Ich machte einen Buckel, verzog das Gesicht und beschloß, Dobbins Sattel im Dreck liegenzulassen. Paßt, dachte ich. Meiner Rolle getreu bis zum bitteren Ende.
Ich nahm die Plastikplane vom Motorrad und fuhr ohne Eile zum Hof hinaus. Die Jungs waren geschlossen mit dem dritten Lot unterwegs und mußten, wenn sie wiederkamen, noch mal ran; als mir gerade durch den Kopf ging, wie sie zu fünft mit dreißig Pferden fertigwerden wollten, kam mir ein Junge mit Frettchenaugen und umgehängtem Seesack entgegen, der langsam in Richtung Humber latschte. Neues Treibgut. Hätte er geahnt, auf was er sich einließ, wäre er noch langsamer gegangen.
Ich fuhr nach Clavering, einer tristen Grubenstadt mit schäbigen Rücken an Rücken stehenden Reihenhäusern rund um ein mit Chrom und Glas aufgemotztes Einkaufszentrum und rief in Octobers Londoner Wohnung an.
Terence meldete sich. Lord October sei in Deutschland, sagte er, wo seine Firma eine neue Fabrik eröffne.
«Wann kommt er zurück?«
«Samstag morgen, nehme ich an. Er ist am Sonntag weg und wollte acht Tage bleiben.«
«Verbringt er das Wochenende in Slaw?«
«Wahrscheinlich. Der Rückflug geht nach Manchester, für London hat er mir keine Anweisungen hinterlassen.«
«Könnten Sie mir die Telefonnummern von Colonel Beckett und Sir Stuart Macclesfield heraussuchen?«
«Augenblick. «Ich hörte ihn blättern, dann gab er mir die Anschriften und Telefonnummern durch. Ich schrieb mit und dankte ihm.
«Ihre Kleider sind noch hier, Sir«, sagte er.
«Ich weiß«, sagte ich grinsend.»Die hole ich auch bald mal ab.«
Wir legten auf, und ich rief bei Beckett an. Eine stocktrockene Stimme sagte mir, Colonel Beckett sei nicht zu Hause, werde aber um neun in seinem Club essen und sei dann dort zu erreichen. Sir Stuart Macclesfield, so erfuhr ich, kurierte in einem Sanatorium eine Lungenentzündung aus. Ich hatte gehofft, Hilfe für die Beobachtung von Humbers Stall zu bekommen, damit wir Kanderstegs Weg verfolgen konnten, wenn er in den Transporter verfrachtet wurde. Aber wie es aussah, hatte ich nur mich, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Ortspolizei meine Geschichte glauben oder mir gar Leute zur Verfügung stellen würde.
Ausgerüstet mit einer Decke und einem guten, aus einem Leihhaus stammenden Fernglas, versorgt mit Schweinefleischpastete, Schokolade, einer Flasche Mineralwasser und ein paar Bogen Kanzleipapier, fuhr ich mit dem Motorrad wieder nach Posset und nahm am Ortsausgang die Straße, die oberhalb des Tals, in dem Humbers Stall lag, verlief. An der auf meiner Erkundungsfahrt markierten Stelle schob ich die Maschine ein paar Meter ins Gebüsch und suchte mir einen Platz unterhalb der Horizontlinie, so daß ich für Vorbeifahrende schwer auszumachen war, aber mit dem Fernglas direkt in Humbers Hof schauen konnte. Es war ein Uhr, und dort unten tat sich nichts.
Ich nahm den Koffer vom Gepäckträger, um ihn als Sitz zu benutzen, und richtete mich auf eine lange Wache ein. Selbst wenn ich Beckett um neun telefonisch erreichte, würde er vor morgen früh kaum Verstärkung herbeizaubern können.
In der Zwischenzeit konnte ich einen ausführlichen Bericht abfassen und die Gelegenheit nutzen, auf Dinge einzugehen, die ich in meinen schnell am Postschalter hingekritzelten Briefen ausgeklammert hatte. Ich nahm das Kanzleipapier hervor und schrieb mit Unterbrechungen fast den ganzen Nachmittag, ohne die Beobachtung durchs Fernglas zu vernachlässigen. Doch bei Humber lief nichts als der normale Stallbetrieb.
Ich begann.
An den Earl of October, Sir Stuart Macclesfield, Colonel Roderick Beckett
Sehr geehrte Herren,im folgenden fasse ich die bisherigen Ergebnisse — beobachtete Fakten und sich daraus ergebende Schlüsse — meiner in Ihrem Auftrag durchgeführten Ermittlungen zusammen.
