«Ich hasse ihn«, sagte Tessa so heftig, daß sie einen scharfen Blick von ihrem Vater einfing.
«Wieso das denn?«fragte er.
Sie zuckte die Achseln und verweigerte ihm mit zusammengepreßten Lippen die Antwort. Mit siebzehn, voll unausgesprochener Ressentiments, war sie eines jener Kinder, denen es nie an etwas gefehlt hat, die sich aber nicht damit zufriedengeben können, vom Leben begünstigt zu sein. Sie war ein Aas, nicht nur eine Ohrenbläserin, und mochte mich so wenig wie ich sie.
Ed, ihr Bruder, sechzehn und ziemlich dumm, sagte:»Jericho Rich wollte Sex mit Tessa, aber sie wollte nicht, und deshalb hat er seine Pferde weggeholt.«
Ein oscarreifer Gesprächskiller, und in die atemlose, entgeisterte Stille hinein klingelte es an der Haustür.
Wachtmeister Sandy war gekommen. Entschuldigend sagte er zu Michael, er müsse Dr. Farway und auch Freddie Croft sprechen.
«Was ist passiert?«fragte Michael.
Sandy sagte es Michael, Bruce Farway und mir vertraulich in der Eingangshalle.
«Ihr Mechaniker, Freddie. Dieser Jogger. Er ist gerade drüben auf Ihrem Hof gefunden worden. Er liegt in der Schmiergrube. Und er ist tot.«
Joggers Genick war gebrochen.
Wir schauten auf ihn herunter, auf den unnatürlichen Neigungswinkel seines Kopfes.
«Er muß hineingefallen sein«, sagte Farway, als stellte er eine Tatsache fest.
Von der anderen Seite der Grube sah mich Harve an, der offenbar genau wie ich dachte, daß Jogger sturzbetrunken hätte sein müssen, um aus Versehen in eine Schmiergrube zu fallen, und selbst dann wäre ich noch jede Wette eingegangen, daß seine Reflexe ihn davor bewahrt hätten.
Als habe er den Gedanken oder zumindest den ersten Teil davon aufgeschnappt, seufzte Sandy Smith:»Er hatte echt geladen gestern abend im Pub. Die ganze Zeit schwadroniert von Kuckuckseiern unter den Lastern. Ufos und so Sachen. Ich hab ihm die Wagenschlüssel abgenommen und ihn zum Schluß heimgebracht. Sonst hätte ich ihn wegen Trunkenheit am Steuer festnehmen müssen.«
Bruce Farway fragte ihn wichtig:»Haben Sie schon seine Frau verständigt?«
«Unverheiratet«, sagte Sandy.
«Keine Angehörigen«, ergänzte ich.»Ich frage immer alle meine Angestellten nach ihren nächsten Angehörigen und schreibe sie mir auf, doch Jogger sagte, er hätte keine.«
Farway zuckte die Achseln, kletterte die an der Grubenwand verschraubte Metalleiter hinunter, beugte sich fach-
männisch über den gekrümmten Körper und berührte kurz den verdrehten Hals. Dann richtete er sich auf, nickte und teilte mir in fast anklagendem Ton mit:»Ja, der ist auch tot. «Damit wollte er wohl sagen, zwei Leichen innerhalb von vier Tagen auf meinem Grundstück seien verdächtig viel.
Michael Watermead, der das Ende seiner Einladung nicht abgewartet und mich zum Unglücksort begleitet hatte, fragte neugierig:»Wer denn noch?«
«Der Anhalter«, sagte ich.»Am Donnerstag.«
«Ach ja. Natürlich. Hab ich ganz vergessen. Auf der Rückfahrt nach dem Transport von Jerichos Zweijährigen. «Beim Gedanken an Jericho verfinsterte sich sein Patriziergesicht; die erschreckend beiläufige Enthüllung seines Sohnes Ed war noch unverdaut, unverarbeitet.
Daß Michael jetzt hier in meiner Scheune war, verdankte ich vermutlich einer Mischung aus schlichter morbider Neugier, freundschaftlicher Anteilnahme und einem verschwommenen Gefühl von Verantwortung für die Mitbürger, das sich auf das englische Leben auf dem Dorf traditionsgemäß so wohltuend auswirkte. Jedenfalls brachte er eine ruhige Autorität in das Geschehen ein, die Harve, Sandy und mir vielleicht abging.
«Wie lange ist er schon tot?«fragte ich.»Ich meine… Stunden? Seit gestern abend?«
Bruce Farway sagte zögernd:»Er ist ziemlich kalt, aber ich würde sagen, erst seit dem späten Vormittag.«
Wir alle sahen ein, daß eine genauere Schätzung zu diesem Zeitpunkt unmöglich war. Die Grube selbst und die Luft waren ebenfalls kalt. Der Arzt kam die Leiter herauf und meinte, dann müßten er und Sandy wohl wieder den Transport für die letzte Reise bestellen.
