Er schüttelte den Kopf, blieb aber.
Zu seiner Erleichterung und meinem Bedauern mußten die beiden Mädchen in Hamar aussteigen. Einen Abschiedsgruß kichernd und sich immer wieder nach uns umdrehend, gingen sie davon. Niemand stieg zu und nahm die frei gewordenen Plätze ein, aber nachdem der Zug angefahren war, stand mein ältlicher Freund auf und kam zu uns.
«Darf ich mich wohl zu Ihnen setzen?«fragte er.»Es ist so interessant, sich über England zu unterhalten.«
Das war zuviel für Arne. Er erhob sich abrupt und verschwand eiligst im nächsten Wagen. Hinter ihm knallte die Tür zu.
«Habe ich Ihren Freund verstimmt?«erkundigte sich der ältere Herr besorgt.»Das täte mir leid.«
«Er hat Probleme«, erwiderte ich.»Aber für die können Sie nichts.«
Erleichtert ließ mein Gegenüber daraufhin weitere Erinnerungen vom Stapel, die mich zu Tode langweilten, aber möglicherweise am Leben erhielten. Er saß noch immer da und redete ohne Punkt und Komma, als wir in den Bahnhof von Oslo einfuhren. Und auf dem Bahnsteig stand, wie versprochen, Erik. Er hatte Odin neben sich und hielt besorgt nach mir Ausschau.
Es blieb nicht mehr viel Zeit. Wenn sie jetzt noch einen Versuch machen wollten, dann mußten sie es ganz offen tun.
Ich stieg aus dem Zug und drehte mich zu Erik um. Und da, zwischen uns, standen die beiden Männer, die ich am wenigsten zu sehen wünschte, und wirkten so entschlossen, daß einem ganz schlecht werden konnte.
Es kam nicht zum Kampf.
Erik sah sie im gleichen Augenblick wie ich und schrie so laut er konnte:»Polizei!«
Alle Leute in Hörweite blieben stehen, um zu sehen, was da los war.
«Polizei!«schrie Erik noch einmal, wobei er jetzt auf Gelbauge und Braunauge zeigte.»Das sind Diebe! Holt die Polizei!«Und er wiederholte alles auf norwegisch, auch das sehr laut.
Dem hielten ihre Nerven nicht stand. Sie warfen einen Blick auf den größer werdenden Kreis von Menschen, die sie mit aufgerissenen Augen anstarrten, und stürzten dann in Richtung Ausgang davon. Niemand unternahm einen ernsthaften Versuch, sie aufzuhalten — auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich vor allem Erstaunen ab.
Erik trat zu mir und schüttelte mir überschwenglich die Hand.
«Habe nur Ihre Theorie in die Praxis umgesetzt«, sagte er.
Ich sah ihn verständnislos an.
Er erklärte es mir.»Knut hat mir gesagt, Sie glaubten nicht, daß die sie umbringen würden, solange Leute dabei zuschauen. Deshalb habe ich einfach ein paar Zuschauer zusammengetrommelt.«
«Danke.«
«Sagen wir, wir sind quitt«, meinte er grinsend und tätschelte Odin.
Ich entdeckte, daß meine Handflächen feucht geworden waren und daß ich am ganzen Leibe zitterte.
«Ich brauche ein Telefon«, sagte ich.
«Sie brauchen einen starken Schnaps.«
«Den auch.«
Ich rief Knut an.»Ich bin wieder da und auf dem Bahnhof«, teilte ich ihm mit.
«Gott sei Dank.«
«Hat es geklappt?«fragte ich einigermaßen gespannt, denn schließlich hatte ich sieben nervenaufreibende Stunden lang Kopf und Kragen riskiert, und nach so etwas ist niemand mehr in der Lage, gänzlich objektiv zu sein.
«Ja«, sagte er, aber seine Stimme hatte einen merkwürdig reservierten Unterton.»Zumindest. ja.«
«Was ist los?«
«Sie kommen besser zu mir aufs Revier. Da läßt sich alles leichter erklären.«
«Gut.«
Ich trat aus der Zelle und wäre fast über Odin gestolpert, der vor der Tür lag wie ein mittelalterlicher Schildknappe. Er warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, stand lässig auf und gähnte.