Paul James Adams und Hedley Humber erzielen gemeinsam seit ungefähr vier Jahren, seit Adams das Schloß in Tellbridge, Northumberland, gekauft hat und dort wohnt, mit unlauteren Mitteln Rennerfolge.
Adams ist (soweit ich das als Laie beurteilen kann) eine psychopathische Persönlichkeit, ein Mensch, der leidenschaftlich seine Gelüste auslebt und seine Ziele verfolgt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen oder mögliche Folgen für die eigene Person zu bedenken. Er wirkt überdurchschnittlich intelligent, und er hat bei dem Gespann das Sagen. Psychopathen neigen meines Wissens oft zu riskanten Betrügereien; vielleicht wäre ein Blick in seine Lebensgeschichte aufschlußreich.
Humber hört zwar auf Adams, ist aber nicht ganz so verantwortungslos. Er ist kalt und stets beherrscht. Ich habe ihn nie wirklich wütend erlebt (er setzt Zorn als Waffe ein), und alles, was er tut, wirkt überlegt und berechnet. Während Adams möglicherweise psychisch gestört ist, scheint mir Humber einfach bösartig zu sein. Vielleicht hält sein vergleichsweise gesunder Verstand Adams in Schranken, so daß sie nicht schon früher aufgefallen sind.
Adams ’ und Humbers Methode basiert darauf, daß Pferde durch Assoziation lernen und Geräusche mit Geschehen in Verbindung bringen. Wie Pawlows Hunde auf das Klingelzeichen hören, weil es für sie heißt, daß es Fressen gibt, wissen Pferde, wenn der Futterwagen über den Hof rollt, genau, daß ihr Futter kommt.
Ist ein Pferd daran gewöhnt, daß auf ein bestimmtes Geräusch hin etwas Bestimmtes geschieht, dann rechnet es unwillkürlich mit diesem Geschehen, sobald es das Geräusch hört. Es reagiert auf das Geräusch in Erwartung des Geschehens.
Müßte es dieses Geschehen fürchten — gäbe es etwa nach dem Rattern des Futterwagens stets Prügel statt Futter —, dann würde das Pferd sehr bald das Geräusch als böses Vorzeichen fürchten lernen.
Das Reizmittel, das Adams und Humber verwenden, ist Furcht. Die verdrehten Augen, der starre Blick, die Schweißausbrüche der scheinbar >gedopten< Pferde nach ihrem Sieg lassen den Schluß zu, daß sie sich in einem Zustand großer Angst befunden haben.
Bei Furcht schütten die Nebennieren vermehrt Adrenalin in den Blutkreislauf aus, und diese Adrenalinstöße setzen bekanntlich Energien frei, damit möglichst schnell auf die Situation reagiert werden kann, sei es durch Abwehr oder Flucht. In unserem Fall durch Flucht. Schnellste Flucht, in panischem Schrecken.
Den Laborberichten zufolge wiesen die den elf Pferden entnommenen Proben durchweg einen hohen Adrenalingehalt auf, der allerdings nicht signifikant erschien, da der Adrenalinausstoß von Pferd zu Pferd stark variiert und einige mehr Adrenalin produzieren als andere. Ich halte es jedoch für entscheidend, daß die Adrenalinwerte der elf Pferde einheitlich über dem Durchschnitt lagen.
Das Geräusch, mit dem ihre Furcht ausgelöst wurde, ist der hohe Ton einer sogenannten lautlosen Hundepfeife. Pferde hören eine solche Pfeife sehr gut, das menschliche Ohr dagegen kaum, so daß sie für den Zweck hervorragend geeignet ist, denn etwas akustisch Auffälligeres (etwa eine Klapper) wäre sehr bald bemerkt worden. Humber hat eine Hundepfeife in der Bar seines Bentley.
Ich weiß noch nicht genau, wie Adams und Humber den Pferden Angst einjagen, aber ich kann es mir denken.
Zwei Wochen lang habe ich ein Pferd mit dem Rufnamen Mickey (eingetragener Name: Starlamp) betreut, das der Behandlung unterzogen worden war. Und das sie nicht verkraftet hat. Mickey kam nach dreitägiger Abwesenheit mit großen, offenen Wunden an den Vorderbeinen zurück und war völlig aus dem Lot gebracht.
Nach Angabe des Futtermeisters stammten die Beinwunden von einer scharfen Einreibung. Von einem Einreibemittel war jedoch nichts zu sehen, und für mich waren es eindeutig von einer offenen Flamme herrührende Verbrennungen. Pferde fürchten Feuer mehr als alles andere, und ich halte es für wahrscheinlich, daß Adams und Humber die Erwartung des Pferdes, durch Feuer verletzt zu werden, mit dem Klang der Hundepfeife verknüpfen.
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