»Die atmen doch beide, oder?« Hook funkelte den Arzt an.
»Offensichtlich«, sagte der Arzt. »Aber …«
»Dann sollen sie ihre Ärsche von den Pritschen heben und mitkommen. Sonst helfen wir ihnen. Sie haben die Wahl, Herr Doktor . Mir isses egal.«
Der Arzt schluckte die Antwort hinunter, wandte sich an Hawkwood und Lasseur und sagte auf Französisch: »Der Sergeant ist tief betrübt, Sie so gebrechlich hier vorzufinden, und fragt, ob Sie beide die Güte hätten, Ihr Bett zu verlassen und ihn zum Quartier des Commanders zu begleiten.«
»Aber selbstverständlich«, sagte Lasseur und warf das Laken zurück. »Bitte richten Sie Sergeant Hook aus, dass wir uns freuen, ihn bei so blühender Gesundheit anzutreffen, und dass Captain Hooper und ich uns freuen würden, ihm zu folgen. Sie können ihm auch ausrichten, dass ich nicht umhin kann festzustellen, dass sein Gesicht eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Kuharsch hat.«
In der Wange des Arztes zuckte es.
»Was hat er gesagt?«, fragte Hook misstrauisch.
»Er hat gefragt, ob Ihre Männer mit ihren Musketen nicht woanders hinzielen können. Sie machen ihn nervös.«
»Tun sie das?«, sagte Hook. Er gab Hawkwoods Pritsche einen Fußtritt. »Los, auf die Beine!«
»Was für ein widerlicher kleiner Kerl«, sagte Lasseur. »Ich hoffe, seine Eier schrumpfen, bis sie so klein wie Korinthen sind.«
»Wenn sie nicht vorher jemand abschneidet«, fügte Hawkwood hinzu.
»Möge Gott uns jetzt eines von Sébastiens Wundern bescheren«, sagte Lasseur, indem er nach seinen Stiefeln angelte.
»Sie werden Ihre Jacke brauchen«, sagte Girard zu Hawkwood und reichte sie ihm. »Ich fürchte, ihr Hemd war nicht mehr zu retten.«
Genau wie mein verdammter Auftrag , dachte Hawkwood.
»Ich werde nicht dulden, dass Gefangene auf meinem Schiff ihre privaten Streitigkeiten auf diese Weise austragen!« Leutnant Hellard fixierte Hawkwood und Lasseur mit dem Blick eines Basilisken. »Selbst wenn es sich nur um Abschaum handelt, der anderen Abschaum umbringt.« Er sah Murat an. »Haben Sie verstanden?«
Der Dolmetscher nickte und man sah ihm an, dass er sich unbehaglich fühlte. »Ja, Sir.«
»Dann sagen Sie’s ihm «, sagte Hellard und deutete auf Lasseur.
»Das ist nicht nötig, Commander«, sagte Lasseur. »Ich spreche Englisch.«
Hellard warf dem Privateer einen wütenden Blick zu. Lasseur erwiderte seinen Blick völlig ungerührt. Der Leutnant wandte daraufhin seine Aufmerksamkeit Hawkwood zu. Er musterte die blutgetränkten Verbände. Dann sah er ihn an und runzelte die Stirn. Hawkwood überlegte, ob der Commander sich wohl an den Moment auf dem Quarterdeck erinnerte, als er die Reihe der Gefangenen mit den Augen abgesucht hatte nach jemandem, der ihn ansah. Hawkwood hielt dem Blick eine gewisse Zeit lang stand, ehe er die Augen auf einen Punkt hinter Hellards Schulter an der Wand richtete, um ihm das Gefühl zu geben, dass er derjenige war, der nachgegeben und den Blickkontakt abgebrochen hatte.
Sie waren im Wohnzimmer des Commanders, das, wie auf allen anderen Gefängnisschiffen auch, gleichzeitig das Büro war. Zwei Milizionäre bewachten die Tür. Hellard saß hinter dem Schreibtisch, das große, nach innen fallende Heckfenster im Rücken. Vor ihm lag ein aufgeschlagenes Register, daneben etliche Papiere. Über der Marsch ging die Sonne unter und tauchte Land und Flussmündung in rot glühendes Licht. Auf dem Fluss ging es noch immer äußerst lebhaft zu, weil viele Schiffe die frühe Flut am Abend nutzen wollten, um entweder flussaufwärts einen Ankerplatz zu finden oder flussabwärts das offene Meer zu erreichen.
Aus dem Augenwinkel sah Hawkwood, dass Lasseurs Blick ebenfalls auf die Flusslandschaft hinter dem Commander gerichtet war. Es war nicht schwer zu erraten, woran er dachte.
