Hawkwood spürte, wie es an seiner linken Seite warm herunterlief, und er wusste, in dem Gefecht mit seinem letzten Gegner war die Wunde, die der Türke ihm beigebracht hatte, noch vertieft worden. Seine rechte Hand war ebenfalls blutüberströmt. Er packte den Fassreifen fester. Blut drang aus der Verletzung auf seinen Handknöcheln und sickerte zwischen seinen geschlossenen Fingern hindurch.
Hawkwood musste daran denken, wie ironisch es war, dass er sterben sollte, während ein Franzose ihn von hinten verteidigte. Nathaniel Jago wäre amüsiert gewesen, nein, er hätte es sogar für einen verdammt guten Witz gehalten.
Er wunderte sich auch, dass Matisses Männer noch immer bereit waren zu kämpfen, obwohl ihr Anführer doch tot war. Es schien keinen Sinn zu haben, es sei denn, sie dachten, dass er und Lasseur Anspruch auf Matisses Königreich erheben würden. Aber jetzt war keine Zeit, darüber zu diskutieren.
Plötzlich stieß Lasseur einen Fluch aus. Hawkwood nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass jemand mit einem Fassreifen auf seinen Kopf zielte. Er merkte, dass Lasseur den Abstand zwischen ihnen vergrößert hatte, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Man hörte einen Schlag, Metall auf Holz, dann einen Aufschrei, und dann musste er in seiner eigenen Ecke kämpfen, als zwei weitere von Matisses Männern angriffen. Hawkwood schwang das Metallband, um die Hiebe abzuwehren. Er schaffte es, einem zu entgehen, aber die selbstgemachte Klinge des anderen traf ihn von oben auf der Schulter. Sein linker Arm fühlte sich taub an.
Lasseur teilte immer noch Hiebe aus, als man etwas splittern hörte. Dann folgte das Geräusch eines Körpers, der auf Kies fällt, und dann ein gackerndes Freudengelächter, das nur von einem von Matisses Männern kommen konnte. Er hörte, wie Lasseur etwas rief, konnte es aber nicht verstehen. Dann sah er Dupin, jedoch zu spät. Der korsische Leutnant war hinter ihm und schwang den flach geschlagenen Reifen wie eine Keule über sich.
Hawkwood fühlte einen heftigen Schlag auf dem Rücken, etwas Hartes versetzte ihm einen Streifhieb gegen den Hinterkopf, und er fiel. Er versuchte, den Fassreifen festzuhalten, aber er fühlte seine Finger nicht mehr. Sie waren ebenfalls taub.
Er schlug aufs Deck und sah mit schmerzverzerrtem Gesicht hoch.
»Hübsche Stiefel.« Dupin stand über ihm und grinste ihn an. Hilflos sah Hawkwood, wie der Reifen sich senkte. Dann hörte er einen lauten Knall und Dupins Hinterkopf explodierte.
Es folgten mehrere Detonationen, dann eine Menge Menschen, und plötzlich war der Lagerraum voll roter Uniformen. Er sah sich nach Lasseur um und versuchte, sich aufzusetzen, aber es war ihm nicht möglich. Sein Kopf fühlte sich an, als wolle er platzen. Es war weniger schmerzhaft, einfach liegen zu bleiben und sich treiben zu lassen. Das schien zu funktionieren. Seine Glieder verloren alles Gefühl. Es war nicht unangenehm. Plötzlich berührte eine Hand, die aus dem Nichts kam, seine Stirn, und er zuckte zurück. Bei der Bewegung schoss ein Schmerz durch seinen Kopf und in seine Brust. Dann fühlte er einen Arm unter seiner Schulter und sah ein Gesicht. Es war bärtig und kam ihm irgendwie bekannt vor.
Er dachte noch immer darüber nach, als es vor seinen Augen dunkel wurde.
Hawkwood versuchte sich zu bewegen, aber er merkte, dass das ein Fehler war. Es war für ihn kein Problem gewesen, die Augen zu öffnen. Nein, das war die leichtere Übung, die kein weiteres Können erforderte: eine kurze Bewegung der Augenlider und schwupp - schon war er wieder unter den Lebenden. Doch als er versuchte, sich auf den Ellbogen zu stützen, um sich umzusehen, wo er war, fühlte es sich an, als bekäme er abermals Schläge auf Hinterkopf und Schultern, nur noch viel heftiger.
Er ließ sich wieder zurücksinken, schloss die Augen und wartete darauf, dass das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf aufhörte. Sekunden vergingen, oder waren es Stunden? Hawkwood hatte nichts dagegen, abzuwarten, es eilte ihm gar nicht, den Versuch zu wiederholen, um sicher zu sein, dass er die Nebenwirkungen auch ertragen konnte.
