«Natürlich nicht. Aber…«
«Er hat mich neulich abend angerufen. Können Sie sich das vorstellen? Im Fernsehen ist diese Stimme ja schon weich wie Seide, aber am Telefon ist sie regelrecht verführerisch. Verstehen Sie, was ich meine?«
«Ja, ich denke schon. Weshalb hat er Sie angerufen?«
«Also, vorigen Monat, als ich ihm meine Spende für März schickte, habe ich ihm ein paar Zeilen geschrieben, gesagt, ich dächte daran, mein Testament zu ändern, weil meine Kinder mich im Stich gelassen haben und all das, und daß ich vorhätte, ihm etwas Geld für seine Arbeit zu hinterlassen. Keine drei Tage später hat er angerufen, eine so überzeugende Persönlichkeit, so nett und reizend am Telefon, und wollte wissen, an welche Summe ich gedacht hätte. Ich sagte ihm, wieviel es vermutlich sein würde, und seither ruft er ständig an. Hat gesagt, wenn ich es wollte, würde er sogar in seinen eigenen Learjet steigen und mich besuchen.«
Ich kämpfe um Worte. Smoot hat Bosco am Arm und versucht, ihn zu beruhigen und dazu zu bringen, daß er sich wieder vor N. Elizabeth Erickson niederläßt, von deren üblicher Aggressivität nichts übriggeblieben zu sein scheint, weil ihr erster Mandant sie offensichtlich so in Verlegenheit gebracht hat, daß sie am liebsten unter den Tisch kriechen würde. Sie sieht sich nervös um, und ich grinse sie kurz an, damit sie weiß, daß ich sie beobachte. Neben ihr ist F. Franklin Donaldson der Vierte tief in die Beratung eines älteren Ehepaars versunken. Sie diskutieren über ein Dokument, das gleichfalls ein Testament zu sein scheint. Ich sonne mich in dem Wissen, daß das Testament, das ich in Händen halte, viel mehr wert ist als das, über das er sich den Kopf zerbricht.
Ich beschließe, das Thema zu wechseln.»Äh, Miss Birdie, Sie haben gesagt, Sie hätten zwei Kinder. Randolph und…«
«Ja, Delbert. Der bekommt auch nichts. Ich habe seit Jahren nichts von ihm gehört. Lebt in Florida. Streichen, streichen, streichen.«
Ich fahre mit meinem Stift übers Papier, und Delbert verliert seine Millionen.
«Ich muß mich um Bosco kümmern«, sagt sie plötzlich und springt auf.»Er ist so ein bedauernswerter kleiner Bursche. Keine Angehörigen, keine Freunde außer uns.«
«Wir sind noch nicht fertig«, sage ich.
Sie beugt sich wieder vor, und wieder sind unsere Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt.»Doch, das sind wir, Rudy. Tun Sie einfach, was ich gesagt habe. Jeweils eine Million für die vier, und der Rest an Reverend Chandler. Alles andere bleibt so, wie es ist: Vollstrecker, Treuhänder und so weiter, all das bleibt, wie es ist. Es ist ganz einfach, Rudy. Ich mache das andauernd. Professor Smoot hat gesagt, ihr kommt alle in vierzehn Tagen wieder, und dann ist alles sauber und ordentlich zu Papier gebracht. Stimmt das?«
«Vermutlich.«
«Gut. Also bis dann, Rudy. «Sie flattert ans Ende des Tisches und legt die Arme um Bosco, der sofort wieder ruhig und harmlos ist.
Ich studiere das Testament und mache mir Notizen. Es ist beruhigend, zu wissen, daß Smoot und die anderen Professoren da sind, um mir zu helfen und mich zu beraten, und daß ich zwei Wochen Zeit habe, meinen Verstand zusammenzunehmen und mir zu überlegen, was zu tun ist. Ich brauche das nicht zu machen, sage ich mir. Diese reizende alte Dame mit ihren zwanzig Millionen braucht mehr Rat, als ich ihr geben kann. Sie braucht ein Testament, das sie vielleicht nicht verstehen kann, mit dem sich aber die Steuerbehörde ganz sicher eingehend beschäftigen wird. Ich komme mir nicht dumm vor, nur zu unerfahren. Nach drei Jahren Jurastudium ist mir deutlich bewußt, wie wenig ich weiß.
Bookers Mandant ringt inzwischen tapfer um Fassung, sein Anwalt weiß schon lange nicht mehr, was er noch sagen soll. Also macht Booker sich immer weiter Notizen und grummelt alle paar Sekunden ein Ja oder Nein. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm von Miss Birdie und ihrem Vermögen zu erzählen.
