Humbers Pfleger stand, als wir dem Rennen zuschauten, zufällig neben mir auf der Tribüne.
«Gute Chancen?«sprach ich ihn an.
«Mit dem Vieh verplempert man nur seine Zeit«, sagte er und zog die Lippe hoch.»Ich kann’s nicht mehr sehen.«
«Oh. Vielleicht schlägt sich dein anderes Pferd ja besser«, meinte ich, als sich die Teilnehmer am Start aufstellten.
«Mein anderes Pferd?«Er lachte unfroh.»Drei andere hab ich noch, kannst du dir das vorstellen? Mir reicht’s mit dem Laden. Ende der Woche hau ich ab, Lohn hin, Lohn her.«
Plötzlich wußte ich wieder, was ich über Humber gehört hatte. Die schlechtesten Arbeitsbedingungen im Land, hatte der Junge in Bristol erzählt: Pfleger, die hungern mußten und geschlagen wurden, ein Stall, der nur noch den Ausschuß bekam.
«Lohn hin, Lohn her?«fragte ich.
«Bei denen gibt’s sechzehn Pfund statt elf die Woche«, sagte er,»aber das macht den Bock nicht fett. Ich hab die Schnauze voll von Humber. Ich hör auf.«
Das Rennen begann, und Humbers Pferd wurde Letzter. Sein Pfleger verschwand schimpfend, um es wegzuführen.
Ich lächelte, ging hinter ihm die Stufen hinunter und vergaß ihn, weil unten an der Tribüne ein ungepflegter Mann mit einem schwarzen Schnurrbart stand, den ich bei dem Cheltenhamer Tanzfest in der Bar gesehen hatte.
Ich ging langsam zum Führring hinüber, um mich wieder an die Abzäunung zu stellen, und er kam mir unauffällig nach. Er blieb neben mir stehen, schaute auf das einzige schon im Ring befindliche Pferd und meinte:»Sie sind knapp bei Kasse, wie ich höre.«
«Heute abend nicht mehr«, gab ich zurück und musterte ihn.
Er warf mir einen Blick zu.»Hm. Sind Sie sich mit Sparking Plug so sicher?«
«Bin ich«, sagte ich mit einem fiesen Grinsen. Jemand hatte ihm freundlicherweise erzählt, welches Pferd ich betreute. Er mußte sich also über mich erkundigt haben. Ich ging davon aus, daß ihm nichts Vorteilhaftes zu Ohren gekommen war.
«Hmm.«
Eine ganze Minute verstrich. Dann sagte er beiläufig:
«Haben Sie schon mal daran gedacht, woanders hinzugehen… zu einem anderen Stall?«
«Klar«, gab ich achselzuckend zu.»Wer denn nicht?«
«Gute Pfleger sind immer gefragt«, erklärte er,»und Sie sollen mit den Händen sehr geschickt sein. Mit einer Empfehlung von Inskip kommen Sie überall rein, wenn Sie warten können, bis was frei wird.«
«Wo denn?«fragte ich; aber er ließ sich nicht drängen. Nach einer weiteren Pause sagte er, noch immer im Plauderton:»Es kann sehr, ehm… lukrativ sein, für bestimmte Ställe zu arbeiten.«
«So?«
«Das heißt«, er hüstelte diskret,»wenn man bereit ist, etwas mehr zu tun, als dort verlangt wird.«
«Zum Beispiel?«
«Ach… Verschiedenes«, sagte er unbestimmt.»Je nachdem. Alles, was demjenigen nützt, der dafür Ihr Einkommen aufbessert.«
«Und der wäre?«
Ein dünnes Lächeln.»Betrachten Sie mich als seinen Stellvertreter. Also, er bietet fünf Pfund die Woche für Trainingsergebnisse und ähnliche Auskünfte sowie eine gute Prämie für gelegentliche Sonderaufgaben, die, ehm, heikler sind.«
«Klingt nicht übel«, meinte ich langsam und saugte an meiner Unterlippe.»Geht das nicht bei Inskip?«
«Nein«, sagte er.»Bei dem laufen die Pferde immer auf Sieg. In solchen Ställen brauchen wir keinen ständigen Mitarbeiter. Zur Zeit gibt es aber zwei wettfreudige Ställe, wo uns ein Mann fehlt, und da könnten wir Sie gebrauchen.«
Er nannte die Namen zweier führender Trainer, die nicht zu den dreien gehörten, bei denen ich mich ohnehin bewerben wollte. Jetzt mußte ich überlegen, ob es nicht sinnvoller war, mich in einen offenbar gut organisierten Spionagering einzuschleichen, als mich an ein ehedem gedoptes Pferd zu hängen, das mit ziemlicher Sicherheit nicht noch einmal gedopt werden würde.
«Ich denke drüber nach«, sagte ich.»Wo kann ich Sie erreichen?«
«Bis wir Sie auf der Gehaltsliste haben, gar nicht«, versetzte er.»Sparking Plug läuft im fünften, oder? Danach können Sie mir ja Bescheid geben. Sie sehen mich, wenn Sie ihn zum Stall zurückbringen. Nicken Sie, wenn Sie dabei sind, sonst schütteln Sie den Kopf. Aber so eine Gelegenheit, die läßt einer wie Sie sich nicht entgehen. «Die leise Verachtung in seinem Lächeln traf mich trotz allem.
