Das gesamte Publikum zog den Kopf ein und zitterte und bebte. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie alle dachten, wie ich übrigens auch, gleich pfiffen ihnen wieder die weiß glühenden Funken um die Ohren.
Merkwürdigerweise geschah das aber nicht.
«Wenn du schon auf solche idiotischen Ideen kommst», donnerte die Hoch- und Großmeister-Hexe, «dann ist es wirklich gein Wunder, dass ganz England noch von begnackten gleinen Gindern wimmelt.»

Wieder ein tiefes Schweigen. Die Hoch- und GroßmeisterHexe starrte die Hexen im Publikum an. «Wisst ihr denn nicht», schrie sie sie an, «dass wir Hexen nur mit Zaubergräften arbeiten?»
«Das wissen wir, euer Hochgeboren», antworteten sie alle miteinander. «Das wissen wir natürlich!»
Die Hoch- und Großmeister-Hexe rieb ihre hageren behandschuhten Hände und rief: «Jede von euch besitzt also einen großartigen Süßwarenladen! Der nächste Schritt besteht nun im Folgenden. Jede von euch wird im Schaufenster ihres Ladens angündigen, dass an einem bestimmten Tag eine große Galaeröffnung stattfinden wird, mit Bonbons und Schogolade gratis für jedes Gind.»
«Das wird sie in den Laden bringen, die gierigen kleinen Racker!», schrie das Publikum. «Sie werden sich gegenseitig die Augen auskratzen, um durch die Türen zu kommen!»
«Als Nächstes», fuhr die Hoch- und Großmeister-Hexe fort, «werdet ihr euch auf diese Galaeröffnung dadurch vorbereiten, dass ihr jede Schogolade und jede Braline in eurem Laden mit meinem neuesten und größten Zaubermittel füllt! Es trägt den Namen formula 86 retard / mausemutarium!»
«Retard! Ein verzögerter Zauber! Ein Mausemutarium!», johlten sie. «Sie hat es wieder einmal geschafft! Ihre hochgeborene Hoheit hat wieder einen von ihren klassischen KinderKillern entwickelt! Ein neuer Zauber! Was sollen wir damit machen, du Superkluge?»
«Fasst euch in Geduld», antwortete die große Hexe. «Zuerst werde ich euch erglären, wie meine Formula 86 retard / Mausemutarium wirgt. Hört genau zu!»
«Wir hören!», riefen die Tagungsteilnehmerinnen, die jetzt vor lauter Aufregung auf ihren Stühlen auf und ab hüpften.

«Das Mausemutarium ist eine grüne Flüssigkeit», erklärte die Hoch- und Großmeister-Hexe. «Ein einziger Dropfen in jedem Stück Schogolade oder Bonbon ist vollgommen ausreichend. Und nun aufgemerkt - geschehen wird Folgendes: Gind isst Schogolade mit einem Dropfen Formula 86 Mausemutarium... Gind gommt heim und fühlt sich wohl... Gind geht zu Bett, es geht ihm immer noch gut... Gind wacht am nächsten Morgen auf, immer noch o. k.... Gind geht zur Schule, immer noch gesund... Formula 86, das habt ihr ja gehört, ist ein verzögerter Zauber, und er wirkt immer noch nicht.»
«Ja, ja, wir verstehen, o Meistergescheite!», schrie das Publikum. «Aber wann fängt es dann an zu wirken?»
«Es wirkt genau um neun Uhr, wenn das Gind in der Schule angommt!», rief die Hoch- und Großmeister-Hexe triumphierend. «Gind gommt in Schule, verzögerter Zauber fängt sofort zu wirken an. Gind beginnt zu schrumpfen. Gind griegt ein Fell. Gind griegt einen Schwanz. Und das passiert in genau sechsundzwanzig Segunden. Nach sechsundzwanzig Segunden, Gind ist glein, Gind ist gein Gind mehr. Gind ist Maus!»
«Eine Maus!», kreischten die Hexen. «Was für eine entzückende Idee!»
«Glassenzimmer wird von Mäusen wimmeln!», rief die Hoch- und Großmeister-Hexe. «Chaos und Durcheinander bricht in allen Schulen in England aus. Lehrer werden den Verstand verlieren. Lehrerinnen werden auf die Bulte springen und die Röcke raffen und Hilfe! Hilfe! Hilfe! schreien.»
«Ja, ja, das werden sie tun, wahrhaftig, das werden sie tun!», schrien die Zuhörerinnen.