Allmählich war das Pochen einem dumpfen Schmerz gewichen. Er holte tief Luft und versuchte es nochmals, etwas vorsichtiger.
Diesmal ging es schon besser, aber trotzdem war es schmerzhaft. Sein Kopf fühlte sich noch immer an, als bohrte jemand einen glühenden Schürhaken hinein, und als er sich schließlich im Raum umsah, fragte er sich, ob das die Anstrengung wert sei.
Wie gewöhnlich war es nicht sehr hell. Von der Decke hingen zwei Laternen, und am anderen Ende der Kajüte war eine vergitterte Öffnung, durch die Licht hereinfiel. Es war hell genug, um zu erkennen, dass draußen noch Tageslicht herrschte, obwohl es wohl bald dämmern würde. Er sah auch, dass er sich in einem Teil des Schiffes befand, den er noch nicht kannte. Er lag auf einer Pritsche, um ihn herum standen weitere Pritschen. Soweit er sehen konnte, waren die meisten belegt. Es war zu dunkel, um zu erkennen, wer darauf lag, aber bei dem Schniefen, Husten, Keuchen und Würgen um ihn herum war es nicht schwer zu erraten.
Sein Verdacht wurde auch durch den Essiggeruch bestätigt.
Er hob den Kopf, doch schon diese kleine Bewegung genügte, um einen erneuten scharfen Schmerz auszulösen. Man hatte sein Hemd entfernt und seine Verletzungen verbunden. Der Verbandmull war mit dunklen Blutflecken bedeckt. Er war bis zur Taille mit einem nicht sehr sauberen Laken zugedeckt. Er nahm eine Bewegung wahr und sah gerade noch, wie sich drei Kakerlaken mit glänzenden Flügeldecken über den Rand seiner Pritsche aus dem Staub machten.
Sein Blick wanderte weiter, über das Fußende hinaus. Er sah eine offene Luke, die in eine kleinere und genauso schlecht beleuchtete Kajüte nebenan führte. Er sah das Ende eines Tisches und einen Stuhl, über den ein Jackenärmel hing. An der Wand standen Schränke und Regale, auf denen eine eindrucksvolle Sammlung von verkorkten, etikettierten Flaschen in verschiedenen Farben stand. Einige waren so groß wie Ginflaschen, andere sahen aus, als hätten sie früher Parfüm enthalten. Auf dem Tisch standen weitere Flaschen, daneben ein Mörser mit Stößel sowie Schreibzeug.
Aus den Geräuschen, die er ringsum vernahm, sowie dem Essiggeruch und den Gegenständen erriet Hawkwood, wo er war. Er wusste, dass man mit dem Essig das Deck schrubbte in dem vergeblichen Bemühen, den Geruch von Erbrochenem, von Urin und anderen Exkrementen zu überdecken, die die Männer um ihn herum verursachten. Er war im Krankenrevier.
»Willkommen zurück.«
Der Gruß kam von der Pritsche nebenan, die im Halbdunkel stand. Hawkwood drehte den Kopf, vorsichtig und ganz langsam.
Lasseur hatte Platzwunden und Blutergüsse im Gesicht, seine linke Schulter war verbunden. Er betrachtete Hawkwoods Verbände und sagte lakonisch: »Sieht aus, als würden wir beide weiterkämpfen, mein Freund. Wie geht es Ihnen?«
»Beschissen«, sagte Hawkwood wahrheitsgemäß, wobei er merkte, dass das Reden nicht viel weniger schmerzhaft war als der Versuch, sich aufzusetzen.
»Mir auch, aber ich habe gehört, das sei besser, als tot zu sein.« Lasseurs Gesicht sah allerdings aus, als sei er im Moment von diesen Worten nicht so recht überzeugt.
»Mir war, als hätte ich Fouchet gesehen«, sagte Hawkwood. »Oder habe ich mir das eingebildet?«
Der Kapitän antwortete nicht gleich. Er sah immer noch nachdenklich aus. Hawkwood ahnte, dass der Tod des Jungen ihn beschäftigte, und die Katastrophe, die darauf gefolgt war. Endlich nickte Lasseur. »Unser Freund hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte die Wachen alarmiert.«
»Ich dachte, die kämen nicht gern unter Deck.«
»Tun sie auch nicht. Sébastien musste alle Überredungskunst aufwenden.«
»Sie haben Dupin umgebracht«, sagte Hawkwood.
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