«Wie ist es mit Fotos?«sagte ich.»Ich habe eine Kamera im Büro.«
Der Vorschlag fand einhellige, feierliche Zustimmung. Ich ging über den Hof, schloß das Büro auf, holte meine Nikon und kehrte zur Scheune zurück. Alle standen noch wie vorher um die Grube und sahen mit ausdruckslosen Gesichtern auf Jogger nieder.
Das Licht, das durch ein Fenster zum Hof in die Scheune drang, hatte nie gereicht und mußte immer durch elektrisches Licht ergänzt werden. Obwohl die Deckenbeleuchtung brannte, machte ich die Aufnahmen zur Sicherheit mit Blitz, erst vom Rand aus, dann unten in der Grube, neben meinem armen Mechaniker.
Ich faßte ihn nicht an, auch wenn ich mich dicht über ihn beugte, um seinen Kopf abzulichten. Er lag in dem Winkel zwischen Boden und Wand; rauhe, fettverschmierte Betonwandung, ölgeschwärzter Boden. Es sah aus, als schaute er auf die Wand fünfzehn Zentimeter vor seiner Nase, denn die Augen waren, wie bei so vielen plötzlich Verstorbenen, noch geöffnet. Man sah die gelben Zähne in zwei ungleichmäßigen Reihen in seinem Mund. Er trug den alten Armeepullover, die schmutzstarrende Hose, die rissigen alten Schuhe. Erstaunlicherweise roch er immer noch nach Öl und Staub; nach Erde, nicht nach Tod.
Die Grube war anderthalb Meter tief. Als ich mich aufrichtete, waren meine Augen ungefähr auf einer Höhe mit den Fußgelenken von Sandy, Harve und Michael. Bruce Farway war hinter mir. Eine Schrecksekunde lang warnte ein primitiver Instinkt mich davor, mein Genick so aus einem Loch im Boden herausstehen zu lassen, und ich drehte mich rasch um, sah Farway aber harmlos in ein Notizbuch schreiben und kam mir albern vor.
Ich zog mich die Leiter hinauf, stieg aus der Grube und fragte Harve, wieso er Jogger gefunden habe.
Harve zuckte die Achseln.»Ich weiß es nicht. Ich bin einfach so um den Hof gegangen, wie ich es oft mache. Die Transporter, die heute eingesetzt sind, waren alle weg. Die hatte ich vor der Abfahrt noch kontrolliert. Um mir die Zeit bis zum Mittagessen zu vertreiben, bin ich dann eben noch mal herumgegangen.«
Ich nickte. Harve war immer gern auf den Beinen und in Bewegung.
«Dabei fiel mir auf, daß in der Scheune Licht brannte«, sagte er,»und ich bin rüber, weil ich dachte, wir könnten ein bißchen Strom sparen, denn ich hatte vorher niemand reingehen sehen. Da lag auch nichts an. Ich habe mir keine Gedanken gemacht oder so, ich bin nur her, um nachzusehen und, wie gesagt, um das Licht auszuschalten. «Er schwieg.»Fragen Sie mich nicht, wieso ich bis zur Grube gegangen bin. Ich weiß es nicht. Ich bin einfach hin.«
Die Grube lag ziemlich weit hinten in der Scheune, gerade um zu verhindern, daß Leute aus Versehen hineintappten. Durch eine breite Schiebetür am einen Ende der Scheune konnten die Transporter direkt herangefahren und über die Grube gestellt werden. Die kleine Tür an der Hofseite führte in einen allgemeinen Werkstattbereich mit einem großen, verschlossenen Geräteraum in der einen Ek-ke.
Ich sagte:»Glauben Sie, Jogger hat die ganze Zeit hier gelegen, während die Fahrer zur Arbeit gekommen und losgefahren sind?«
Harve sagte bekümmert:»Ich weiß es nicht. Kann schon sein. Ganz schön grausig, was?«
«Die Obduktion wird es zeigen, nicht wahr, Bruce?«sagte Michael, und Bruce, dem es schmeichelte, daß Michael ihn beim Vornamen nannte, war auch der Meinung, man könne mit Spekulationen ruhig bis dahin warten.
Michael fing den ironischen Blick auf, den ich ihm zuwarf, und zwinkerte fast. Die Eroberung des Doktors ging offensichtlich gut voran.
Farway und Sandy griffen zu ihren Funktelefonen und riefen Verstärkung herbei. Michael fragte, ob er den Apparat in meinem Büro benutzen dürfte. Bitte sehr, sagte ich, es ist offen. Er ging gleich los, und als Harve und ich nervös und verunsichert hinzukamen, sagte er gerade:»Kann einem leid tun, der arme Freddie«, in Isobels Telefon, das erste, auf das er gestoßen war, und:»Ach, zweifellos ein Unfall. Muß jetzt Schluß machen. Bis dann.«
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