»Ja. Ich nahm den Peugeot und fuhr zu der Scheune in Huyton’s End, um Henry abzuholen. Er hat ein Büro ...« Sie brach plötzlich ab und setzte hinzu: »Hören Sie, wäre es nicht viel besser, wenn Sie mit uns beiden zusammen sprechen würden? Wir trinken um diese Zeit immer unseren Kaffee im Salon. Sie sind herzlich eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten.«
Barnaby lehnte den Kaffee ab, hielt jedoch ihren Vorschlag für vernünftig.
»Komm doch auch mit, David.« Diesmal schenkte sie dem Mann am Tisch ein Lächeln. Alle drei folgten ihr durch die Halle und einen mit Teppich ausgelegten Korridor - ihre Rückenansicht war beinahe ebenso betörend wie der Anblick von vorn. An der einen Wand des Flurs hingen goldgerahmte Ölgemälde von den Vorfahren der Familie Trace, die andere schmückten zarte Aquarelle, die Barnaby mit einem fachmännischen, neidvollen Blick betrachtete. Am Ende des Korridors führte eine Glastür zu einer Orangerie mit kunstvollen weißen Eisengittern. Durch die Scheibe sah Barnaby gepflegte Rasenflächen, beschnittene Bäume und Sträucher und einen glitzernden Springbrunnen. Er hätte gern gewußt, ob es hier auch Pfaue gab.
»Abgesehen von Henry«, sagte Katherine über die Schulter, »wohnt zur Zeit nur noch Phyllis Cadell, seine Schwägerin, in diesem Haus. Ihr Zimmer ist oben.« Sie öffnete die Tür zu ihrer Rechten.
Sie kamen in einen großen Salon. Die Wände waren in Apricot und Weiß gehalten, üppige Perserteppiche lagen auf dem glänzenden, honigfarbenen Parkettboden. Die Decke zierten vergoldete Stuckornamente. Am anderen Ende des Zimmers saß ein Mann im Rollstuhl neben einem prachtvollen offenen Kamin, in dem weiße und silberne Blumen und Blätter lagen. Die Beine des Mannes waren mit einem Reiseplaid bedeckt. Er hatte ein ernstes, fast strenges Gesicht mit tiefen Falten, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln verliefen. Sein dunkles Haar war mit grauen Strähnen durchzogen, und die Schultern hatte er leicht nach vorn geneigt. Barnaby war später sehr überrascht, als er erfuhr, daß Henry Trace erst zweiundvierzig Jahre alt war. Jetzt überlegte er, ob es reine Gedankenlosigkeit war, daß sich David Whiteley direkt neben seinen Arbeitgeber setzte. Es hätte kaum einen erbarmungsloseren Kontrast geben können. Seine starken, beweglichen Glieder sprengten fast die Nähte der Cordhose und des karierten Hemdes. Ein Marlborough-Mann, spottete Troy im stillen. Katherine erklärte, warum die Polizei im Haus war, dann ließ sie sich auf dem Schemel neben dem Rollstuhl nieder und nahm Traces Hand.
»Eine schreckliche Geschichte«, sagte er, »aber sicherlich liegt in diesem Fall kein Verbrechen vor, oder?«
»Wir stellen lediglich einige Nachforschungen an, Sir.«
»Ich kann nicht glauben, daß ihr irgend jemand ein Leid antun wollte«, fuhr Trace fort, »sie war der freundlichste, netteste Mensch, den man sich denken kann.«
Troy, der seinen Block aufschlug, fiel auf, daß er nicht erklärte, Miss Simpson habe seine Mum unterrichtet. Wahrscheinlich war sie in einer Privatschule - wie üblich in diesen Kreisen.
»Ich habe sie sogar noch an dem Tag, an dem sie starb, gesehen«, sagte Katherine ohne den sensationslüsternen Unterton, der meistens mit einer solchen Bemerkung einherging.
»Wann war das?« hakte Barnaby nach und warf einen Blick auf Troy, der mit seinem Stift einen Bogen zeichnete, um seine Bereitschaft zu signalisieren.
