»Ich mag Geschenke nicht«, murmelte Corso mit finsterem Gesicht. »Gewisse Leute haben sich da mal ein hölzernes Pferd schenken lassen. Griechisches Kunsthandwerk, stand auf dem Etikett. Schöne Idioten.«
»War denn keiner dagegen?«
»Doch, einer mit seinen Söhnen. Aber dann sind ein paar Viecher aus dem Meer aufgetaucht und haben eine hübsche Marmorgruppe aus ihnen gemacht. Hellenistisch, wenn ich mich recht entsinne. Schule von Rhodos. In der damaligen Zeit
waren die Götter einfach zu parteiisch.«
»Das waren sie immer.« Das Mädchen starrte in den Fluß, als trieben ihre Erinnerungen in dem trüben Wasser. Corso sah, daß sie nachdenklich und gedankenverloren lächelte. »Ich habe noch nie einen unparteiischen Gott erlebt. Und Teufel auch nicht.« Sie wandte sich unversehens nach ihm um, als habe die Seine ihre Gedanken fortgespült. »Glaubst du an den Teufel, Corso?«
Er betrachtete sie aufmerksam, aber die Bilder, die vor wenigen Sekunden noch ihre Augen erfüllt hatten, schienen in der Strömung untergegangen zu sein. Jetzt herrschte dort nur schillerndes Grün und Licht.
»Ich glaube an die Dummheit und an die Ignoranz«, erwiderte er mit einem müden Lächeln. »Und ich glaube, daß der wirksamste Messerstich der ist, den man jemandem hier rein gibt, siehst du?« Er deutete auf seine Hüfte. »In die Leistengegend. Während man ihn umarmt.«
»Wovor hast du Angst, Corso? Daß ich dich umarme? Daß dir der Himmel auf den Kopf fällt?«
»Ich habe Angst vor hölzernen Pferden, billigem Gin und hübschen Mädchen. Vor allem, wenn sie einem Geschenke bringen. Und wenn sie unter dem Namen der Frau auftreten, die Sherlock Holmes in die Knie gezwungen hat.«
Sie waren weitergegangen und befanden sich jetzt auf den Holzdielen der Pont des Arts. Das Mädchen blieb neben einem Straßenkünstler stehen, der Miniaturaquarelle ausstellte, und stützte sich auf das Eisengeländer der Brücke.
»Ich mag diese Brücke«, sagte sie. »Hier dürfen keine Autos rüber. Nur verliebte Paare, alte Frauchen mit Hut und Müßiggänger. Sie erfüllt keinerlei praktischen Zweck.«
Corso antwortete nicht. Er beobachtete die Frachtkähne, die mit umgelegten Masten zwischen den Brückenpfeilern durchführen. Früher war Nikon an seiner Seite über die knarrenden
Planken gegangen. Er erinnerte sich, daß auch sie einmal neben einem Aquarellmaler stehengeblieben war, vielleicht sogar neben demselben, und ärgerlich die Nase gerümpft hatte, weil sich ihr Belichtungsmesser gegen die grelle Sonne sperrte, die schräg auf die Türme von Notre-Dame fiel. Sie hatten Foiegras und eine Flasche Burgunder fürs Abendessen gekauft, das sie später auf dem Bett ihres Hotelzimmers zu sich nahmen, im Schein der Fernsehmattscheibe, auf der sich eine jener wort-und publikumsreichen Debatten abspielte, von denen die Franzosen so begeistert sind. Davor, auf der Brücke, hatte Nikon ein Foto von ihm gemacht, wie sie ihm gestand, während sie an ihrem Foiegras-Brot kaute, die Lippen mit Burgunder befeuchtet, und mit den Zehen zärtlich über seine Rippen fuhr. Ich weiß, daß dir das nicht gefällt, Lucas Corso, aber jetzt mußt du’s schlucken, du im Profil auf der Brücke, wie du auf die Kähne hinuntersiehst, ich glaube, diesmal kommst du beinahe hübsch raus, altes Ekel.
Nikon war eine großäugige Aschkenasim-Jüdin. Ihr Vater hatte in Treblinka die Nummer 77 843 gehabt und war in der letzten Runde durch die Glocke gerettet worden, und wenn im Fernsehen israelische Soldaten auf riesigen Panzern gezeigt wurden, die irgend etwas besetzten, sprang sie nackt vom Bett, um mit feuchten Augen den Bildschirm zu küssen und »Sha-lom, Shalom« zu flüstern, im selben liebkosenden Ton, in dem sie Corsos Taufnamen aussprach, bis sie es eines Tages für immer unterließ. Nikon. Er hatte es nie zu Gesicht bekommen, dieses Foto von sich auf der Pont des Arts, wie er den Schiffen zusah, die unter den Bögen durchglitten, im Profil, beinahe hübsch diesmal, altes Ekel.
