»Oh, das weiß ich noch nicht so genau«, sagte Peters leichthin. »Wenn der Professor sich vernünftig benimmt … übrigens gehört das nicht hierher.«
»Zum Teufel!« sagte Nicke noch einmal.
Kalle hatte einen Kloß im Hals. Er war so traurig, alles war so ohne Hoffnung. Sie hatten versucht, wirklich versucht, mit all ihren Kräften versucht, Rasmus und dem Professor zu helfen.
Aber es hatte nichts genützt. Diese bösen Menschen gewannen das Spiel. Armer, armer Rasmus.
Kalle stolperte voller Verzweiflung durch die Dunkelheit. Er mußte versuchen, den Professor zu sprechen. Er mußte ihn auf das Flugzeug vorbereiten, das sich morgen früh wie ein großer Raubvogel auf die Insel stürzen wollte, um die Klauen in Rasmus zu schlagen. Das auf dem Wasser in der Bucht landen würde, sobald Blom durchgegeben hatte, daß sich das Wetter hin-reichend aufklärte.
Kalle blieb plötzlich stehen. Wie gab Blom das eigentlich weiter? Donnerwetter, wie tat er das nur? Kalle pfiff durch die Zähne. Natürlich! Es mußte hier irgendwo auf der Insel eine Sendestation geben! Alle Spione und Schurken, die mit dem Ausland in Verbindung standen, benutzten dazu den Äther.
Ein kleiner Gedanke begann in Kalles Gehirn zu arbeiten. Eine Radioanlage – ein Sender, das war genau das, was er selbst jetzt brauchte. Himmel, wo war dieser Sender? Er mußte ihn finden. Vielleicht, vielleicht gab es doch noch eine ganz winzig kleine Chance, etwas Hoffnung. Dort aus dem kleinen Haus war Blom gekommen! Dort lag es vor ihm. Ein schwaches Licht drang aus dem Fenster. Kalle zitterte vor Aufregung. Wie oft hatte diese Insel ihn nicht schon zum Zittern gebracht, dachte er,
schlich sich vor und sah durch das Fenster. Er sah keinen Menschen. Aber – größere Wunder waren auf dieser Welt nicht mehr möglich – die Sendestation sah er. Ja, sie war in dem Haus.
Kalle fühlte am Türgriff. Unverschlossen – danke sehr, lieber, guter Blom. Vielen Dank, auch wenn du ein Kidnapper bist. Mit einem Satz war Kalle am Sender und ergriff das Mikrophon. Gab es einen Menschen auf dieser großen, weiten, runden Welt, der ihn hören würde? Gab es einen, der sein verzweifeltes Rufen hörte?
»Hilfe! Hilfe!« bat er mit leiser, zitternder Stimme. »Hilfe!
Hier spricht Karl Blomquist. Wenn mich jemand hört, rufe er sofort Onkel Björk an – ich meine, sofort die Polizei von Kleinköping anrufen und dort sagen, daß sie zur Kalvö kommen und uns retten sollen. – Kalvö heißt die Insel, und sie liegt ungefähr fünfzig Kilometer südöstlich von Kleinköping – und es ist sehr dringend, denn wir sind gekidnappt worden. Beeilt euch und kommt hierher, sonst sind wir verloren. Kalvö heißt die Insel.
Anzurufen ist bei der Polizei von Kleinköping und …«
Gab es jemanden auf der weiten Welt, der gerade diesen Sender hörte? Jemanden, der gerade jetzt zuhörte und sich wunderte, warum alles im Äther plötzlich wieder still war?
Kalle selbst wunderte sich nur, woher die Lokomotive gekommen war, die ihn überfahren hatte. Er wunderte sich, warum es plötzlich in seinem Kopf so weh tat. Dann versank er in einer grenzenlosen Finsternis und brauchte sich über nichts mehr zu wundern. Mit dem letzten kleinen Rest seines Verstandes hörte er von weit her die seltsam hohl klingende, gehässige Stimme seines großen Feindes Peters:
»Ich bringe dich um! Verdammter Lümmel! Nicke, los, trag ihn zu den anderen!«
»Jetzt müssen wir scharf nachdenken«, sagte Kalle und befühlte vorsichtig die riesige Beule an seinem Hinterkopf. »Genauer gesagt: ihr müßt nachdenken. Mein Schädel sitzt nämlich nicht mehr sicher auf seinem Stengel, glaube ich.«
Eva-Lotte kam mit einem feuchten Handtuch, das sie um Kalles Kopf wickelte.
»So«, sagte sie, »und nun liegst du ganz ruhig und bewegst dich nicht!«
Kalle hatte gar nichts dagegen, still zu liegen. Nach den Stra-pazen der letzten vier Tage und Nächte war es für seinen Körper eine wahre Wohltat, zu liegen. Es war herrlich, wenn auch etwas albern, dazuliegen und von Eva-Lotte bemuttert zu werden.