»Am Morgen. Ich weiß nicht mehr genau, um welche Zeit ich bei ihr war. Sie hat mir versprochen, Honig für den Stand zu spenden. Sie gab mir auch ein bißchen Petersilienwein mit. Sie war immer sehr großzügig.«
»Und haben Sie sie bei dieser Gelegenheit zum letztenmal gesehen?« Katherine nickte. »Um wieder auf den Nachmittag zu sprechen zu kommen - Sie haben also die Gemeindehalle etwa um vier Uhr verlassen, sind in den Peugeot gestiegen ...?«
»Und fuhr zu Henrys Büro. Ich holte ihn ab, und wir kamen hierher zurück, aßen zu Abend und verbrachten den Abend mit einem Streit über ...«
»Mit einer Diskussion.«
Sie drehte den Kopf und sah ihn schelmisch an. »Mit einer Diskussion über einen neuen Rosengarten. Ich ging etwa um halb elf.«
»Dann wohnen Sie also nicht hier im Haus, Miss Lacey?«
»Erst ab Samstag. Dann sind wir verheiratet.« Sie wechselte einen Blick mit dem Mann im Rollstuhl. Ihr Ausdruck war liebevoll, während sein Gesicht nicht nur Bewunderung, sondern auch Triumph verriet - den Triumph eines Sammlers, der eine seltene, schöne Spezies entdeckt hatte und sie trotz widriger Umstände für sich gewinnen konnte. Wenn man das Geld hat, dachte Troy, kann man alles kaufen.
»Ich wohne in einem Cottage am Rand des Buchenwalds. Es liegt relativ weitab vom Dorf.« Ein Schatten trübte ihre Augen, als sie so leise, daß Barnaby sie kaum verstand, hinzufügte: »Mein Bruder Michael lebt auch dort.« Auf Barnabys Bitte hin beschrieb sie genau, wo sich das Cottage befand, und fuhr fort: »Aber im Moment werden Sie Michael dort nicht antreffen. Er ist in Causton, um ein paar Pinsel zu kaufen.« Diese harmlose Information, die sie freiwillig weitergegeben hatte, schien ihr Unbehagen zu bereiten, sie preßte die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Trace tätschelte sanft ihren Kopf, als müßte er ein gereiztes Tier besänftigen.
»Sind Sie auf dem Heimweg an Miss Simpsons Haus vorbeigekommen?«
»Ja.«
»Haben Sie jemanden gesehen? Oder irgend etwas gehört oder bemerkt?«
»Nein, leider.«
»Brannte Licht? Waren die Vorhänge zugezogen?«
»Tut mir leid - ich erinnere mich an nichts.«
»Ich danke Ihnen.« Barnaby wandte sich an Henry Trace. Die Fragen an ihn waren seiner Ansicht nach eine reine Formalität, dennoch wäre es ihm rüde vorgekommen, sie nicht zu stellen. Vielleicht hätte Trace mit dem Rollstuhl zu Miss Simpsons Cottage fahren und sie vergiften können (dann hätte seine Verlobte in bezug auf den gemeinsam verbrachten Abend gelogen), doch es wäre ihm wohl kaum möglich gewesen, sich im Wald zu vergnügen - selbst wenn man in Betracht ziehen würde, daß ein Mann, der kurz vor der Hochzeit mit Katherine Lacey stand, verrückt genug war, ein solches Abenteuer zu suchen. Im Wald waren keine Reifen oder Radspuren gefunden worden. Barnaby nahm an, daß Trace wirklich gelähmt war. Wahrscheinlich kam es nur in Filmen vor, daß sich starke, gesunde Menschen in einem Rollstuhl versteckten, um im entscheidenden Moment aufzuspringen und das perfekte Verbrechen zu begehen.
»Bestätigen Sie Miss Laceys Aussage, was Ihre gemeinsamen Unternehmungen an diesem Tag betrifft, Mr. Trace?« Er hörte, wie Troy eine Seite in seinem Block weiter blätterte.
»Ja.«
»Und waren andere Leute in der Nähe, als Sie sich in Ihrem Büro aufhielten?«
»O ja. Die Traktoren stehen im Hof, die Düngemittel und alle möglichen Geräte lagern in den Nebengebäuden. Dort ist immer sehr viel los, es ist der belebteste Platz auf der Farm.«
»Wie groß ist Ihre Farm?«
»Zweihundert Hektar.«
Sergeant Troys Stift bohrte sich in das Papier.
»Würden Sie mir den Namen Ihres Arztes nennen?«
»Meines Arztes?« Henry Trace schaute Barnaby verwirrt an, dann schien er zu begreifen. »Oh - ich verstehe.« Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. Er lächelte ohne jede Freude. »Trevor Lessiter ist mein Hausarzt. Aber vielleicht sollten Sie mit Mr. Hollingsworth, University College in London, sprechen.« In bitterem Ton fügte er hinzu: »Er wird Ihnen bestätigen können, daß ich wirklich und wahrhaftig gelähmt bin.«
Das Mädchen zu seinen Füßen stieß einen empörten Schrei aus und funkelte Barnaby böse an.
»Ist schon gut, Liebling«, beruhigte Trace sie. »Sie müssen diese Dinge fragen.« Aber sie war keineswegs beschwichtigt und verfolgte mit finsterer Miene die Befragung von David Whiteley. Troy fand, daß sie so noch viel schöner war als sonst. Der Gutsverwalter gab widerwillig Auskunft und sagte, daß er den ganzen Nachmittag gearbeitet habe.
Читать дальше