Ich fragte Erik:»Haben Sie Arne Kristiansen irgendwo gesehen?«
«Wen?«
Ich sah mich vergeblich nach Arne um.»Na, ist egal. Er wird nach Hause gegangen sein.«
In der hereinbrechenden Dunkelheit fuhr Erik gemächlich (nur ein Fast-Zusammenstoß) zum Polizeigebäude, wo ich nach oben ging und Knut allein und auf einem Bleistift herumkauend vorfand. Er wies auf den Besucherstuhl und brachte nur die Andeutung eines Lächelns zustande.
«Tja. wir haben uns an alle Ihre Vorschläge gehalten«, sagte er.»Wir haben diese Graphik in Fornebu in ein Schließfach getan und den Schlüssel lose in den Sturzhelm gesteckt, der in
Ihrem Zimmer im Grand Hotel liegt. Wir haben alle Oberflächen mit Anthracen eingesprüht, die ein Eindringling aller Voraussicht nach mit den Händen berühren würde, und haben dann in Fornebu gewartet, ob dort jemand auftauchen würde.«
Er fuhr mit dem Bleistift über seine Zähne, was ein klapperndes Geräusch machte.
«Es ist auch wirklich jemand gekommen.«
«Wer?«
Er seufzte.»Sehen Sie lieber selbst.«
Wir verließen sein ärmliches Büro und gingen einen teppichlosen Korridor hinunter. Vor einer cremefarben gestrichenen Tür blieb er stehen. Durch ein Glasfensterchen, das in Augenhöhe in die Holztür eingelassen war, fiel helles Licht.
«Schauen Sie hinein«, sagte Knut.
Ich sah hinein.
Der Raum war klein und kahl, enthielt nur einen einfachen Tisch und drei Stühle. Auf einem dieser Stühle saß ein junger, unerschütterlich aussehender Polizeibeamter in Uniform. Und auf einem anderen saß rauchend und so ruhig, als befände er sich im Sitzungssaal seiner Firma, Per Bj0rn Sandvik.
Ich trat von dem kleinen Fensterchen zurück und starrte Knut an.
«Kommen Sie wieder in mein Büro«, sagte er.
Wir gingen zurück und setzten uns wieder auf unsere alten Plätze.
«Er kam nach Fornebu heraus und schloß das Fach auf«, berichtete Knut.»Das war«- er zog einen Notizblock zu Rate —»genau um vierzehn Uhr fünfunddreißig. Er nahm das Papier aus dem Schließfach und steckte es in eine seiner Innentaschen. Ich und zwei meiner Beamten vertraten ihm den Weg, als er von den Schließfächern fortgehen wollte, und baten ihn, uns aufs
Revier zu begleiten. Er schien überrascht zu sein, aber nicht. nicht wirklich beunruhigt. Ich habe schon so viele Leute festgenommen. Per Bj0rn Sandvik verhielt sich nicht wie jemand, der sich etwas hat zuschulden kommen lassen.«
Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase.
«Ich werde aus ihm nicht schlau, David. Er zuckte bloß die Achseln und meinte, wenn wir es wünschten, käme er gerne mit, aber sonst hat er auf dem ganzen Weg hierher fast keinen Ton mehr von sich gegeben. Er war vollkommen ruhig. Kein Anzeichen von Streß. Nicht das geringste. Er ist jetzt schon seit anderthalb Stunden hier und war die ganze Zeit äußerst höflich und gelassen.«
«Welche Erklärung hatte er?«
«Wir gingen ins Vernehmungszimmer und setzten uns. Es war noch ein Beamter dabei, der Notizen machen sollte. Mr. Sandvik bot mir eine Zigarette an. Er sagte, er habe nur versucht, uns bei der Aufklärung des Todes von Bob Sherman behilflich zu sein. Er sagte, Arne Kristiansen habe ihn angerufen und ihm gesagt, Sie hätten einen Schlüssel gefunden, der zu wertvollen Informationen führen könnte, weshalb er ins Grand Hotel gefahren sei, um den Schlüssel zu holen. Er habe gleich gesehen, daß er vom Flughafen Fornebu stammte, da er die Schließfächer dort schon häufig benutzt hätte. Dann sei er zum Flughafen hinausgefahren. um nachzusehen, was von Bob Sherman dort hinterlegt worden war. Er sagte, er habe gedacht, es könnte sich um das fehlende Geld handeln, aber es sei nur ein Papier gewesen. Er habe nicht mehr als einen kurzen Blick darauf werfen können, weil wir ihn dann angesprochen hätten.«
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