Ich werfe einen Blick auf die schrumpfende Menge, und in der zweiten Reihe fällt mir ein Paar auf, das mich anzuschauen scheint. Im Moment bin ich der einzige verfügbare Anwalt, und sie sind offenbar unentschlossen, ob sie ihr Glück bei mir versuchen sollen. Die Frau hat einen dicken, mit Gummibändern zusammengehaltenen Packen Papiere in der Hand. Sie murmelt etwas, das ich nicht verstehen kann, und ihr Mann schüttelt den Kopf, als würde er lieber warten, bis einer der anderen intelligenten jungen Staranwälte verfügbar ist.
Langsam stehen sie auf und steuern auf mein Ende des Tisches zu. Beide mustern mich intensiv, während sie näher kommen. Ich lächele. Willkommen in meiner Kanzlei.
Sie nimmt Miss Birdies Stuhl. Er läßt sich an der anderen Seite des Tisches nieder und wahrt Abstand.
«Hallo«, sage ich mit einem Lächeln und ausgestreckter Hand. Er ergreift sie schlaff, dann halte ich sie ihr hin.»Ich bin Rudy Baylor.«
«Ich bin Dot, und das ist Buddy«, sagt sie, nickt in Richtung Buddy und ignoriert meine ausgestreckte Hand.
«Dot und Buddy«, wiederhole ich und fange an, mir Notizen zu machen.»Wie ist Ihr Nachname?«frage ich mit der ganzen Herzlichkeit eines sturmerprobten Anwalts.
«Black. Dot und Buddy Black. Eigentlich heißen wir Marva-rine und Willis Black, aber alle nennen uns Dot und Buddy. «Dots Haar ist ganz krisselig von zahllosen Dauerwellen und an den Spitzen silbrig angehaucht. Er macht einen sauberen Eindruck. Sie trägt billige weiße Turnschuhe, braune Socken und zu weite Jeans. Sie ist eine magere, drahtige Frau mit einem scharfen Zug um den Mund.
«Adresse?«frage ich.
«Squire achthundertdreiundsechzig, in Granger.«
«Arbeiten Sie?«
Buddy hat den Mund noch nicht aufgemacht, und ich bekomme den Eindruck, daß Dot seit vielen Jahren das Reden besorgt.»Ich bekomme eine Invalidenrente von der Sozialversicherung«, sagt sie.
«Ich bin erst achtundfünfzig, aber ich habe ein schwaches Herz. Buddy hat eine Pension, eine kleine.«
Buddy sieht mich an. Er trägt eine Brille mit dicken Gläsern und Plastikbügeln, die kaum bis hinter seine Ohren reichen. Seine Wangen sind rot und feist. Sein Haar ist buschig und grau mit einem Anflug ins Bräunliche. Offenbar hat er es seit mindestens einer Woche nicht mehr gewaschen. Sein Hemd ist schwarz und rot kariert und noch schmutziger als sein Haar.
«Wie alt ist Mr. Black?«frage ich sie, weil ich nicht sicher bin, ob Mr. Black es mir sagen würde, wenn ich ihn fragte.
«Er ist Buddy, okay? Dot und Buddy. Lassen Sie diesen Mister-Kram, okay? Er ist zweiundsechzig. Darf ich Ihnen etwas sagen?«
Ich nicke schnell. Buddy betrachtet Booker auf der anderen Seite des Tisches.
«Er ist nicht richtig im Kopf«, flüstert sie mit einem leichten Nicken in Buddys Richtung. Ich sehe ihn an. Er sieht uns an.
«Kriegsverletzung«, sagt sie.»Korea. Kennen Sie diese Metalldetektoren am Flughafen?«
Ich nicke abermals.
«Nun, er könnte da splitternackt hindurchgehen, und das Ding würde trotzdem losheulen.«
Die Knöpfe an Buddys Hemd sehen aus, als würden sie jeden Moment abplatzen. Es ist fast bis zur Fadenscheinigkeit gedehnt, in dem verzweifelten Versuch, seinen vorstehenden Bauch zu bedecken. Buddy hat mindestens drei Kinne. Ich versuche ihn mir vorzustellen, wie er durch den Memphis International Airport geht und die Alarmsirenen schrillen und das Wachpersonal in Panik gerät.
«Hat eine Platte im Kopf«, setzt sie erklärend hinzu.
«Das — das ist ja furchtbar«, flüstere ich zurück, dann notiere ich auf meinen Block, daß Mr. Buddy Black eine Metallplatte im Kopf hat. Mr. Black dreht sich nach links und starrt auf Bookers ungefähr einen Meter von ihm entfernten Mandanten.
Plötzlich kippt sie vorwärts.»Noch etwas«, sagt sie.
Ich neige mich ihr erwartungsvoll entgegen.»Ja?«
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