Nie wieder würde sie zulassen, daß dieses strahlende Gefühl sie beherrschte wie damals, vor zwanzig Jahren, als sie in den Büroräumen von Winstanley, Dennison und Winstanley den Verstand verloren hatte und auf Wolken geschwebt war. Heute konnte sie sich nicht einmal mehr an Alans Nachnamen, geschweige denn an sein Gesicht erinnern.
Und dann hatte sie Trevor Lessiter kennengelernt. Sie lief ihm im wahrsten Sinne des Wortes in der Lebensmittelabteilung von Marks und Spencers in die Arme. Als sie zu scharf um eines der Regale bog, verhakten sich ihre Einkaufswagen heillos ineinander. Sie schenkte ihm ihr professionelles strahlendes Lächeln, und er war auf Anhieb überwältigt, ohne etwas von ihrem Gewerbe zu ahnen.
Er war ein komischer kleiner Kauz mit rundem Schädel, graumeliertem Haar und einem Wollschal, obwohl das Wetter ziemlich schön und warm war. Teure Kleidung, dachte sie, als sie ihn mit fachmännischem Blick musterte, aber natürlich grauenvoll altmodisch. Er gehörte zu der Sorte, die ihr Kleingeld in eine Geldbörse steckten. Sie entwirrten ihre Einkaufswagen. Seiner war schon halbvoll.
»Ihre Frau muß Ihnen eine lange Liste mitgegeben haben.«
»Nein... das heißt...«, stammelte er und warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe er wieder auf die Regale starrte. »Meine Tochter stellt die Einkaufsliste zusammen ... ich bin Witwer.«
Barbara schob ihren Wagen weiter und sagte: »Oh, wie gedankenlos von mir... ich wußte ja nicht.« Jetzt blieb sie stehen und sah ihm ins Gesicht. »Es tut mir wirklich leid.«
Sie gingen zusammen Tee trinken in ein Cafe gegenüber dem Odeon. Barbara entschuldigte sich, sobald sie einen Tisch gefunden hatten, und zog sich zu den Toiletten zurück, um ihre falschen Wimpern nachzutuschen, den Lippenstift zu erneuern und noch ein wenig Duft aufzulegen. Sie trafen sich noch einmal zum gemeinsamen Tee, dann zum Dinner in einem Hotel am Themse-Ufer bei Marlow. Sie fuhren in seinem wundervollen alten Jaguar mit den Ledersitzen. Im Restaurant standen Kerzen auf den Tischen, und Blüten schwammen in gläsernen Schüsseln. Barbara war daran gewöhnt, in verschwiegenen, kleinen Kneipen zu essen, aber diesmal saß ihr kein Mann gegenüber, der ständig über die Schulter spähen mußte. Er erzählte ihr vom Unfall seiner Frau und von seiner Tochter und sagte: »Ich würde mich freuen, wenn ich Sie mit ihr bekannt machen dürfte.«
Es dauerte einige Zeit, bis diese Begegnung arrangiert werden konnte. Die Wochenenden vergingen, und Judy schien immer etwas anderes vorzuhaben. Aber schließlich bestand ihr Vater darauf, daß sie sich einen Sonntag nachmittag freihielt. Barbara wählte ihre Garderobe mit Bedacht: ein weich fließendes Paisley-Kleid und einen leichten Tweedmantel. Sie legte kaum Make-up auf, nur ein wenig Rouge, einen unauffälligen Lippenstift und einen braunen Lidstrich.
Das Dorf war fast dreißig Meilen von Slough entfernt (Gott sei Dank, dachte sie), und auf der Fahrt sagte sie immer wieder beinahe aufrichtig: »Ich hoffe, sie mag mich.«
Als Lessiter den Jaguar in die Auffahrt lenkte, glaubte sie im ersten Moment, daß irgendein Irrtum vorlag - daß er noch einen wohlhabenden Patienten besuchen oder bei einem Freund vorbeischauen wollte, ehe er nach Hause fuhr. Weite Rasenflächen erstreckten sich links und rechts der Zufahrt. Sie sah Bäume, Sträucher und Blumenbeete. Das Haus war riesig - eine viktorianische Villa mit einem Turm, Erkern und Giebeln und - wie sie später erfuhr - sieben Schlafzimmern. Ihr war plötzlich kalt, als sie aus dem Wagen stieg. Sehnsucht, Hoffnung und Angst jagten ihr Schauer über den Rücken.
»Das erinnert mich an das Haus meines Vaters«, sagte sie.
»Oh. Wo habt ihr gewohnt, Liebes?« Sie hatte nie zuvor ihre Familie erwähnt.