Er wandte sich ab und ging ein paar Schritte, dann kam er noch einmal zurück.
«Soll ich denn auf Sparking Plug ordentlich was setzen?«fragte er.
«Ach na ja… ehm, an Ihrer Stelle würde ich mir das Geld sparen.«
Er blickte erst überrascht, dann argwöhnisch, dann pfiffig drein.»Also daher weht der Wind«, sagte er.»Ei, ei.«
Er lachte und sah mich an, als wäre ich unter einem Stein hervorgekrochen. Ein Mann, der seine Werkzeuge verachtete.»Ich merke schon, daß Sie uns sehr nützlich werden können. Sehr, sehr nützlich!«
Ich schaute hinter ihm her. Ich hatte ihm nicht aus Freundlichkeit davon abgeraten, auf Sparking Plug zu setzen, sondern weil ich mir nur damit sein Vertrauen erhalten konnte. Als er fünfzig Meter weg war, folgte ich ihm. Er ging schnurstracks zum Buchmacherring, schlenderte an den Ständen entlang und studierte die von den einzelnen Firmen angebotenen Quoten; offenbar wollte er aber wirklich nur eine Wette für das nächste Rennen anlegen, denn er machte keine Anstalten, jemandem von dem Ausgang unserer Unterhaltung zu berichten. Seufzend setzte ich zehn Shilling auf einen Außenseiter und ging zurück, um zu sehen, wie die Pferde auf die Bahn kamen.
Sparking Plug trank durstig zwei volle Eimer Wasser, stolperte über das vorletzte Hindernis und trabte, begleitet von Buhrufen aus den billigen Rängen, müde hinter den sieben anderen Startern durchs Ziel. Er tat mir leid. Widerwärtig, ein stolzes Pferd so zu behandeln.
Der Ungepflegte mit dem schwarzen Schnurrbart stand bereit, als ich das Pferd zu den Stallungen führte. Ich nickte ihm zu, und er grinste bedeutsam.
«Sie hören von mir«, sagte er.
Auf der Heimfahrt im Transporter und am nächsten Tag zu Hause war die Stimmung gedrückt wegen Sparking Plugs unerklärlicher Niederlage, und am Dienstag abend ging ich allein nach Slaw, wo mir Soupy die zweiten fünfundsiebzig Pfund gab. Ich sah sie mir an. Wieder fünfzehn neue Fünfer, ihre Nummern schlossen an die ersten fünfzehn an.
«Danke«, sagte ich.»Und was springt für dich dabei raus?«
Soupys wulstige Lippen kräuselten sich.»Genug. Ihr Knaller habt das Risiko, ich kriege einen Anteil dafür, daß ich euch an Land ziehe. Ist doch in Ordnung, oder?«
«Klar. Und wie oft ziehst du das so durch?«Ich steckte das Kuvert mit dem Geld ein.
Er zuckte die Achseln, machte ein selbstzufriedenes Gesicht.»Typen wie dich erkenne ich auf zwei Kilometer. Inskip scheint doch nachzulassen. Das erste Mal, daß bei dem so ein falscher Fuffziger landet. Aber die Dartturnie-re, die bringen’s. Ich bin gut, verstehst du? Immer in der Mannschaft. Und in Yorkshire gibt es viele Ställe… und immer wieder geschlagene Favoriten, die den Leuten ein Rätsel sind.«
«Du bist wirklich clever«, sagte ich.
Er lächelte. Das fand er auch.
Auf dem Heimweg nahm ich mir vor, unter dem explosiven Herrn TNT eine Lunte anzuzünden.
Nach dem Angebot des Mannes mit dem schwarzen Schnurrbart beschloß ich, Becketts Manuskript noch einmal im Hinblick darauf durchzulesen, ob die elf Dopingfälle auf systematische Spionage zurückgehen konnten. Ein neuer Ansatz bringt vielleicht neue Ergebnisse, dachte ich, und um so besser kann ich entscheiden, ob ich den Spionageauftrag sausenlasse und statt dessen wie geplant in einen durch Doping aufgefallenen Rennstall gehe.
Im Bad eingeschlossen, begann ich wieder auf Seite 1. Auf Seite 67, im ersten Teil der Lebensgeschichte des fünften Pferdes, las ich:»Auf der Auktion in Ascot von D. L. Mentiff, York, für 420 Guineen gekauft; für 500 Pfund weiterverkauft an H. Humber, Posset, County Durham, blieb dort drei Monate, lief zwei Maidenrennen, ohne sich zu plazieren; weiterverkauft in Doncaster für 600 Guineen an N. W. Davies, Leeds, der ihn von L. Peterson in Mars Edge, Staffordshire, trainieren ließ; blieb dort achtzehn Monate, lief vier Maidenrennen, fünf Sieglosenrennen, ohne sich zu plazieren. Liste der Rennen siehe unten.«
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