Als er den Blick hob, war Nikon gegangen. Jetzt stand ein anderes Mädchen neben ihm. Groß, mit braungebrannter Haut, jungenhaftem Haarschnitt und transparenten Augen, die die Farbe von frisch gewaschenen Trauben hatten. Ein paar Se-kunden lang blinzelte er verwirrt und wartete darauf, daß alles wieder in seine Grenzen zurückkehrte. Die Gegenwart setzte einen Schnitt, scharf wie von einem Skalpell, und der schwarzweiße Corso im Profil - Nikon arbeitete immer in Schwarzweiß - trudelte in den Fluß hinunter und trieb zwischen gefallenen Blättern stromabwärts, in der dreckigen Brühe, die aus den Kähnen und den Abwasserrohren floß. Das Mädchen, das nicht mehr Nikon war, hielt ein kleines, ledergebundenes Buch in den Händen. Und das reichte sie ihm. »Ich hoffe, es gefällt dir.«
Der verliebte Teufel von Jacques Cazotte, gedruckt 1878. Corso öffnete es und entdeckte in einem faksimilierten Anhang die Stiche der Erstausgabe: Alvaro im Bannkreis des Teufels, der fragt Che vuoi?, Biondetta, die ihr Haar mit den Fingern kämmt, der schöne Page an seinem Klavier . Er schlug wahllos eine Seite auf:
Der Mann entstand aus Lehm und Wasser. Warum nicht das
Weib aus Tau, Dünsten, Lichtstrahlen, aus einem verdichteten
Regenbogen? Was ist möglich, und was ist es nicht?
Er schloß das Buch, sah auf und begegnete den lächelnden Augen des Mädchens. Drunten, im Fluß, brach sich die Sonne im Kielwasser eines Schiffs, und die diamantenen Reflexe spielten auf ihrer Haut.
»Ein verdichteter Regenbogen«, wiederholte Corso. »Was weißt du von diesen Dingen?«
Das Mädchen fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wandte ihr Gesicht der Sonne zu, die so hell war, daß sie die Augenlider schließen mußte. Alles an ihr strahlte: die Reflexe des glitzernden Wassers und des gleißenden Morgenlichts, die grünen Schlitze zwischen ihren dunklen Wimpern.
»Ich weiß, was sie mir vor langer Zeit erzählt haben. Der Regenbogen ist die Brücke, die von der Erde in den Himmel führt. Am Jüngsten Tag wird sie in tausend Stücke zerspringen, nachdem der Teufel sie auf dem Pferd überquert hat.«
»Nicht schlecht. Hast du das von deiner Großmutter?«
Sie schüttelte den Kopf und sah Corso jetzt wieder ernst und gedankenverloren an.
»Nein, das habe ich von einem Freund - Belial heißt er« -beim Aussprechen des Namens runzelte sie ein wenig die Stirn, wie ein niedliches kleines Mädchen, das einem ein großes Geheimnis anvertraut. »Er mag Pferde und Wein und ist der optimistischste Typ, den ich kenne - so optimistisch, daß er immer noch hofft, eines Tages in den Himmel zurückzukehren.«
Sie setzten sich wieder in Bewegung und überquerten vollends die Brücke. Corso hatte das seltsame Gefühl, als beobachteten sie aus der Ferne die Wasserspeier von Notre-Dame, die natürlich falsch waren, wie so vieles. Ihre diabolischen Fratzen mit den Hörnern und den besonnenen Ziegenbärten hatten nicht von dort oben herabgeblickt, als die ehrbaren Baumeister ein Glas Eau-de-vie tranken und verschwitzt, aber zufrieden ihr Werk betrachteten, noch als Quasimodo seine unglückliche Liebe zu der Zigeunerin Esmeralda stöhnend den Glockentürmen anvertraute. Aber seit man Charles Laughtons Zelluloidhäßlichkeit mit ihnen in Verbindung bringt und Gina Lollobrigida in der zweiten Version - Technicolor, wie Nikon betont hätte - unter ihren Augen hingerichtet wurde, kann man sich die Kathedrale eigentlich gar nicht mehr ohne diese finster dreinschauenden, neumittelalterlichen Wächter denken. Corso versuchte sich die Szene aus der Vogelperspektive vorzustellen: die Pont Neuf und weiter oben die Pont des Arts, die sich an diesem strahlenden Morgen wie ein schmales dunkles Band über den graugrünen Fluß spannte, mit zwei winzigen Figür-chen, die - kaum erkennbar - auf das rechte Ufer zuschritten. Brücken und Regenbögen, zwischen deren gemauerten Pfeilern langsam schwarze Charonskähne durchglitten. Die Welt ist voll von Flüssen und Ufern, von Männern und Frauen, die Brücken und Furten passieren, ohne sich der Folgen bewußt zu sein, die das nach sich ziehen kann, ohne zurück oder nach unten zu sehen, ohne Kleingeld für den Fährmann. Als sie beim Louvre die Straße überqueren wollten, mußten sie wegen einer roten Fußgängerampel stehenbleiben. Corso rückte sich den Riemen seiner Segeltuchtasche auf der Schulter zurecht, während er zerstreut nach rechts und links blickte. Dabei fiel sein Blick zufällig auf einen Wagen, der inmitten des dichten Verkehrs an ihnen vorüberrauschte. Eine Sekunde später machte er ein Gesicht wie einer der Wasserspeier von Notre-Dame.
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