»In Schottland. Leider haben wir das Haus wie alles andere verloren.« Sie betrachtete die vielen Fenster und seufzte abgrundtief, als würde sie die Erinnerung und der schwere Verlust übermannen. »Er war ein unverbesserlicher Spieler.«
»Ich hoffe, du wirst...« Er verstummte abrupt. Barbara wußte, was er sagen wollte, und verfluchte im stillen das Mädchen, das im Haus lauerte. Sie war noch nie gut mit Frauen ausgekommen, hatte nie eine enge Freundin gehabt. Na ja, diesmal mußte sie einfach mitspielen und sehen, was sie erwartete.
Es war eine absolute Katastrophe. Das Mädchen hockte schmollend da, gab giftige Bemerkungen von sich (das war der Lieblingssessel meiner Mutter), goß Tee mißmutig in die Tassen und verteilte schweren, matschigen Kuchen. Barbara versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die kleine Göre ging nicht auf sie ein und redete immerzu von vergangenen Zeiten, als Mummy dies oder jenes tat oder die ganze Familie irgendwohin fuhr.
Barbara sah sich währenddessen alles genau an - die weichen, mit Chintz bezogenen Sofas (zwei) und die Sessel (fünf). Die großen Blumenschalen und chinesischen Teppiche, die prunkvollen Spiegel und Gemälde. Und hinter den großen Glastüren die Terrasse mit den üppigen Blumentrögen und die gepflegte Rasenfläche. Zum erstenmal seit Jahren betete sie: Lieber Gott, bitte mach, daß er mich fragt. Sie merkte, daß sie den Henkel ihrer zarten Tasse viel zu fest hielt, und stellte sie behutsam ab.
Als sie in seinem Wagen zurückfuhren, sagte er: »Sie wird sich damit abfinden und zugänglicher werden.« Ganz bestimmt nicht, dachte Barbara. Judy gehört zu der widerspenstigen Sorte - sie ist ein eiskaltes kleines Biest mit Pickeln und einem Hintern, der beinahe den Boden streift. Die geborene alte Jungfer. Sie würde noch mit neunzig da sein, um ihren Daddy zu umsorgen.
»Oh, glaubst du wirklich, Trevor? Ich habe mich so darauf gefreut, sie kennenzulernen.« Ihre Stimme bebte ein wenig. Als er vor ihrer Wohnung anhielt, sagte sie: »Würde es dir etwas ausmachen, noch einen Sprung mit reinzukommen? Ich bin ein wenig deprimiert.« Es war das erste Mal, daß sie ihn zu sich einlud. Er sprang eifrig aus dem Wagen und rannte förmlich die Treppe hinauf.
Barbaras Wohnung befand sich mitten in der Stadt in der Mancetta Road über einer Nachrichtenagentur. Sie bot ihm nichts zu trinken an, warf nur ihren Mantel über eine Stuhllehne, ließ sich auf das unechte Ozelot-Sofa fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Er war sofort an ihrer Seite.
»Reg dich nicht auf.« Er legte schwerfällig einen Arm um ihre Schultern, und sie sah ihn an wie ein Kind, das großen Kummer hatte.
»Ich habe mir so sehr gewünscht, daß sie mich mag. Ich habe mir schon ausgemalt, wie wir über Kleider und Make-up und solche Dinge reden ... Ich dachte, ich könnte mich ein wenig um sie kümmern ... um euch beide ... Wahrscheinlich findest du das albern.«
»Liebling, selbstverständlich nicht.« Plötzlich wurde er sich bewußt, wie nah ihm ihre prallen Brüste waren, die sich an sein Hemd schmiegten. Und er roch, wie ihr Haar duftete. Er hob ihr Kinn an und war zutiefst gerührt, als er Tränen in ihren Augen sah. Er küßte sie. Für einen Moment teilten sich ihre Lippen, er fühlte sogar ihre Zungenspitze, aber dann schnappte sie nach Luft und schob ihn von sich. Sie stand auf, durchquerte das Zimmer und drehte sich zu ihm um. Sie atmete schwer.
»Was mußt du von mir halten? Oh, Trevor! Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich denke die ganze Zeit nur an dich ... Ich hätte dich nicht bitten dürfen, mit in meine Wohnung zu kommen.«
Gleich darauf flog sie in seine Arme. Sie entspannte sich und preßte sich an ihn. Ein langer Kuß. Seine Hand begann zu wandern. Barbara stieß einen kleinen erregten Schrei aus, bevor sie sich abrupt von ihm löste. »Was tust du da?«
»Barbara... verzeih mir.«
»Wofür hältst du mich?«
»Vergib mir, Liebling ... bitte.«
»Nur weil ich dich liebe - ja, ich gebe es zu! Ich liebe dich. O Trevor«, sie fing an zu weinen, »du solltest jetzt gehen. Es ist alles so hoffnungslos.«
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