»Ich sitze schon und denke scharf nach«, sagte Anders. »Ich sitze da und denke darüber nach, ob es irgendeinen Menschen gibt, den ich noch mehr hasse als diesen Peters, aber ich finde keinen in meinem Gedächtnis. Nicht einmal den Bastellehrer, den wir im vorigen Jahr hatten. Und der war ja bestimmt seltsam.«
»Armer Rasmus«, sagte Eva-Lotte. Sie nahm den Lichthalter und ging zu Rasmus und leuchtete ihn an. Da lag er und schlief so ruhig und zufrieden, als gäbe es keine Bosheit auf der Welt.
Im flackernden Lichtschein sieht er wie ein Engel aus, dachte Eva-Lotte. Sein Gesicht war mager geworden, die Backen, die von langen dunklen Augenwimpern beschattet wurden, waren hohl, und der weiche, kindliche Mund, der so viel dummes Zeug zu plappern pflegte, war jetzt unbeschreiblich rührend. Er sah so klein und wehrlos aus, daß Eva-Lottes ganze Mütterlichkeit schmerzhaft zu ihrem Herzen strömte, als ihr das Flugzeug einfiel, das morgen früh kommen sollte.
»Können wir wirklich nichts tun?« fragte sie mutlos.
»Oh, ich möchte gern Peters irgendwo mit einer Höllenmaschine einsperren«, sagte Anders und kniff blutrünstig seine Lippen zusammen. »Eine nette kleine Höllenmaschine, die so mit einemmal ›Klick‹ sagt – und dann wäre es endlich aus mit dem Knilch!«
Kalle lachte leise vor sich hin. »Weil du sagt: einsperren – wir sind ja eigentlich nicht im geringsten eingesperrt. Habe ich denn nicht den Schlüssel? Wir können doch fliehen, wann wir wollen.«
»Mensch, guter Moses«, sagte Anders überrascht. »Richtig, du hast ja den Schlüssel! Worauf warten wir noch! Kommt, sausen wir los!«
»Nein, Kalle muß ruhig liegenbleiben«, sagte Eva-Lotte besorgt. »Nach so einem Sternenfall darf er nicht einmal den Kopf anheben.«
»Wir warten einige Stunden«, sagte Kalle. »Wenn wir Rasmus jetzt in den Wald bringen, brüllt er los, daß man es über die ganze Insel hört. Und hier schlafen wir besser als unter irgendeinem Busch im Wald.«
»Du redest so klug, man könnte beinahe glauben, daß dein Gehirn schon wieder funktioniert«, bestätigte Anders. »Ich weiß, was wir machen. Zuerst einige Stunden schlafen und dann so gegen fünf Uhr früh von hier weg. Und dann wollen wir hoffen, daß es sich unterdessen so weit aufgeklärt hat, daß einer von uns zum Festland hinüberschwimmen kann, um Hilfe zu holen.«
»Ja, sonst platzt nämlich bestimmt alles«, sagte Eva-Lotte. »Lan-ge Zeit können wir uns auf der Insel nicht versteckt halten. Außerdem weiß ich, wie es mit Rasmus im Wald ist – und ohne Essen.«
Anders kroch in seinen Schlafsack, den ihm Nicke gnädigerwei-se gelassen hatte. »Frühstück bitte Punkt fünf Uhr – ans Bett«, sagte er. »Nun möchte ich schlafen.«
»Gute Nacht«, sagte Kalle. »Ich spüre in meinen Knochen, daß morgen allerhand passieren wird.«
Eva-Lotte legte sich auf ihre Bank. Sie legte die Hände unter den Kopf und starrte an die Decke, wo eine dumme Fliege umher-surrte und jedesmal, wenn sie anstieß, kleine Bumserchen zustande brachte, »Übrigens kann ich Nicke ganz gut leiden«, sagte Eva-Lotte. Dann rollte sie sich auf die Seite und pustete das Licht aus.
Für den, der umherirrt und nach einer kleinen Hütte im Walde sucht, ist Kalvö, 53 Kilometer südöstlich von Kleinköping, groß und langgestreckt. Für den, der sich ihr in einem Flugzeug nähert, ist die Insel nichts weiter als ein kleiner, kleiner grüner Punkt in einem blauen Meer, das mit vielen ähnlichen Punkten angefüllt ist. Irgendwo, weit fort, ist gerade jetzt ein Flugzeug gestartet, um die kleine Insel, die dort zwischen vielen ähnlichen im Meer liegt, zu erreichen. Das Flugzeug hat starke Motoren und braucht nur wenige Stunden, um sein Ziel zu erreichen. Sie brummen unaufhörlich und eintönig, die Motoren, und bald kann man auf Kalvö
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