfeld starrte. Die Knöchel an der Hand, die den Stock hielt, waren weiß. »Diese verfluchten, unbrauchbaren Idioten!«
Croker lag auf dem Rücken. Seine Kleidung war versengt, seine Augen waren offen, aber sie sahen nichts mehr. Es war viel Blut geflossen. Sol lag mit angezogenen Beinen auf der Seite, umklammerte mit verbrannten Händen sein Gemächte und wimmerte. Eines seiner Augen war zugeschwollen. Aus seiner gebrochenen Nase tropften Blut und Rotz auf den Boden. Im Keller herrschte ein furchtbarer Gestank. Pepper sah das geöffnete Brandyfass, die Scherben der zertrümmerten Flasche, die weggeworfene Laterne und den Kerzenstummel.
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