Die Kajüte war sparsam möbliert. Im aktiven Dienst war es üblich, dass jeder Commander den Wohnbereich auf seinem Schiff je nach Geschmack und Umfang des Geldbeutels selbst einrichtete; auf seine Kosten konnte alles an Bord geschafft werden: vom Schreibtisch bis zum Esstisch, vom Sideboard über Besteck, Porzellan und Sektkühler bis hin zu den Teppichen.
Soweit er sehen konnte, hatte Hellard entweder ein geringes Einkommen - was nicht unwahrscheinlich war in Anbetracht seines Ranges und der näheren Umstände seiner Anstellung -, oder die Kajüte war von der Transportbehörde möbliert worden, der Funktionalität wichtiger war als Komfort. Genauer gesagt, Leutnant Hellard hatte keine andere Wahl, als sich mit dem zu begnügen, was man ihm hingestellt hatte, und das war nicht viel. Die wenigen Möbelstücke sahen genau so schäbig und abgenutzt aus wie das ganze Schiff, auf dem sie sich befanden, als habe man sie irgendwo in einem längst vergessenen Lagerhaus einer stillgelegten Werft gefunden und hier an Bord gebracht.
Außer dem Schreibtisch gab es einen Toilettentisch mit Spiegel, von dem Hawkwood vermutete, dass er aus einem Feldzug stammte; ferner ein bejahrtes Stehpult, das in einer Ecke stand, außerdem ein Sideboard mit vier Schubladen und schließlich einen kleinen runden Tisch, um den vier einfache Stühle mit gerader Lehne standen. An den Fenstern hingen dunkelrote Vorhänge, auf der Gardinenstange lag Staub. Es waren keinerlei persönliche Gegenstände zu sehen; kein Aquarell eines Porträts, keine Miniaturen mit Bildern einer Frau, weder auf dem Sideboard noch auf dem Toilettentisch, auch keine Bücher. Die Wand auf der linken Seite war geteilt. Hawkwood nahm an, dass Hellards Bett dahinter stand. Alles in allem war der Wohnbereich des Commanders genauso nüchtern wie der Mann selbst.
Aus der Nähe war Hellard noch hagerer, als er auf Deck erschienen war. Bisher hatte Hawkwood ihn nur aus der Ferne gesehen, eine einsame Gestalt, die auf dem Quarterdeck auf und ab ging, die Hände auf dem Rücken. Aus nächster Nähe traten seine Wangenknochen noch schärfer hervor, waren seine Augen noch melancholischer. Auf Kragen und Schultern seiner Jacke lagen Schuppen.
»Weiß einer von Ihnen, welche Strafe auf Duellieren steht?«
»Es war kein Duell«, sagte Lasseur und nahm Haltung an. »Es war Selbstverteidigung.«
»Wie erklären Sie dann die Stöcke mit den Rasiermessern, die wir im Laderaum gefunden haben?«, fragte Hellard barsch.
»Damit haben Matisses Leute uns angegriffen«, sagte Lasseur. »Wir waren gezwungen, uns zu verteidigen.«
Hellard brummte und sagte: »Leutnant Thynne sagte mir, es sei eine Auseinandersetzung wegen eines Kindes gewesen, die zu dem tödlichen Ausgang führte. Was ist Ihre Version, Hooper?«
Thynne, dessen Gesicht im Licht der untergehenden Sonne kantig wirkte, stand etwas seitlich hinter Hellards Stuhl und kaute an einem Fingernagel. Mit einer halben Drehung nach hinten nahm Hellard seinen Kollegen zur Kenntnis, dann wandte er sich wieder an den Captain.
»Das ist richtig«, sagte Hawkwood. »Matisse ließ den Jungen für sein eigenes perverses Vergnügen entführen, und für das seiner Leute. Captain Lasseur und ich beschlossen, Matisse damit zu konfrontieren, weil wir den Jungen wieder nach oben holen wollten.«
»Warum haben Sie die Wachen nicht über die Entführung des Jungen informiert?«, unterbrach Hellard ihn.
»Weil wir es nicht für nötig hielten. Wir wussten nicht, dass es in Gewalt ausarten würde.«
»Etwas naiv von Ihnen, im Hinblick auf Matisses Ruf«, sagte Hellard.
Lasseur konterte schnell. »Mit Verlaub, Commander, wir sind erst kurze Zeit an Bord. Wir hatten keine Ahnung von Matisse und in welchem Ruf er stand.«
Hellard konsultierte das Register, das vor ihm lag. »Das sehe ich. Da haben Sie beide aber nicht lange gebraucht, um sich in Scherereien zu verwickeln, nicht wahr?«
Der Leutnant sah auf die Papiere. Er nahm einen Federhalter und machte eine Notiz. »Wer von Ihnen hat Matisse getötet?« Er sah nicht hoch, sondern schrieb weiter.
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