«Und was», rief die Hoch- und Großmeister-Hexe in den Lärm, «wird als Nächstes in jeder Schule bassieren?»
«Sag's uns!», riefen sie. «Verrat es uns, o Blitzgescheite!»
Die Hoch- und GroßmeisterHexe schraubte ihren sehnigen Hals nach vorn und grinste die Hexen an. Dabei entblößte sie zwei Reihen spitze und blassblaue Zähne. Dann erhob sie die Stimme noch mächtiger denn je und donnerte:
«Die Mausefallen werden rausgeholt!»
«Mausefallen?», stöhnten die Hexen.
«Und Gäse!», rief die Hoch- und Großmeister-Hexe. «Die Lehrer rennen durcheinander und rrennen rraus und beschaffen sich Mausefallen und setzen den Gäse als Göder ein und stellen sie überall in den Schulen auf den Fußboden. Mäuse gnabbern Gäse! Mausefallen glappen zu. Glapp glapp, schnapp schnapp, so machen die Mausefallen in Schulen, die gleinen Mäusegöpfe gullern wie die Glicker über den Fußboden. In ganz England, in jeder Schule in England wird man das Zuschnappen der Mausefallen hören.»
In diesem Augenblick begann die widerwärtige alte Großhexe auf ihrem Podium eine Art von Hexentanz zu vollführen, wobei sie mit den Füßen trampelte und in die Hände klatschte. Die gesamte Zuhörerschaft fiel ein und klatschte und trampelte ebenfalls. Sie vollführten einen solchen Lärm, dass ich dachte, Mister Stringer würde es hören und angelaufen kommen und an die Tür hämmern. Aber das tat er nicht.
Dann vernahm ich über all dem Getöse die Stimme der Hoch- und Großmeister-Hexe, die mit schriller Stimme irgendeinen Beschwörungssingsang anzustimmen schien:
«Nieder mit Kindern! Und macht damit schnell! Kocht ihre Knochen und gerbt dann ihr Fell. Zwickt sie und zwackt sie und haut sie zu Mus. Eine Nuss an die Nase, einen Tritt auf den Fuß! Stopft sie mit Zauberpralinen voll und mit Zucker und Bonbons - das finden sie toll. Sind sie dann morgens zur Schule gegangen, hat sie um neun unser Zauber gefangen. Mausefell wächst und Mausschwänze sprießen, ein Schnauzbart beginnt am Kinn zu schießen. Kinder, einst groß, sind plötzlich ganz klein. Sie schreien: Wie kann denn das bloß sein? Mädchen fühlen sich krank und blass und hauchen: Was ist nur mit mir, was? Kinder sind Mäuse, und Lehrer sind blind. Sie jagen die Mäuse, die Kinder sind. Sie spannen die Fallen, die Falle macht schnapp! Und schlägt den Mäusen die Köpfe ab. Das ist für Hexen süße Musik, und damit feiern sie ihren Sieg. Denn es geschah, was wir geplant, kein Kind gibt's mehr in diesem Land.»
Ich hoffe, ihr habt nicht vergessen, dass ich während all dieser Vorgänge hinter dem Wandschirm hockte und mit einem Auge durch die Ritze starrte. Ich habe keine Ahnung, wie lange das alles gedauert hat, aber mir ist es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Das Schlimmste war, dass ich keinen Mucks von mir geben durfte, denn ich wusste genau, wenn ich das täte, dann wär's um mich geschehen. Und außerdem hatte ich die ganze Zeit Todesängste, dass eine von den Hexen in der letzten Reihe mit ihren speziellen Nüstern meine Witterung aufnehmen würde.
So wie ich es sah, bestand meine einzige Hoffnung darin, dass ich mich seit Tagen nicht gewaschen hatte. Das und das ewige Hochgeputsche und das Klatschen und das Geschrei, von dem der ganze Saal widerhallte. Die Hexen hatten nichts anderes im Kopf als ihre Großhexe da oben auf dem Podium und ihren großen Plan zur Vernichtung aller Kinder in England. Dabei hatten sie gar keine Zeit, nach einem einzigen Kind in diesem Saal herumzuschnüffeln. Außerdem: Selbst in ihren wildesten Träumen (wenn Hexen überhaupt Träume haben) würden sie so etwas überhaupt nicht vermuten. Ich verhielt mich also mucksmäuschenstill und betete.
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